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Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875.

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Geschichte der Sexualtheorie.
3.
Verbreitung der neuen Lehre, ihre Anhänger und Gegner.
1700-1760.

Kein Theil der Botanik ist so oft historisch behandelt wor-
den, wie die Lehre von der Sexualität der Pflanzen. Da je-
doch die Mehrzahl der Berichterstatter die Quellen nicht aufsuchten,
so sind die Verdienste der wirklichen Begründer und Förderer
der Lehre vielfach zum Vortheil Anderer verdunkelt worden;
selbst deutsche Botaniker haben das Verdienst des Camerarius,
weil sie dessen Schriften nicht kannten oder kein Urtheil über
die Frage und ihre Lösung hatten, Franzosen und Engländern
zugeschrieben. Ich habe es mir angelegen sein lassen, die Lite-
teratur des 18. Jahrhunderts in dieser Beziehung sorgfältig zu
durchforschen und werde hier zu zeigen versuchen, in wie weit
vor Koelreuter noch irgend Jemand zur Gründung der
Sexu[al]theorie thatsächlich Etwas beigetragen hat. Wie es bei
großen Neuerungen in der Wissenschaft immer zu gehen pflegt,
fanden sich solche, welche die neue Theorie einfach leugneten,
Viele, die sie ohne Verständniß des Fragepunctes annahmen,
Andere, welche sie von herrschenden Vorurtheilen durchdrungen
schief auffaßten und entstellten, Manche, die es versuchten, das
Verdienst des Entdeckers sich selbst zuzuschreiben und nur sehr
Wenige, welche mit richtigem Verständniß der Frage durch neue
Untersuchungen die Sache förderten.

Von denen, welche durch eigene Beobachtungen zur Lösung
der Frage beizutragen suchten, sind aber zwei Abtheilungen zu
unterscheiden; zuerst diejenigen, denen die Frage, ob überhaupt
der Pollen zur Samenbildung nöthig sei, die Hauptsache war.
In diese Abtheilung gehören Bradley, Logan, Müller,
Gleditsch. Andere nahmen dagegen die Sexualität überhaupt
als erwiesen an und suchten zu zeigen, auf welche Weise der
Pollen die Befruchtung des Samens bewirke; dahin gehören
Geoffroy und Morland. Eine zweite Classe der hier in

Geſchichte der Sexualtheorie.
3.
Verbreitung der neuen Lehre, ihre Anhänger und Gegner.
1700-1760.

Kein Theil der Botanik iſt ſo oft hiſtoriſch behandelt wor-
den, wie die Lehre von der Sexualität der Pflanzen. Da je-
doch die Mehrzahl der Berichterſtatter die Quellen nicht aufſuchten,
ſo ſind die Verdienſte der wirklichen Begründer und Förderer
der Lehre vielfach zum Vortheil Anderer verdunkelt worden;
ſelbſt deutſche Botaniker haben das Verdienſt des Camerarius,
weil ſie deſſen Schriften nicht kannten oder kein Urtheil über
die Frage und ihre Löſung hatten, Franzoſen und Engländern
zugeſchrieben. Ich habe es mir angelegen ſein laſſen, die Lite-
teratur des 18. Jahrhunderts in dieſer Beziehung ſorgfältig zu
durchforſchen und werde hier zu zeigen verſuchen, in wie weit
vor Koelreuter noch irgend Jemand zur Gründung der
Sexu[al]theorie thatſächlich Etwas beigetragen hat. Wie es bei
großen Neuerungen in der Wiſſenſchaft immer zu gehen pflegt,
fanden ſich ſolche, welche die neue Theorie einfach leugneten,
Viele, die ſie ohne Verſtändniß des Fragepunctes annahmen,
Andere, welche ſie von herrſchenden Vorurtheilen durchdrungen
ſchief auffaßten und entſtellten, Manche, die es verſuchten, das
Verdienſt des Entdeckers ſich ſelbſt zuzuſchreiben und nur ſehr
Wenige, welche mit richtigem Verſtändniß der Frage durch neue
Unterſuchungen die Sache förderten.

Von denen, welche durch eigene Beobachtungen zur Löſung
der Frage beizutragen ſuchten, ſind aber zwei Abtheilungen zu
unterſcheiden; zuerſt diejenigen, denen die Frage, ob überhaupt
der Pollen zur Samenbildung nöthig ſei, die Hauptſache war.
In dieſe Abtheilung gehören Bradley, Logan, Müller,
Gleditſch. Andere nahmen dagegen die Sexualität überhaupt
als erwieſen an und ſuchten zu zeigen, auf welche Weiſe der
Pollen die Befruchtung des Samens bewirke; dahin gehören
Geoffroy und Morland. Eine zweite Claſſe der hier in

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[422/0434] Geſchichte der Sexualtheorie. 3. Verbreitung der neuen Lehre, ihre Anhänger und Gegner. 1700-1760. Kein Theil der Botanik iſt ſo oft hiſtoriſch behandelt wor- den, wie die Lehre von der Sexualität der Pflanzen. Da je- doch die Mehrzahl der Berichterſtatter die Quellen nicht aufſuchten, ſo ſind die Verdienſte der wirklichen Begründer und Förderer der Lehre vielfach zum Vortheil Anderer verdunkelt worden; ſelbſt deutſche Botaniker haben das Verdienſt des Camerarius, weil ſie deſſen Schriften nicht kannten oder kein Urtheil über die Frage und ihre Löſung hatten, Franzoſen und Engländern zugeſchrieben. Ich habe es mir angelegen ſein laſſen, die Lite- teratur des 18. Jahrhunderts in dieſer Beziehung ſorgfältig zu durchforſchen und werde hier zu zeigen verſuchen, in wie weit vor Koelreuter noch irgend Jemand zur Gründung der Sexualtheorie thatſächlich Etwas beigetragen hat. Wie es bei großen Neuerungen in der Wiſſenſchaft immer zu gehen pflegt, fanden ſich ſolche, welche die neue Theorie einfach leugneten, Viele, die ſie ohne Verſtändniß des Fragepunctes annahmen, Andere, welche ſie von herrſchenden Vorurtheilen durchdrungen ſchief auffaßten und entſtellten, Manche, die es verſuchten, das Verdienſt des Entdeckers ſich ſelbſt zuzuſchreiben und nur ſehr Wenige, welche mit richtigem Verſtändniß der Frage durch neue Unterſuchungen die Sache förderten. Von denen, welche durch eigene Beobachtungen zur Löſung der Frage beizutragen ſuchten, ſind aber zwei Abtheilungen zu unterſcheiden; zuerſt diejenigen, denen die Frage, ob überhaupt der Pollen zur Samenbildung nöthig ſei, die Hauptſache war. In dieſe Abtheilung gehören Bradley, Logan, Müller, Gleditſch. Andere nahmen dagegen die Sexualität überhaupt als erwieſen an und ſuchten zu zeigen, auf welche Weiſe der Pollen die Befruchtung des Samens bewirke; dahin gehören Geoffroy und Morland. Eine zweite Claſſe der hier in

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Zitationshilfe: Sachs, Julius: Geschichte der Botanik. München, 1875, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sachs_botanik_1875/434>, abgerufen am 26.04.2024.