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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840.

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§. 5. Rechtsinstitut.
§. 5.
Rechtsinstitut.

Das Urtheil über das einzelne Recht ist nur möglich
durch Beziehung der besonderen Thatsachen auf eine all-
gemeine Regel, von welcher die einzelnen Rechte beherrscht
werden. Diese Regel nennen wir das Recht schlecht-
hin, oder das allgemeine Recht: Manche nennen sie das
Recht im objectiven Sinn. Sie erscheint in sichtbarer
Gestalt besonders in dem Gesetz, welches ein Ausspruch
der höchsten Gewalt im Staate über die Rechtsregel ist.

So wie aber das Urtheil über einen einzelnen Rechts-
streit nur eine beschränkte und abhängige Natur hat,
und erst in der Anschauung des Rechtsverhältnisses seine
lebendige Wurzel und seine überzeugende Kraft findet,
auf gleiche Weise verhält es sich mit der Rechtsregel.
Denn auch die Rechtsregel, so wie deren Ausprägung im
Gesetz, hat ihre tiefere Grundlage in der Anschauung des
Rechtsinstituts, und auch dessen organische Natur zeigt
sich sowohl in dem lebendigen Zusammenhang der Be-
standtheile, als in seiner fortschreitenden Entwicklung.
Wenn wir also nicht bey der unmittelbaren Erscheinung
stehen bleiben, sondern auf das Wesen der Sache einge-
hen, so erkennen wir, daß in der That jedes Rechtsver-
hältniß unter einem entsprechenden Rechtsinstitut, als sei-
nem Typus, steht, und von diesem auf gleiche Weise be-
herrscht wird, wie das einzelne Rechtsurtheil von der

§. 5. Rechtsinſtitut.
§. 5.
Rechtsinſtitut.

Das Urtheil über das einzelne Recht iſt nur möglich
durch Beziehung der beſonderen Thatſachen auf eine all-
gemeine Regel, von welcher die einzelnen Rechte beherrſcht
werden. Dieſe Regel nennen wir das Recht ſchlecht-
hin, oder das allgemeine Recht: Manche nennen ſie das
Recht im objectiven Sinn. Sie erſcheint in ſichtbarer
Geſtalt beſonders in dem Geſetz, welches ein Ausſpruch
der höchſten Gewalt im Staate über die Rechtsregel iſt.

So wie aber das Urtheil über einen einzelnen Rechts-
ſtreit nur eine beſchränkte und abhängige Natur hat,
und erſt in der Anſchauung des Rechtsverhältniſſes ſeine
lebendige Wurzel und ſeine überzeugende Kraft findet,
auf gleiche Weiſe verhält es ſich mit der Rechtsregel.
Denn auch die Rechtsregel, ſo wie deren Ausprägung im
Geſetz, hat ihre tiefere Grundlage in der Anſchauung des
Rechtsinſtituts, und auch deſſen organiſche Natur zeigt
ſich ſowohl in dem lebendigen Zuſammenhang der Be-
ſtandtheile, als in ſeiner fortſchreitenden Entwicklung.
Wenn wir alſo nicht bey der unmittelbaren Erſcheinung
ſtehen bleiben, ſondern auf das Weſen der Sache einge-
hen, ſo erkennen wir, daß in der That jedes Rechtsver-
hältniß unter einem entſprechenden Rechtsinſtitut, als ſei-
nem Typus, ſteht, und von dieſem auf gleiche Weiſe be-
herrſcht wird, wie das einzelne Rechtsurtheil von der

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[9/0065] §. 5. Rechtsinſtitut. §. 5. Rechtsinſtitut. Das Urtheil über das einzelne Recht iſt nur möglich durch Beziehung der beſonderen Thatſachen auf eine all- gemeine Regel, von welcher die einzelnen Rechte beherrſcht werden. Dieſe Regel nennen wir das Recht ſchlecht- hin, oder das allgemeine Recht: Manche nennen ſie das Recht im objectiven Sinn. Sie erſcheint in ſichtbarer Geſtalt beſonders in dem Geſetz, welches ein Ausſpruch der höchſten Gewalt im Staate über die Rechtsregel iſt. So wie aber das Urtheil über einen einzelnen Rechts- ſtreit nur eine beſchränkte und abhängige Natur hat, und erſt in der Anſchauung des Rechtsverhältniſſes ſeine lebendige Wurzel und ſeine überzeugende Kraft findet, auf gleiche Weiſe verhält es ſich mit der Rechtsregel. Denn auch die Rechtsregel, ſo wie deren Ausprägung im Geſetz, hat ihre tiefere Grundlage in der Anſchauung des Rechtsinſtituts, und auch deſſen organiſche Natur zeigt ſich ſowohl in dem lebendigen Zuſammenhang der Be- ſtandtheile, als in ſeiner fortſchreitenden Entwicklung. Wenn wir alſo nicht bey der unmittelbaren Erſcheinung ſtehen bleiben, ſondern auf das Weſen der Sache einge- hen, ſo erkennen wir, daß in der That jedes Rechtsver- hältniß unter einem entſprechenden Rechtsinſtitut, als ſei- nem Typus, ſteht, und von dieſem auf gleiche Weiſe be- herrſcht wird, wie das einzelne Rechtsurtheil von der

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/65>, abgerufen am 26.04.2024.