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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Dogma von der Constanz der Arten.
denen jeder tiefere wissenschaftliche Gehalt fehlte, bis es end-
lich so weit kam, daß ein Lehrbuch der Botanik weit mehr
einem deutsch-lateinischen Lexikon als einem naturwissenschaftlichen
Werke ähnlich sah; um nur Ein Beispiel zu nennen, verweise
ich zum Beleg des Gesagten auf Bernhardi's Handbuch der
Botanik, Erfurt 1803 und zwar deßhalb, weil gerade Bern-
hardi einer der besten Vertreter der Botanik Deutschlands in
jener Zeit war. Wie die Botanik zumal in Deutschland unter
dem Einfluß der Linne'schen Autorität nach und nach in ein
gemüthliches geistloses Kleinleben ausartete, davon geben am
besten die ersten Bände der Zeitschrift Flora bis tief in die 20er
Jahre hinein Auskunft; man begreift kaum, wie Männer von
einiger Bildung sich mit solchen nichtssagenden Dingen beschäf-
tigen konnten. Es wäre ganz verlorene Mühe, diese Art wissen-
schaftlichen Lebens, wenn der Ausdruck überhaupt erlaubt ist,
dieses geistlose Treiben der Pflanzensammler, welche sich ganz in
Widerspruch mit seiner Auffassung Systematiker nannten,
eingehender zu verfolgen. Es ist zwar nicht zu verkennen, daß
diese Anhänger Linne's der Wissenschaft insofern genutzt haben,
als durch sie die europäischen und viele außereuropäischen Floren-
gebiete durchsucht wurden, aber die wissenschaftliche Verarbeitung
des von ihnen aufgehäuften Materials überließen sie Anderen.

Aber lange bevor diese Verkommenheit um sich griff, machte
sich in Frankreich, wo das Sexualsystem überhaupt niemals
zu großer Anerkennung gelangte, eine neue Richtung auf dem
Gebiete der Systematik und Morphologie geltend. An Linne's
tiefere und eigentlich wissenschaftliche Bestrebungen anknüpfend,
waren es Bernard de Jussieu und sein Neffe A. L. de
Jussieu
, welche die Bearbeitung des natürlichen Systems, die
Linne selbst als das höchste Ziel der Botanik hingestellt hatte,
zur Aufgabe ihres Lebens machten. Hier konnte es sich nicht
mehr um eine ewige Wiederholung von Einzelbeschreibungen nach
bestimmter Schablone handeln; vielmehr mußten genauere Unter-
suchungen über die Organisation der Pflanzen, besonders ihrer
Fructificationstheile das Fundament liefern, auf welchem die

Dogma von der Conſtanz der Arten.
denen jeder tiefere wiſſenſchaftliche Gehalt fehlte, bis es end-
lich ſo weit kam, daß ein Lehrbuch der Botanik weit mehr
einem deutſch-lateiniſchen Lexikon als einem naturwiſſenſchaftlichen
Werke ähnlich ſah; um nur Ein Beiſpiel zu nennen, verweiſe
ich zum Beleg des Geſagten auf Bernhardi's Handbuch der
Botanik, Erfurt 1803 und zwar deßhalb, weil gerade Bern-
hardi einer der beſten Vertreter der Botanik Deutſchlands in
jener Zeit war. Wie die Botanik zumal in Deutſchland unter
dem Einfluß der Linné'ſchen Autorität nach und nach in ein
gemüthliches geiſtloſes Kleinleben ausartete, davon geben am
beſten die erſten Bände der Zeitſchrift Flora bis tief in die 20er
Jahre hinein Auskunft; man begreift kaum, wie Männer von
einiger Bildung ſich mit ſolchen nichtsſagenden Dingen beſchäf-
tigen konnten. Es wäre ganz verlorene Mühe, dieſe Art wiſſen-
ſchaftlichen Lebens, wenn der Ausdruck überhaupt erlaubt iſt,
dieſes geiſtloſe Treiben der Pflanzenſammler, welche ſich ganz in
Widerſpruch mit ſeiner Auffaſſung Syſtematiker nannten,
eingehender zu verfolgen. Es iſt zwar nicht zu verkennen, daß
dieſe Anhänger Linné's der Wiſſenſchaft inſofern genutzt haben,
als durch ſie die europäiſchen und viele außereuropäiſchen Floren-
gebiete durchſucht wurden, aber die wiſſenſchaftliche Verarbeitung
des von ihnen aufgehäuften Materials überließen ſie Anderen.

Aber lange bevor dieſe Verkommenheit um ſich griff, machte
ſich in Frankreich, wo das Sexualſyſtem überhaupt niemals
zu großer Anerkennung gelangte, eine neue Richtung auf dem
Gebiete der Syſtematik und Morphologie geltend. An Linné's
tiefere und eigentlich wiſſenſchaftliche Beſtrebungen anknüpfend,
waren es Bernard de Juſſieu und ſein Neffe A. L. de
Juſſieu
, welche die Bearbeitung des natürlichen Syſtems, die
Linné ſelbſt als das höchſte Ziel der Botanik hingeſtellt hatte,
zur Aufgabe ihres Lebens machten. Hier konnte es ſich nicht
mehr um eine ewige Wiederholung von Einzelbeſchreibungen nach
beſtimmter Schablone handeln; vielmehr mußten genauere Unter-
ſuchungen über die Organiſation der Pflanzen, beſonders ihrer
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[117/0129] Dogma von der Conſtanz der Arten. denen jeder tiefere wiſſenſchaftliche Gehalt fehlte, bis es end- lich ſo weit kam, daß ein Lehrbuch der Botanik weit mehr einem deutſch-lateiniſchen Lexikon als einem naturwiſſenſchaftlichen Werke ähnlich ſah; um nur Ein Beiſpiel zu nennen, verweiſe ich zum Beleg des Geſagten auf Bernhardi's Handbuch der Botanik, Erfurt 1803 und zwar deßhalb, weil gerade Bern- hardi einer der beſten Vertreter der Botanik Deutſchlands in jener Zeit war. Wie die Botanik zumal in Deutſchland unter dem Einfluß der Linné'ſchen Autorität nach und nach in ein gemüthliches geiſtloſes Kleinleben ausartete, davon geben am beſten die erſten Bände der Zeitſchrift Flora bis tief in die 20er Jahre hinein Auskunft; man begreift kaum, wie Männer von einiger Bildung ſich mit ſolchen nichtsſagenden Dingen beſchäf- tigen konnten. Es wäre ganz verlorene Mühe, dieſe Art wiſſen- ſchaftlichen Lebens, wenn der Ausdruck überhaupt erlaubt iſt, dieſes geiſtloſe Treiben der Pflanzenſammler, welche ſich ganz in Widerſpruch mit ſeiner Auffaſſung Syſtematiker nannten, eingehender zu verfolgen. Es iſt zwar nicht zu verkennen, daß dieſe Anhänger Linné's der Wiſſenſchaft inſofern genutzt haben, als durch ſie die europäiſchen und viele außereuropäiſchen Floren- gebiete durchſucht wurden, aber die wiſſenſchaftliche Verarbeitung des von ihnen aufgehäuften Materials überließen ſie Anderen. Aber lange bevor dieſe Verkommenheit um ſich griff, machte ſich in Frankreich, wo das Sexualſyſtem überhaupt niemals zu großer Anerkennung gelangte, eine neue Richtung auf dem Gebiete der Syſtematik und Morphologie geltend. An Linné's tiefere und eigentlich wiſſenſchaftliche Beſtrebungen anknüpfend, waren es Bernard de Juſſieu und ſein Neffe A. L. de Juſſieu, welche die Bearbeitung des natürlichen Syſtems, die Linné ſelbſt als das höchſte Ziel der Botanik hingeſtellt hatte, zur Aufgabe ihres Lebens machten. Hier konnte es ſich nicht mehr um eine ewige Wiederholung von Einzelbeſchreibungen nach beſtimmter Schablone handeln; vielmehr mußten genauere Unter- ſuchungen über die Organiſation der Pflanzen, beſonders ihrer Fructificationstheile das Fundament liefern, auf welchem die

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/129>, abgerufen am 26.04.2024.