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Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783.

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hält den sterbend hinsinkenden Kardinal, der im faltigten
Kleide mit dem Kreutz auf der Brust, und die Mütze
vor sich habend, da liegt. Hinter seinem Kopf, der in
ihrem Arme ruht, stehen 2. Genii, und halten sein Wap-
pen zu seinen Füssen. -- Aber das Kostbarste, Unbe-
schreiblichste ist eine weibliche Figur, die mit einem auf-
geschlagenen Buch auf ihren Knien, die Wissenschaften
vorstellt. Sie ist auf die rechte Seite hingelehnt, hält
die Hand vors Gesicht, und trauert, weint um ihn. Dra-
perien, Stellungen, Gesichtszüge, Ausdruck des Affekts,
-- kurz alles ist herrlich. Fr. Girardon Tricassin
invenit et sculpsit.
1694. steht an der Leiste des Un-
tersatzes auf der Gesichtsseite des untenliegenden Frauen-
zimmers.
IV) Die Kuppel (Dome) dieser Kirche. Sie
ist oben mit Gemälden und Gypsarbeiten unvergleichlich
geziert, und wird von 4. so dicken Pfeilern getragen, daß
man die Passage von einem zu dem andern zu Betkapel-
len aptiren konnte. Ist man in so einem Oratorio,
so sieht man, daß es nichts ist, als die einzige Mauer,
und oben ein Theil vom Gewölbe. Auf den Abend be-
suchte ich

La Comedie italienne. Auch das muß man in
Paris sehen, und sie verdient's mehr, als die französi-
sche. Man nennt sie so, weil dreimahl in der Woche
italiänische Stücke da aufgeführt werden, und sonst auch
mehr gesungen wird. Die Musik ist nach der Oper hier
am schönsten. Das Theater und das Gebäude ist viel
grösser. Die Komödianten singen und spielen alle sehr
gut. Ich sahe Lucile aufführen. Es spielte einer eine
Rolle im Schlafrocke, die er unvergleichlich natürlich

machte.
haͤlt den ſterbend hinſinkenden Kardinal, der im faltigten
Kleide mit dem Kreutz auf der Bruſt, und die Muͤtze
vor ſich habend, da liegt. Hinter ſeinem Kopf, der in
ihrem Arme ruht, ſtehen 2. Genii, und halten ſein Wap-
pen zu ſeinen Fuͤſſen. — Aber das Koſtbarſte, Unbe-
ſchreiblichſte iſt eine weibliche Figur, die mit einem auf-
geſchlagenen Buch auf ihren Knien, die Wiſſenſchaften
vorſtellt. Sie iſt auf die rechte Seite hingelehnt, haͤlt
die Hand vors Geſicht, und trauert, weint um ihn. Dra-
perien, Stellungen, Geſichtszuͤge, Ausdruck des Affekts,
— kurz alles iſt herrlich. Fr. Girardon Tricaſſin
invenit et ſculpſit.
1694. ſteht an der Leiſte des Un-
terſatzes auf der Geſichtsſeite des untenliegenden Frauen-
zimmers.
IV) Die Kuppel (Dome) dieſer Kirche. Sie
iſt oben mit Gemaͤlden und Gypsarbeiten unvergleichlich
geziert, und wird von 4. ſo dicken Pfeilern getragen, daß
man die Paſſage von einem zu dem andern zu Betkapel-
len aptiren konnte. Iſt man in ſo einem Oratorio,
ſo ſieht man, daß es nichts iſt, als die einzige Mauer,
und oben ein Theil vom Gewoͤlbe. Auf den Abend be-
ſuchte ich

La Comedie italienne. Auch das muß man in
Paris ſehen, und ſie verdient’s mehr, als die franzoͤſi-
ſche. Man nennt ſie ſo, weil dreimahl in der Woche
italiaͤniſche Stuͤcke da aufgefuͤhrt werden, und ſonſt auch
mehr geſungen wird. Die Muſik iſt nach der Oper hier
am ſchoͤnſten. Das Theater und das Gebaͤude iſt viel
groͤſſer. Die Komoͤdianten ſingen und ſpielen alle ſehr
gut. Ich ſahe Lucile auffuͤhren. Es ſpielte einer eine
Rolle im Schlafrocke, die er unvergleichlich natuͤrlich

machte.
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[253/0277] haͤlt den ſterbend hinſinkenden Kardinal, der im faltigten Kleide mit dem Kreutz auf der Bruſt, und die Muͤtze vor ſich habend, da liegt. Hinter ſeinem Kopf, der in ihrem Arme ruht, ſtehen 2. Genii, und halten ſein Wap- pen zu ſeinen Fuͤſſen. — Aber das Koſtbarſte, Unbe- ſchreiblichſte iſt eine weibliche Figur, die mit einem auf- geſchlagenen Buch auf ihren Knien, die Wiſſenſchaften vorſtellt. Sie iſt auf die rechte Seite hingelehnt, haͤlt die Hand vors Geſicht, und trauert, weint um ihn. Dra- perien, Stellungen, Geſichtszuͤge, Ausdruck des Affekts, — kurz alles iſt herrlich. Fr. Girardon Tricaſſin invenit et ſculpſit. 1694. ſteht an der Leiſte des Un- terſatzes auf der Geſichtsſeite des untenliegenden Frauen- zimmers. IV) Die Kuppel (Dome) dieſer Kirche. Sie iſt oben mit Gemaͤlden und Gypsarbeiten unvergleichlich geziert, und wird von 4. ſo dicken Pfeilern getragen, daß man die Paſſage von einem zu dem andern zu Betkapel- len aptiren konnte. Iſt man in ſo einem Oratorio, ſo ſieht man, daß es nichts iſt, als die einzige Mauer, und oben ein Theil vom Gewoͤlbe. Auf den Abend be- ſuchte ich La Comedie italienne. Auch das muß man in Paris ſehen, und ſie verdient’s mehr, als die franzoͤſi- ſche. Man nennt ſie ſo, weil dreimahl in der Woche italiaͤniſche Stuͤcke da aufgefuͤhrt werden, und ſonſt auch mehr geſungen wird. Die Muſik iſt nach der Oper hier am ſchoͤnſten. Das Theater und das Gebaͤude iſt viel groͤſſer. Die Komoͤdianten ſingen und ſpielen alle ſehr gut. Ich ſahe Lucile auffuͤhren. Es ſpielte einer eine Rolle im Schlafrocke, die er unvergleichlich natuͤrlich machte.

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Zitationshilfe: Sander, Heinrich: Beschreibung seiner Reisen durch Frankreich, die Niederlande, Holland, Deutschland und Italien. Bd. 1. Leipzig, 1783, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sander_beschreibung01_1783/277>, abgerufen am 26.04.2024.