Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
19.
Hat die Unendlichkeit nicht Räume ungeheuer?
Doch überall ist Raum gespart, als sei er theuer.
Der Drang des Lebens, wenn er sich wär' überlassen,
Selbst die Unendlichkeit vermöcht' ihn nicht zu fassen.
Drum ist des Lebens Füll' ins Engeste gezwängt,
Weil überall ihr Trieb ins Weitere sie drängt.
Zur Raumersparung hat Baumeisterin Natur
Das Bienenvolk gelehrt sechseckig bauen nur,
Daß Zell' an Zelle paßt und aller Zellen Enge
Zur Noth bequem nur faßt die arbeitselige Menge.
Verkrüppelt zwitterhaft sind drin die fleiß'gen Horden,
Von denen jeder frei sonst wär' ein Weisel worden.
So würd' ein Bauer, wenn ihn nicht von allen Seiten
Die Nachbarn zwängten, sich als Patriarch ausbreiten.
Mit rascher Fruchtbarkeit hat er ein Land besetzt,
Bis die Bevölkerung sich selber Schranken setzt.
19.
Hat die Unendlichkeit nicht Raͤume ungeheuer?
Doch uͤberall iſt Raum geſpart, als ſei er theuer.
Der Drang des Lebens, wenn er ſich waͤr' uͤberlaſſen,
Selbſt die Unendlichkeit vermoͤcht' ihn nicht zu faſſen.
Drum iſt des Lebens Fuͤll' ins Engeſte gezwaͤngt,
Weil uͤberall ihr Trieb ins Weitere ſie draͤngt.
Zur Raumerſparung hat Baumeiſterin Natur
Das Bienenvolk gelehrt ſechseckig bauen nur,
Daß Zell' an Zelle paßt und aller Zellen Enge
Zur Noth bequem nur faßt die arbeitſelige Menge.
Verkruͤppelt zwitterhaft ſind drin die fleiß'gen Horden,
Von denen jeder frei ſonſt waͤr' ein Weiſel worden.
So wuͤrd' ein Bauer, wenn ihn nicht von allen Seiten
Die Nachbarn zwaͤngten, ſich als Patriarch ausbreiten.
Mit raſcher Fruchtbarkeit hat er ein Land beſetzt,
Bis die Bevoͤlkerung ſich ſelber Schranken ſetzt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0025" n="15"/>
        <div n="2">
          <head>19.</head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Hat die Unendlichkeit nicht Ra&#x0364;ume ungeheuer?</l><lb/>
              <l>Doch u&#x0364;berall i&#x017F;t Raum ge&#x017F;part, als &#x017F;ei er theuer.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Der Drang des Lebens, wenn er &#x017F;ich wa&#x0364;r' u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Selb&#x017F;t die Unendlichkeit vermo&#x0364;cht' ihn nicht zu fa&#x017F;&#x017F;en.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Drum i&#x017F;t des Lebens Fu&#x0364;ll' ins Enge&#x017F;te gezwa&#x0364;ngt,</l><lb/>
              <l>Weil u&#x0364;berall ihr Trieb ins Weitere &#x017F;ie dra&#x0364;ngt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Zur Raumer&#x017F;parung hat Baumei&#x017F;terin Natur</l><lb/>
              <l>Das Bienenvolk gelehrt &#x017F;echseckig bauen nur,</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Daß Zell' an Zelle paßt und aller Zellen Enge</l><lb/>
              <l>Zur Noth bequem nur faßt die arbeit&#x017F;elige Menge.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Verkru&#x0364;ppelt zwitterhaft &#x017F;ind drin die fleiß'gen Horden,</l><lb/>
              <l>Von denen jeder frei &#x017F;on&#x017F;t wa&#x0364;r' ein Wei&#x017F;el worden.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>So wu&#x0364;rd' ein Bauer, wenn ihn nicht von allen Seiten</l><lb/>
              <l>Die Nachbarn zwa&#x0364;ngten, &#x017F;ich als Patriarch ausbreiten.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>Mit ra&#x017F;cher Fruchtbarkeit hat er ein Land be&#x017F;etzt,</l><lb/>
              <l>Bis die Bevo&#x0364;lkerung &#x017F;ich &#x017F;elber Schranken &#x017F;etzt.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0025] 19. Hat die Unendlichkeit nicht Raͤume ungeheuer? Doch uͤberall iſt Raum geſpart, als ſei er theuer. Der Drang des Lebens, wenn er ſich waͤr' uͤberlaſſen, Selbſt die Unendlichkeit vermoͤcht' ihn nicht zu faſſen. Drum iſt des Lebens Fuͤll' ins Engeſte gezwaͤngt, Weil uͤberall ihr Trieb ins Weitere ſie draͤngt. Zur Raumerſparung hat Baumeiſterin Natur Das Bienenvolk gelehrt ſechseckig bauen nur, Daß Zell' an Zelle paßt und aller Zellen Enge Zur Noth bequem nur faßt die arbeitſelige Menge. Verkruͤppelt zwitterhaft ſind drin die fleiß'gen Horden, Von denen jeder frei ſonſt waͤr' ein Weiſel worden. So wuͤrd' ein Bauer, wenn ihn nicht von allen Seiten Die Nachbarn zwaͤngten, ſich als Patriarch ausbreiten. Mit raſcher Fruchtbarkeit hat er ein Land beſetzt, Bis die Bevoͤlkerung ſich ſelber Schranken ſetzt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/25
Zitationshilfe: Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/25>, abgerufen am 26.04.2024.