Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Dritter Abschnitt.
Seneka.Der christliche Weise.
Das schick-
sal träge er-
warten gränzt
an Furchtsam-
keit: so wie
es ein Beweis
der Weinliebe
ist, wenn ei-
ner die Flasche
rein ausleeret,
und auch die
Hefe trinkt.
Immer und ganz für sei-
ne Pflicht, und gar nicht
für sein Schicksal besorgt
seyn -- das gränzt nicht et-
wa an Weisheit, sondern ist
selbst höchste Menschenweis-
heit: so wie es ein Beweis
der vollkommensten Tugend
ist, wenn einer weder auf Län-
ge noch Kürze des Lebens rech-
net, sondern jeden Augenblick,
der ihm wird, zum thätigen
Preise des Schöpfers, das
heißt, zu eignem, und fremden
Wohl nutzt, als wäre er der
einzige und letzte dieses Lebens.
Wenn die
Glieder des
Körpers zu ih-
ren Amtsver-
richtungen un-
nütz sind: wa-
Wenn gleich die Werkzeu-
ge des Körpers zu allen ihren
Verrichtungen untauglich
tra modum deditus vino est, qui amphoram
exsiccat, et faecem quoque exsorbet. -- Si
inutile ministeriis est corpus, quidni oporteat
educere animum laborantem? --

wer-
Et

Dritter Abſchnitt.
Seneka.Der chriſtliche Weiſe.
Das ſchick-
ſal traͤge er-
warten graͤnzt
an Furchtſam-
keit: ſo wie
es ein Beweis
der Weinliebe
iſt, wenn ei-
ner die Flaſche
rein ausleeret,
und auch die
Hefe trinkt.
Immer und ganz fuͤr ſei-
ne Pflicht, und gar nicht
fuͤr ſein Schickſal beſorgt
ſeyn — das graͤnzt nicht et-
wa an Weisheit, ſondern iſt
ſelbſt hoͤchſte Menſchenweis-
heit: ſo wie es ein Beweis
der vollkommenſten Tugend
iſt, wenn einer weder auf Laͤn-
ge noch Kuͤrze des Lebens rech-
net, ſondern jeden Augenblick,
der ihm wird, zum thaͤtigen
Preiſe des Schoͤpfers, das
heißt, zu eignem, und fremden
Wohl nutzt, als waͤre er der
einzige und letzte dieſes Lebens.
Wenn die
Glieder des
Koͤrpers zu ih-
ren Amtsver-
richtungen un-
nuͤtz ſind: wa-
Wenn gleich die Werkzeu-
ge des Koͤrpers zu allen ihren
Verrichtungen untauglich
tra modum deditus vino eſt, qui amphoram
exſiccat, et faecem quoque exſorbet. — Si
inutile miniſteriis eſt corpus, quidni oporteat
educere animum laborantem? —

wer-
Et
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0184" n="172"/>
              <fw place="top" type="header">Dritter Ab&#x017F;chnitt.</fw><lb/>
              <table>
                <row>
                  <cell> <hi rendition="#fr">Seneka.</hi> </cell>
                  <cell> <hi rendition="#fr">Der chri&#x017F;tliche Wei&#x017F;e.</hi> </cell>
                </row><lb/>
                <row>
                  <cell>Das &#x017F;chick-<lb/>
&#x017F;al tra&#x0364;ge er-<lb/>
warten gra&#x0364;nzt<lb/>
an Furcht&#x017F;am-<lb/>
keit: &#x017F;o wie<lb/>
es ein Beweis<lb/>
der Weinliebe<lb/>
i&#x017F;t, wenn ei-<lb/>
ner die Fla&#x017F;che<lb/>
rein ausleeret,<lb/>
und auch die<lb/>
Hefe trinkt.</cell>
                  <cell>Immer und ganz fu&#x0364;r &#x017F;ei-<lb/>
ne <hi rendition="#fr">Pflicht,</hi> und gar nicht<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ein <hi rendition="#fr">Schick&#x017F;al</hi> be&#x017F;orgt<lb/>
&#x017F;eyn &#x2014; das gra&#x0364;nzt nicht et-<lb/>
wa an Weisheit, &#x017F;ondern i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ho&#x0364;ch&#x017F;te Men&#x017F;chenweis-<lb/>
heit: &#x017F;o wie es ein Beweis<lb/>
der vollkommen&#x017F;ten Tugend<lb/>
i&#x017F;t, wenn einer weder auf La&#x0364;n-<lb/>
ge noch Ku&#x0364;rze des Lebens rech-<lb/>
net, &#x017F;ondern jeden Augenblick,<lb/>
der ihm wird, zum tha&#x0364;tigen<lb/>
Prei&#x017F;e des Scho&#x0364;pfers, das<lb/>
heißt, zu eignem, und fremden<lb/>
Wohl nutzt, als wa&#x0364;re er der<lb/>
einzige und letzte die&#x017F;es Lebens.</cell>
                </row><lb/>
                <row>
                  <cell>Wenn die<lb/>
Glieder des<lb/>
Ko&#x0364;rpers zu ih-<lb/>
ren Amtsver-<lb/>
richtungen un-<lb/>
nu&#x0364;tz &#x017F;ind: wa-</cell>
                  <cell>Wenn gleich die Werkzeu-<lb/>
ge des Ko&#x0364;rpers zu allen ihren<lb/>
Verrichtungen untauglich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wer-</fw></cell>
                </row><lb/>
              </table> <hi rendition="#aq">tra modum deditus vino e&#x017F;t, qui amphoram<lb/>
ex&#x017F;iccat, et faecem quoque ex&#x017F;orbet. &#x2014; Si<lb/>
inutile mini&#x017F;teriis e&#x017F;t corpus, quidni oporteat<lb/>
educere animum laborantem? &#x2014;</hi> </p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">Et</hi> </fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0184] Dritter Abſchnitt. Seneka. Der chriſtliche Weiſe. Das ſchick- ſal traͤge er- warten graͤnzt an Furchtſam- keit: ſo wie es ein Beweis der Weinliebe iſt, wenn ei- ner die Flaſche rein ausleeret, und auch die Hefe trinkt. Immer und ganz fuͤr ſei- ne Pflicht, und gar nicht fuͤr ſein Schickſal beſorgt ſeyn — das graͤnzt nicht et- wa an Weisheit, ſondern iſt ſelbſt hoͤchſte Menſchenweis- heit: ſo wie es ein Beweis der vollkommenſten Tugend iſt, wenn einer weder auf Laͤn- ge noch Kuͤrze des Lebens rech- net, ſondern jeden Augenblick, der ihm wird, zum thaͤtigen Preiſe des Schoͤpfers, das heißt, zu eignem, und fremden Wohl nutzt, als waͤre er der einzige und letzte dieſes Lebens. Wenn die Glieder des Koͤrpers zu ih- ren Amtsver- richtungen un- nuͤtz ſind: wa- Wenn gleich die Werkzeu- ge des Koͤrpers zu allen ihren Verrichtungen untauglich wer- tra modum deditus vino eſt, qui amphoram exſiccat, et faecem quoque exſorbet. — Si inutile miniſteriis eſt corpus, quidni oporteat educere animum laborantem? — Et

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/184
Zitationshilfe: Sailer, Johann Michael: Über den Selbstmord. München, 1785, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sailer_selbstmord_1785/184>, abgerufen am 26.04.2024.