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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Wirklich haben eben zu jener Zeit, als der eigenthümliche Geist
der neueren Kunst zuerst in entschiedneren Zügen hervortrat,
fremde Muster, fremde Ansichteu, vielleicht sogar fremde Mei-
ster von verschiedenen Seiten fördernd auf italienische Künst-
ler eingewirkt.

Unter diesen Einwirkungen ward eben die folgenreichste
und wichtigste, der byzantinischen auf die italienische Malerey,
schon seit längerer Zeit mit einem Netze entgegengesetzter Miß-
verständnisse und Uebertreibungen umzogen, was ihre Beleuch-
tung um so dringender, doch zugleich so schwierig macht, daß es
unumgänglich ist, um der Wahrheit Luft und Licht zu schaffen,
hie und da die Fäden ganz zu durchreißen. Und, da Vasa-
ri's
Künstlerleben, ein sinn- und gemüthvolles, in Dingen
seiner Zeitgenossen und näheren Vorgänger im Ganzen zuver-
lässiges Buch, doch in jener Beziehung gleichsam das Mittel-
glied moderner und mittelalterlicher Irrungen und Mißver-
ständnisse bilden; so werden wir, von diesem Schriftsteller
ausgehend, sowohl abwärts als aufwärts steigen können.
Dabey möge es dem trefflichen Stifter so viel genauer Kunde
von den Lebensumständen, Ansichten, Werken seiner Zeitgenos-
sen auf keine Weise zum Vorwurf gereichen, daß er seinen
Stoff nicht gelehrt und kritisch, sondern künstlerisch und dich-
terisch aufgefaßt. Nur den Compilatoren, welche ihn ausge-
schrieben, den Kritikern, die ihm widersprochen, ohne ihn zu
berichtigen, darf man vorwerfen, den einen, daß sie ihn je-
mals in weitentlegenen Dingen als Quelle angesehen, den
anderen, verkannt zu haben, daß Vasari's Irrthümer hin-
sichtlich des Ereignisses, welches wir nunmehr beleuchten wol-
len, nicht absichtliche Lügen und eitle Erfindungen, vielmehr
bloß mißverstandene historische Wahrheiten sind, welche, wenn

Wirklich haben eben zu jener Zeit, als der eigenthuͤmliche Geiſt
der neueren Kunſt zuerſt in entſchiedneren Zuͤgen hervortrat,
fremde Muſter, fremde Anſichteu, vielleicht ſogar fremde Mei-
ſter von verſchiedenen Seiten foͤrdernd auf italieniſche Kuͤnſt-
ler eingewirkt.

Unter dieſen Einwirkungen ward eben die folgenreichſte
und wichtigſte, der byzantiniſchen auf die italieniſche Malerey,
ſchon ſeit laͤngerer Zeit mit einem Netze entgegengeſetzter Miß-
verſtaͤndniſſe und Uebertreibungen umzogen, was ihre Beleuch-
tung um ſo dringender, doch zugleich ſo ſchwierig macht, daß es
unumgaͤnglich iſt, um der Wahrheit Luft und Licht zu ſchaffen,
hie und da die Faͤden ganz zu durchreißen. Und, da Vaſa-
ri’s
Kuͤnſtlerleben, ein ſinn- und gemuͤthvolles, in Dingen
ſeiner Zeitgenoſſen und naͤheren Vorgaͤnger im Ganzen zuver-
laͤſſiges Buch, doch in jener Beziehung gleichſam das Mittel-
glied moderner und mittelalterlicher Irrungen und Mißver-
ſtaͤndniſſe bilden; ſo werden wir, von dieſem Schriftſteller
ausgehend, ſowohl abwaͤrts als aufwaͤrts ſteigen koͤnnen.
Dabey moͤge es dem trefflichen Stifter ſo viel genauer Kunde
von den Lebensumſtaͤnden, Anſichten, Werken ſeiner Zeitgenoſ-
ſen auf keine Weiſe zum Vorwurf gereichen, daß er ſeinen
Stoff nicht gelehrt und kritiſch, ſondern kuͤnſtleriſch und dich-
teriſch aufgefaßt. Nur den Compilatoren, welche ihn ausge-
ſchrieben, den Kritikern, die ihm widerſprochen, ohne ihn zu
berichtigen, darf man vorwerfen, den einen, daß ſie ihn je-
mals in weitentlegenen Dingen als Quelle angeſehen, den
anderen, verkannt zu haben, daß Vaſari’s Irrthuͤmer hin-
ſichtlich des Ereigniſſes, welches wir nunmehr beleuchten wol-
len, nicht abſichtliche Luͤgen und eitle Erfindungen, vielmehr
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[283/0301] Wirklich haben eben zu jener Zeit, als der eigenthuͤmliche Geiſt der neueren Kunſt zuerſt in entſchiedneren Zuͤgen hervortrat, fremde Muſter, fremde Anſichteu, vielleicht ſogar fremde Mei- ſter von verſchiedenen Seiten foͤrdernd auf italieniſche Kuͤnſt- ler eingewirkt. Unter dieſen Einwirkungen ward eben die folgenreichſte und wichtigſte, der byzantiniſchen auf die italieniſche Malerey, ſchon ſeit laͤngerer Zeit mit einem Netze entgegengeſetzter Miß- verſtaͤndniſſe und Uebertreibungen umzogen, was ihre Beleuch- tung um ſo dringender, doch zugleich ſo ſchwierig macht, daß es unumgaͤnglich iſt, um der Wahrheit Luft und Licht zu ſchaffen, hie und da die Faͤden ganz zu durchreißen. Und, da Vaſa- ri’s Kuͤnſtlerleben, ein ſinn- und gemuͤthvolles, in Dingen ſeiner Zeitgenoſſen und naͤheren Vorgaͤnger im Ganzen zuver- laͤſſiges Buch, doch in jener Beziehung gleichſam das Mittel- glied moderner und mittelalterlicher Irrungen und Mißver- ſtaͤndniſſe bilden; ſo werden wir, von dieſem Schriftſteller ausgehend, ſowohl abwaͤrts als aufwaͤrts ſteigen koͤnnen. Dabey moͤge es dem trefflichen Stifter ſo viel genauer Kunde von den Lebensumſtaͤnden, Anſichten, Werken ſeiner Zeitgenoſ- ſen auf keine Weiſe zum Vorwurf gereichen, daß er ſeinen Stoff nicht gelehrt und kritiſch, ſondern kuͤnſtleriſch und dich- teriſch aufgefaßt. Nur den Compilatoren, welche ihn ausge- ſchrieben, den Kritikern, die ihm widerſprochen, ohne ihn zu berichtigen, darf man vorwerfen, den einen, daß ſie ihn je- mals in weitentlegenen Dingen als Quelle angeſehen, den anderen, verkannt zu haben, daß Vaſari’s Irrthuͤmer hin- ſichtlich des Ereigniſſes, welches wir nunmehr beleuchten wol- len, nicht abſichtliche Luͤgen und eitle Erfindungen, vielmehr bloß mißverſtandene hiſtoriſche Wahrheiten ſind, welche, wenn

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/301>, abgerufen am 26.04.2024.