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Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.

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Ich hätte können dir, sagt' er, das Herz durchbohren,
Und streifte schonend nur das Läppchen an den Ohren.
Vom Boden nimmt er auf den Pfeil, von Blut befleckt,
Den zum Gedächtnis er in seinen Busen steckt.
Wo ist der Schütze, der den Meisterschuß gethan,
Der eines Königs Herz gelenkt zur bessern Bahn?
Der fremde Jüngling ist's, der, wannen er gekommen,
Nicht sagen wollte, da er ward in Dienst genommen.
Man soll, der König spricht, sein Reisegeld ihm geben;
Denn immer würd' er hier vor meiner Rache beben.
Denn freilich ist die Welt von mir nicht des gewohnt,
Zu sehn Vergehungen verziehen, ja belohnt.
Der fremde Jüngling zieht davon und dankt dem Glücke,
Und bei dem König bleibt von ihm der Pfeil zurücke;
Von dem er stets gemahnt, dem ernsten Vorsatz treu,
Blieb zum Verzeihn geneigt, vor Blutvergießen scheu.
Doch alle Herzen, die vordem sein Zorn gekränkt,
Empören jetzt sich, da zur Huld er umgelenkt.
Ich haͤtte koͤnnen dir, ſagt' er, das Herz durchbohren,
Und ſtreifte ſchonend nur das Laͤppchen an den Ohren.
Vom Boden nimmt er auf den Pfeil, von Blut befleckt,
Den zum Gedaͤchtnis er in ſeinen Buſen ſteckt.
Wo iſt der Schuͤtze, der den Meiſterſchuß gethan,
Der eines Koͤnigs Herz gelenkt zur beſſern Bahn?
Der fremde Juͤngling iſt's, der, wannen er gekommen,
Nicht ſagen wollte, da er ward in Dienſt genommen.
Man ſoll, der Koͤnig ſpricht, ſein Reiſegeld ihm geben;
Denn immer wuͤrd' er hier vor meiner Rache beben.
Denn freilich iſt die Welt von mir nicht des gewohnt,
Zu ſehn Vergehungen verziehen, ja belohnt.
Der fremde Juͤngling zieht davon und dankt dem Gluͤcke,
Und bei dem Koͤnig bleibt von ihm der Pfeil zuruͤcke;
Von dem er ſtets gemahnt, dem ernſten Vorſatz treu,
Blieb zum Verzeihn geneigt, vor Blutvergießen ſcheu.
Doch alle Herzen, die vordem ſein Zorn gekraͤnkt,
Empoͤren jetzt ſich, da zur Huld er umgelenkt.
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[88/0098] Ich haͤtte koͤnnen dir, ſagt' er, das Herz durchbohren, Und ſtreifte ſchonend nur das Laͤppchen an den Ohren. Vom Boden nimmt er auf den Pfeil, von Blut befleckt, Den zum Gedaͤchtnis er in ſeinen Buſen ſteckt. Wo iſt der Schuͤtze, der den Meiſterſchuß gethan, Der eines Koͤnigs Herz gelenkt zur beſſern Bahn? Der fremde Juͤngling iſt's, der, wannen er gekommen, Nicht ſagen wollte, da er ward in Dienſt genommen. Man ſoll, der Koͤnig ſpricht, ſein Reiſegeld ihm geben; Denn immer wuͤrd' er hier vor meiner Rache beben. Denn freilich iſt die Welt von mir nicht des gewohnt, Zu ſehn Vergehungen verziehen, ja belohnt. Der fremde Juͤngling zieht davon und dankt dem Gluͤcke, Und bei dem Koͤnig bleibt von ihm der Pfeil zuruͤcke; Von dem er ſtets gemahnt, dem ernſten Vorſatz treu, Blieb zum Verzeihn geneigt, vor Blutvergießen ſcheu. Doch alle Herzen, die vordem ſein Zorn gekraͤnkt, Empoͤren jetzt ſich, da zur Huld er umgelenkt.

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Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane01_1836/98>, abgerufen am 26.04.2024.