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Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791.

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thige Vernunftmoral lehren oder wenigstens wünschen
muss,) die Kräfte brauchen, die wir haben, und Kräfte
suchen, die wir noch nicht haben, um die Harmonie
zwischen uns und dem allerhöchsten Geiste herzustel-
len, und macht uns dadurch des Friedens empfänglich,
den die Welt nicht hat und nicht kennt und nicht em-
pfangen kann, weil sie den Geist des Friedens nicht
hat und nicht kennt und nicht empfangen kann. Sie
lehrt uns arbeiten und genügsam seyn, und die Früchte
der Arbeit und Genügsamkeit in Liebe ausspenden. Sie
lehrt uns alle unsere Sorgen in einen Vaterschooss wer-
fen, der gross genug ist, sie aufzunehmen, und auch im
Leiden den Finger der Liebe finden, die den Ihrigen alles
Uebel zum Fussgestelle des Wohlseyns macht. Sie lehrt
uns an alles Wahre glauben und alles Falsche verach-
ten, das Beste über alles hochachten und das Schönste
über alles lieben, das Gute thun und das Böse meiden,
das Widrige dulden und das Bessere erwarten, das Zer-
rüttete ordnen und das Versäumte hereinbringen, das
Unvergängliche suchen und das Vergängliche gebrau-
chen, als wenn wir es nicht brauchten, und durch alle
diese Uebungen und Prüfungen des höchsten Guts fä-
hig werden. Sie lehrt uns Gott vor allen andern Din-
gen, und in Gott -- je länger je mehr nur Gott suchen
und finden -- ein Beweis ihrer Reinheit; sie lehrt
uns aber auch, um Gott zu suchen, wie wir sollen
und zu finden, wie wir wünschen, "zuerst die Eigen-
"liebe, als die Säule, die alle Unordnung im Men-
"schen unterhält, mit grossherzigem Eifer umwerfen,
"weil, wenn diese umgeworfen ist, alle Mauren der

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thige Vernunftmoral lehren oder wenigſtens wünſchen
muſs,) die Kräfte brauchen, die wir haben, und Kräfte
ſuchen, die wir noch nicht haben, um die Harmonie
zwiſchen uns und dem allerhöchſten Geiſte herzuſtel-
len, und macht uns dadurch des Friedens empfänglich,
den die Welt nicht hat und nicht kennt und nicht em-
pfangen kann, weil ſie den Geiſt des Friedens nicht
hat und nicht kennt und nicht empfangen kann. Sie
lehrt uns arbeiten und genügſam ſeyn, und die Früchte
der Arbeit und Genügſamkeit in Liebe ausſpenden. Sie
lehrt uns alle unſere Sorgen in einen Vaterſchooſs wer-
fen, der groſs genug iſt, ſie aufzunehmen, und auch im
Leiden den Finger der Liebe finden, die den Ihrigen alles
Uebel zum Fuſsgeſtelle des Wohlſeyns macht. Sie lehrt
uns an alles Wahre glauben und alles Falſche verach-
ten, das Beſte über alles hochachten und das Schönſte
über alles lieben, das Gute thun und das Böſe meiden,
das Widrige dulden und das Beſſere erwarten, das Zer-
rüttete ordnen und das Verſäumte hereinbringen, das
Unvergängliche ſuchen und das Vergängliche gebrau-
chen, als wenn wir es nicht brauchten, und durch alle
dieſe Uebungen und Prüfungen des höchſten Guts fä-
hig werden. Sie lehrt uns Gott vor allen andern Din-
gen, und in Gott — je länger je mehr nur Gott ſuchen
und finden — ein Beweis ihrer Reinheit; ſie lehrt
uns aber auch, um Gott zu ſuchen, wie wir ſollen
und zu finden, wie wir wünſchen, „zuerſt die Eigen-
„liebe, als die Säule, die alle Unordnung im Men-
„ſchen unterhält, mit groſsherzigem Eifer umwerfen,
„weil, wenn dieſe umgeworfen iſt, alle Mauren der

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[92/0106] thige Vernunftmoral lehren oder wenigſtens wünſchen muſs,) die Kräfte brauchen, die wir haben, und Kräfte ſuchen, die wir noch nicht haben, um die Harmonie zwiſchen uns und dem allerhöchſten Geiſte herzuſtel- len, und macht uns dadurch des Friedens empfänglich, den die Welt nicht hat und nicht kennt und nicht em- pfangen kann, weil ſie den Geiſt des Friedens nicht hat und nicht kennt und nicht empfangen kann. Sie lehrt uns arbeiten und genügſam ſeyn, und die Früchte der Arbeit und Genügſamkeit in Liebe ausſpenden. Sie lehrt uns alle unſere Sorgen in einen Vaterſchooſs wer- fen, der groſs genug iſt, ſie aufzunehmen, und auch im Leiden den Finger der Liebe finden, die den Ihrigen alles Uebel zum Fuſsgeſtelle des Wohlſeyns macht. Sie lehrt uns an alles Wahre glauben und alles Falſche verach- ten, das Beſte über alles hochachten und das Schönſte über alles lieben, das Gute thun und das Böſe meiden, das Widrige dulden und das Beſſere erwarten, das Zer- rüttete ordnen und das Verſäumte hereinbringen, das Unvergängliche ſuchen und das Vergängliche gebrau- chen, als wenn wir es nicht brauchten, und durch alle dieſe Uebungen und Prüfungen des höchſten Guts fä- hig werden. Sie lehrt uns Gott vor allen andern Din- gen, und in Gott — je länger je mehr nur Gott ſuchen und finden — ein Beweis ihrer Reinheit; ſie lehrt uns aber auch, um Gott zu ſuchen, wie wir ſollen und zu finden, wie wir wünſchen, „zuerſt die Eigen- „liebe, als die Säule, die alle Unordnung im Men- „ſchen unterhält, mit groſsherzigem Eifer umwerfen, „weil, wenn dieſe umgeworfen iſt, alle Mauren der „Un-

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Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Kurzgefaßte Erinnerungen an junge Prediger. München, 1791, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_prediger_1791/106>, abgerufen am 26.04.2024.