Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Gesetze.
des Rechts, und es könnten daher beide Fragen, obgleich
unverkennbar verwandt, dennoch verschieden beantwortet
werden. An dieser Stelle jedoch ist eine erschöpfende Be-
antwortung der erwähnten Frage noch nicht möglich.
Daher werden bey der Darstellung dieser Lehre die Aus-
sprüche des Römischen Rechts zwar vorläufig benutzt wer-
den, es wird aber einstweilen dahin gestellt bleiben, ob
sie als bindende Gesetze, oder nur als eine wichtige Au-
torität, gelten sollen.

Die Aufgabe dieses Kapitels hat zwey Theile: zu-
nächst die Auslegung der einzelnen Gesetze für sich betrach-
tet, dann die des Quellenkreises im Ganzen. Da nämlich
dieser zur vollständigen Beherrschung des Rechts bestimmt
ist, so muß in ihm sowohl Einheit gefunden werden, als
ein erschöpfendes Ganze. Die erste Forderung macht es
nothwendig, alle Widersprüche zu entfernen, die zweyte,
alle Lücken auszufüllen.

§. 33.
A. Auslegung einzelner Gesetze.
Grundregeln der Auslegung.

Jedes Gesetz ist dazu bestimmt, die Natur eines Rechts-
verhältnisses festzustellen, also irgend einen Gedanken (sey
er einfach oder zusammengesetzt) auszusprechen, wodurch
das Daseyn jenes Rechtsverhältnisses gegen Irrthum und
Willkühr gesichert werde. Soll dieser Zweck erreicht wer-
den, so müssen Die, welche mit dem Rechtsverhältniß in

Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze.
des Rechts, und es könnten daher beide Fragen, obgleich
unverkennbar verwandt, dennoch verſchieden beantwortet
werden. An dieſer Stelle jedoch iſt eine erſchöpfende Be-
antwortung der erwähnten Frage noch nicht möglich.
Daher werden bey der Darſtellung dieſer Lehre die Aus-
ſprüche des Römiſchen Rechts zwar vorläufig benutzt wer-
den, es wird aber einſtweilen dahin geſtellt bleiben, ob
ſie als bindende Geſetze, oder nur als eine wichtige Au-
torität, gelten ſollen.

Die Aufgabe dieſes Kapitels hat zwey Theile: zu-
nächſt die Auslegung der einzelnen Geſetze für ſich betrach-
tet, dann die des Quellenkreiſes im Ganzen. Da nämlich
dieſer zur vollſtändigen Beherrſchung des Rechts beſtimmt
iſt, ſo muß in ihm ſowohl Einheit gefunden werden, als
ein erſchöpfendes Ganze. Die erſte Forderung macht es
nothwendig, alle Widerſprüche zu entfernen, die zweyte,
alle Lücken auszufüllen.

§. 33.
A. Auslegung einzelner Geſetze.
Grundregeln der Auslegung.

Jedes Geſetz iſt dazu beſtimmt, die Natur eines Rechts-
verhältniſſes feſtzuſtellen, alſo irgend einen Gedanken (ſey
er einfach oder zuſammengeſetzt) auszuſprechen, wodurch
das Daſeyn jenes Rechtsverhältniſſes gegen Irrthum und
Willkühr geſichert werde. Soll dieſer Zweck erreicht wer-
den, ſo müſſen Die, welche mit dem Rechtsverhältniß in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0268" n="212"/><fw place="top" type="header">Buch <hi rendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hi rendition="#aq">IV.</hi> Auslegung der Ge&#x017F;etze.</fw><lb/>
des Rechts, und es könnten daher beide Fragen, obgleich<lb/>
unverkennbar verwandt, dennoch ver&#x017F;chieden beantwortet<lb/>
werden. An die&#x017F;er Stelle jedoch i&#x017F;t eine er&#x017F;chöpfende Be-<lb/>
antwortung der erwähnten Frage noch nicht möglich.<lb/>
Daher werden bey der Dar&#x017F;tellung die&#x017F;er Lehre die Aus-<lb/>
&#x017F;prüche des Römi&#x017F;chen Rechts zwar vorläufig benutzt wer-<lb/>
den, es wird aber ein&#x017F;tweilen dahin ge&#x017F;tellt bleiben, ob<lb/>
&#x017F;ie als bindende Ge&#x017F;etze, oder nur als eine wichtige Au-<lb/>
torität, gelten &#x017F;ollen.</p><lb/>
            <p>Die Aufgabe die&#x017F;es Kapitels hat zwey Theile: zu-<lb/>
näch&#x017F;t die Auslegung der einzelnen Ge&#x017F;etze für &#x017F;ich betrach-<lb/>
tet, dann die des Quellenkrei&#x017F;es im Ganzen. Da nämlich<lb/>
die&#x017F;er zur voll&#x017F;tändigen Beherr&#x017F;chung des Rechts be&#x017F;timmt<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;o muß in ihm &#x017F;owohl Einheit gefunden werden, als<lb/>
ein er&#x017F;chöpfendes Ganze. Die er&#x017F;te Forderung macht es<lb/>
nothwendig, alle Wider&#x017F;prüche zu entfernen, die zweyte,<lb/>
alle Lücken auszufüllen.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 33.<lb/><hi rendition="#aq">A.</hi> <hi rendition="#g">Auslegung einzelner Ge&#x017F;etze</hi>.<lb/>
Grundregeln der Auslegung.</head><lb/>
            <p>Jedes Ge&#x017F;etz i&#x017F;t dazu be&#x017F;timmt, die Natur eines Rechts-<lb/>
verhältni&#x017F;&#x017F;es fe&#x017F;tzu&#x017F;tellen, al&#x017F;o irgend einen Gedanken (&#x017F;ey<lb/>
er einfach oder zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt) auszu&#x017F;prechen, wodurch<lb/>
das Da&#x017F;eyn jenes Rechtsverhältni&#x017F;&#x017F;es gegen Irrthum und<lb/>
Willkühr ge&#x017F;ichert werde. Soll die&#x017F;er Zweck erreicht wer-<lb/>
den, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en Die, welche mit dem Rechtsverhältniß in<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0268] Buch I. Quellen. Kap. IV. Auslegung der Geſetze. des Rechts, und es könnten daher beide Fragen, obgleich unverkennbar verwandt, dennoch verſchieden beantwortet werden. An dieſer Stelle jedoch iſt eine erſchöpfende Be- antwortung der erwähnten Frage noch nicht möglich. Daher werden bey der Darſtellung dieſer Lehre die Aus- ſprüche des Römiſchen Rechts zwar vorläufig benutzt wer- den, es wird aber einſtweilen dahin geſtellt bleiben, ob ſie als bindende Geſetze, oder nur als eine wichtige Au- torität, gelten ſollen. Die Aufgabe dieſes Kapitels hat zwey Theile: zu- nächſt die Auslegung der einzelnen Geſetze für ſich betrach- tet, dann die des Quellenkreiſes im Ganzen. Da nämlich dieſer zur vollſtändigen Beherrſchung des Rechts beſtimmt iſt, ſo muß in ihm ſowohl Einheit gefunden werden, als ein erſchöpfendes Ganze. Die erſte Forderung macht es nothwendig, alle Widerſprüche zu entfernen, die zweyte, alle Lücken auszufüllen. §. 33. A. Auslegung einzelner Geſetze. Grundregeln der Auslegung. Jedes Geſetz iſt dazu beſtimmt, die Natur eines Rechts- verhältniſſes feſtzuſtellen, alſo irgend einen Gedanken (ſey er einfach oder zuſammengeſetzt) auszuſprechen, wodurch das Daſeyn jenes Rechtsverhältniſſes gegen Irrthum und Willkühr geſichert werde. Soll dieſer Zweck erreicht wer- den, ſo müſſen Die, welche mit dem Rechtsverhältniß in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/268
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/268>, abgerufen am 26.04.2024.