Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699.

Bild:
<< vorherige Seite
Von Vbung deß innerlichen Gebetts.


Ein sehr nützlicher Vnterricht umb daß innerli-
liche Gebett ordentlich und wohl zu üben.

DAs innerliche Gebett ist zweyfachig; das eine Beweglich/ das
andere Verständlich. Das Bewegliche bestehet darinn/
daß der Bettende/ nach vorhergehender Begreiffung der Göttli-
then Dinge/ seine gute Neigungen erwecke. Das verständliche Ge-
bett
ist eine Erhebung deß Gemüts zu Gott/ so da vermittelst der vernünfft-
lichen Wirckungen vorgenommen wird. Dieses verständliche Ge-
bett
wird vertheilt in das Gedencken/ in die Betrachtung/ und in
die Beschauung. Das Gedencken ist eine unvorsichtliche Erwe-
gung GOttes/ oder deren Dingen/ so demselben angehörig seynd. Die
Betrachtung
ist ein auffmercksame Erwegung/ welche nicht eilfertig/
sondern allgemach die Natur/ die Eigenschafften und Würckungen eines
jeden Dings nützlich erforschet/ auff daß sie Gott ihre/ den Affect oder gute
Neigung bewege/ reine und inbrünstige Gebett/ sambt Besserung deß Le-
bens hervorbringe. Die Beschauung ist eine auffrichtige Einsehung
GOttes und der Göttlichen Dingen/ welche sprachloß ist/ und die Liebe
GOttes ins Hertz der Menschen einführet.

Die Materi/ oder Sach/ worüber man seine Betrachtung halten will/
ist ebenfals dreyfachig den dreyen Wegen oder Ständen deß Menschen
gemäß außgetheilet: als da ist der erste der Stand der Keinigung
oder Säuberung;
der andere der Erleuchtung; und der dritte der
Vereinigung;
So lang nun der Mensch noch wanderet auff dem Weeg
der Säuberung oder Keinigung/
soll er immer seine Betrach-
tungen anstellen von den Sünden/ von der Versuchung/ von der mensch-
lichen Armseeligkeit/ von den vier letzten/ und andern dergleichen Dingen/
dadurch er zur wahren Reu und Leyd beweget werde. Jst er nun durch
die Gnad GOttes von diesem Weeg zum Weeg der Erleuchtung ge-
schritten/ so soll die Materi seiner Betrachtung seyn/ das Leben Christi o-
der dessen Heiligen; die Regul deß Ordens/ wie nicht wenig die Mitteln/
krafft deren er in seinem guten Vorhaben zunehmen möge/ und andere.
Endlich auffm Weeg oder im Stand der Vereinigung/ soll seyn die
Sach oder Materi/ darüber die Betrachtung gehalten wird; die Göttliche

Eigen-
N n n
Von Vbung deß innerlichen Gebetts.


Ein ſehr nuͤtzlicher Vnterricht umb daß innerli-
liche Gebett ordentlich und wohl zu uͤben.

DAs innerliche Gebett iſt zweyfachig; das eine Beweglich/ das
andere Verſtaͤndlich. Das Bewegliche beſtehet darinn/
daß der Bettende/ nach vorhergehender Begreiffung der Goͤttli-
then Dinge/ ſeine gute Neigungen erwecke. Das verſtaͤndliche Ge-
bett
iſt eine Erhebung deß Gemuͤts zu Gott/ ſo da vermittelſt der vernuͤnfft-
lichen Wirckungen vorgenommen wird. Dieſes verſtaͤndliche Ge-
bett
wird vertheilt in das Gedencken/ in die Betrachtung/ und in
die Beſchauung. Das Gedencken iſt eine unvorſichtliche Erwe-
gung GOttes/ oder deren Dingen/ ſo demſelben angehoͤrig ſeynd. Die
Betrachtung
iſt ein auffmerckſame Erwegung/ welche nicht eilfertig/
ſondern allgemach die Natur/ die Eigenſchafften und Wuͤrckungen eines
jeden Dings nuͤtzlich erforſchet/ auff daß ſie Gott ihre/ den Affect oder gute
Neigung bewege/ reine und inbruͤnſtige Gebett/ ſambt Beſſerung deß Le-
bens hervorbringe. Die Beſchauung iſt eine auffrichtige Einſehung
GOttes und der Goͤttlichen Dingen/ welche ſprachloß iſt/ und die Liebe
GOttes ins Hertz der Menſchen einfuͤhret.

Die Materi/ oder Sach/ woruͤber man ſeine Betrachtung halten will/
iſt ebenfals dreyfachig den dreyen Wegen oder Staͤnden deß Menſchen
gemaͤß außgetheilet: als da iſt der erſte der Stand der Keinigung
oder Saͤuberung;
der andere der Erleuchtung; und der dritte der
Vereinigung;
So lang nun der Menſch noch wanderet auff dem Weeg
der Saͤuberung oder Keinigung/
ſoll er immer ſeine Betrach-
tungen anſtellen von den Suͤnden/ von der Verſuchung/ von der menſch-
lichen Armſeeligkeit/ von den vier letzten/ und andern dergleichen Dingen/
dadurch er zur wahren Reu und Leyd beweget werde. Jſt er nun durch
die Gnad GOttes von dieſem Weeg zum Weeg der Erleuchtung ge-
ſchritten/ ſo ſoll die Materi ſeiner Betrachtung ſeyn/ das Leben Chriſti o-
der deſſen Heiligen; die Regul deß Ordens/ wie nicht wenig die Mitteln/
krafft deren er in ſeinem guten Vorhaben zunehmen moͤge/ und andere.
Endlich auffm Weeg oder im Stand der Vereinigung/ ſoll ſeyn die
Sach oder Materi/ daruͤber die Betrachtung gehalten wird; die Goͤttliche

Eigen-
N n n
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0493" n="465"/>
          <fw place="top" type="header">Von Vbung deß innerlichen Gebetts.</fw><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#b">Ein &#x017F;ehr nu&#x0364;tzlicher Vnterricht umb daß innerli-</hi><lb/>
liche Gebett ordentlich und wohl zu u&#x0364;ben.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">D</hi>As innerliche Gebett i&#x017F;t zweyfachig; das eine <hi rendition="#fr">Beweglich/</hi> das<lb/>
andere <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich.</hi> Das <hi rendition="#fr">Bewegliche</hi> be&#x017F;tehet darinn/<lb/>
daß der Bettende/ nach vorhergehender Begreiffung der Go&#x0364;ttli-<lb/>
then Dinge/ &#x017F;eine gute Neigungen erwecke. Das <hi rendition="#fr">ver&#x017F;ta&#x0364;ndliche Ge-<lb/>
bett</hi> i&#x017F;t eine Erhebung deß Gemu&#x0364;ts zu Gott/ &#x017F;o da vermittel&#x017F;t der vernu&#x0364;nfft-<lb/>
lichen Wirckungen vorgenommen wird. Die&#x017F;es <hi rendition="#fr">ver&#x017F;ta&#x0364;ndliche Ge-<lb/>
bett</hi> wird vertheilt in das <hi rendition="#fr">Gedencken/</hi> in die <hi rendition="#fr">Betrachtung/</hi> und in<lb/>
die <hi rendition="#fr">Be&#x017F;chauung. Das Gedencken</hi> i&#x017F;t eine unvor&#x017F;ichtliche Erwe-<lb/>
gung GOttes/ oder deren Dingen/ &#x017F;o dem&#x017F;elben angeho&#x0364;rig &#x017F;eynd. <hi rendition="#fr">Die<lb/>
Betrachtung</hi> i&#x017F;t ein auffmerck&#x017F;ame Erwegung/ welche nicht eilfertig/<lb/>
&#x017F;ondern allgemach die Natur/ die Eigen&#x017F;chafften und <hi rendition="#fr">W</hi>u&#x0364;rckungen eines<lb/>
jeden Dings nu&#x0364;tzlich erfor&#x017F;chet/ auff daß &#x017F;ie Gott ihre/ den Affect oder gute<lb/>
Neigung bewege/ reine und inbru&#x0364;n&#x017F;tige Gebett/ &#x017F;ambt Be&#x017F;&#x017F;erung deß Le-<lb/>
bens hervorbringe. <hi rendition="#fr">Die Be&#x017F;chauung</hi> i&#x017F;t eine auffrichtige Ein&#x017F;ehung<lb/>
GOttes und der Go&#x0364;ttlichen Dingen/ welche &#x017F;prachloß i&#x017F;t/ und die Liebe<lb/>
GOttes ins Hertz der Men&#x017F;chen einfu&#x0364;hret.</p><lb/>
            <p>Die Materi/ oder Sach/ woru&#x0364;ber man &#x017F;eine Betrachtung halten will/<lb/>
i&#x017F;t ebenfals dreyfachig den dreyen Wegen oder Sta&#x0364;nden deß Men&#x017F;chen<lb/>
gema&#x0364;ß außgetheilet: als da i&#x017F;t der er&#x017F;te der <hi rendition="#fr">Stand der Keinigung<lb/>
oder Sa&#x0364;uberung;</hi> der andere <hi rendition="#fr">der Erleuchtung;</hi> und der dritte <hi rendition="#fr">der<lb/>
Vereinigung;</hi> So lang nun der Men&#x017F;ch noch wanderet auff dem <hi rendition="#fr">Weeg<lb/>
der Sa&#x0364;uberung oder Keinigung/</hi> &#x017F;oll er immer &#x017F;eine Betrach-<lb/>
tungen an&#x017F;tellen von den Su&#x0364;nden/ von der Ver&#x017F;uchung/ von der men&#x017F;ch-<lb/>
lichen Arm&#x017F;eeligkeit/ von den vier letzten/ und andern dergleichen Dingen/<lb/>
dadurch er zur wahren Reu und Leyd beweget werde. J&#x017F;t er nun durch<lb/>
die Gnad GOttes von die&#x017F;em Weeg zum Weeg der <hi rendition="#fr">Erleuchtung</hi> ge-<lb/>
&#x017F;chritten/ &#x017F;o &#x017F;oll die Materi &#x017F;einer Betrachtung &#x017F;eyn/ das Leben Chri&#x017F;ti o-<lb/>
der de&#x017F;&#x017F;en Heiligen; die Regul deß Ordens/ wie nicht wenig die Mitteln/<lb/>
krafft deren er in &#x017F;einem guten Vorhaben zunehmen mo&#x0364;ge/ und andere.<lb/>
Endlich auffm Weeg oder im Stand der <hi rendition="#fr">Vereinigung/</hi> &#x017F;oll &#x017F;eyn die<lb/>
Sach oder Materi/ daru&#x0364;ber die Betrachtung gehalten wird; die Go&#x0364;ttliche<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N n n</fw><fw place="bottom" type="catch">Eigen-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[465/0493] Von Vbung deß innerlichen Gebetts. Ein ſehr nuͤtzlicher Vnterricht umb daß innerli- liche Gebett ordentlich und wohl zu uͤben. DAs innerliche Gebett iſt zweyfachig; das eine Beweglich/ das andere Verſtaͤndlich. Das Bewegliche beſtehet darinn/ daß der Bettende/ nach vorhergehender Begreiffung der Goͤttli- then Dinge/ ſeine gute Neigungen erwecke. Das verſtaͤndliche Ge- bett iſt eine Erhebung deß Gemuͤts zu Gott/ ſo da vermittelſt der vernuͤnfft- lichen Wirckungen vorgenommen wird. Dieſes verſtaͤndliche Ge- bett wird vertheilt in das Gedencken/ in die Betrachtung/ und in die Beſchauung. Das Gedencken iſt eine unvorſichtliche Erwe- gung GOttes/ oder deren Dingen/ ſo demſelben angehoͤrig ſeynd. Die Betrachtung iſt ein auffmerckſame Erwegung/ welche nicht eilfertig/ ſondern allgemach die Natur/ die Eigenſchafften und Wuͤrckungen eines jeden Dings nuͤtzlich erforſchet/ auff daß ſie Gott ihre/ den Affect oder gute Neigung bewege/ reine und inbruͤnſtige Gebett/ ſambt Beſſerung deß Le- bens hervorbringe. Die Beſchauung iſt eine auffrichtige Einſehung GOttes und der Goͤttlichen Dingen/ welche ſprachloß iſt/ und die Liebe GOttes ins Hertz der Menſchen einfuͤhret. Die Materi/ oder Sach/ woruͤber man ſeine Betrachtung halten will/ iſt ebenfals dreyfachig den dreyen Wegen oder Staͤnden deß Menſchen gemaͤß außgetheilet: als da iſt der erſte der Stand der Keinigung oder Saͤuberung; der andere der Erleuchtung; und der dritte der Vereinigung; So lang nun der Menſch noch wanderet auff dem Weeg der Saͤuberung oder Keinigung/ ſoll er immer ſeine Betrach- tungen anſtellen von den Suͤnden/ von der Verſuchung/ von der menſch- lichen Armſeeligkeit/ von den vier letzten/ und andern dergleichen Dingen/ dadurch er zur wahren Reu und Leyd beweget werde. Jſt er nun durch die Gnad GOttes von dieſem Weeg zum Weeg der Erleuchtung ge- ſchritten/ ſo ſoll die Materi ſeiner Betrachtung ſeyn/ das Leben Chriſti o- der deſſen Heiligen; die Regul deß Ordens/ wie nicht wenig die Mitteln/ krafft deren er in ſeinem guten Vorhaben zunehmen moͤge/ und andere. Endlich auffm Weeg oder im Stand der Vereinigung/ ſoll ſeyn die Sach oder Materi/ daruͤber die Betrachtung gehalten wird; die Goͤttliche Eigen- N n n

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/493
Zitationshilfe: Santa Clara, Abraham a: Grammatica Religiosa, Oder Geistliche Tugend-Schul. Köln, 1699, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/santaclara_grammatica_1699/493>, abgerufen am 26.04.2024.