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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840.

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§. 82. Infamie. Nebenwirkungen.
§. 82.
Nebenwirkungen der Infamie.

Es ist bisher gezeigt worden, daß das Wesen der In-
famie publicistisch war: darum aber ist es nicht minder
wahr, daß sie nebenher manche Einwirkungen auf das
Privatrecht hatte, welche nunmehr dargestellt werden sollen.

1) Die erste privatrechtliche Wirkung der Infamie,
die schon oben erwähnt worden ist (§ 78), besteht in der
beschränkten Fähigkeit zu postuliren. Es sollte nämlich
der Infame nur für sich selbst vor dem Prätor Anträge
machen dürfen, oder für solche Personen, welche mit ihm
in einem besonders nahen Verhältniß ständen (§ 78. i):
in der Regel also für fremde Personen nicht.

Daraus folgte zunächst, daß der Infame in der Regel
(d. h. mit Ausnahme der erwähnten persönlichen Verhält-
nisse), nicht Cognitor werden konnte (a): eben so wenig

(a) Fragm. Vatic. § 324. "Ob
turpitudinem et famositatem
prohibentur quidem (ms. qui-
dam
) cognituram suscipere, ad-
sertionem non, nisi suspecti
praetori." Paulus I. 2 § 1.
"Omnes infames, qui postulare
prohibentur, cognitores fieri
non possunt,
etiam volentibus
adversariis."
-- Man könnte in
der ersten Stelle das quidam der
Handschrift dadurch zu retten ver-
suchen, daß man es als eine Hin-
deutung auf die Ausnahme der
nahe stehenden Personen ansähe;
allein theils paßt quidam wohl
als Bezeichnung einer Ausnahme,
aber nicht (wie es hier seyn müßte)
einer vorherrschenden Regel, theils
ist das quidem durch den Gegen-
satz der Adsertion gegen die Cogni-
tur hinlänglich motivirt. Der Ju-
rist übergieng die Ausnahme mit
Stillschweigen, da es ihm gerade
nur um den erwähnten Gegen-
satz zu thun war. -- Merkwürdi-
§. 82. Infamie. Nebenwirkungen.
§. 82.
Nebenwirkungen der Infamie.

Es iſt bisher gezeigt worden, daß das Weſen der In-
famie publiciſtiſch war: darum aber iſt es nicht minder
wahr, daß ſie nebenher manche Einwirkungen auf das
Privatrecht hatte, welche nunmehr dargeſtellt werden ſollen.

1) Die erſte privatrechtliche Wirkung der Infamie,
die ſchon oben erwähnt worden iſt (§ 78), beſteht in der
beſchränkten Fähigkeit zu poſtuliren. Es ſollte nämlich
der Infame nur für ſich ſelbſt vor dem Prätor Anträge
machen dürfen, oder für ſolche Perſonen, welche mit ihm
in einem beſonders nahen Verhältniß ſtänden (§ 78. i):
in der Regel alſo für fremde Perſonen nicht.

Daraus folgte zunächſt, daß der Infame in der Regel
(d. h. mit Ausnahme der erwähnten perſönlichen Verhält-
niſſe), nicht Cognitor werden konnte (a): eben ſo wenig

(a) Fragm. Vatic. § 324. „Ob
turpitudinem et famositatem
prohibentur quidem (ms. qui-
dam
) cognituram suscipere, ad-
sertionem non, nisi suspecti
praetori.” Paulus I. 2 § 1.
„Omnes infames, qui postulare
prohibentur, cognitores fieri
non possunt,
etiam volentibus
adversariis.”
— Man könnte in
der erſten Stelle das quidam der
Handſchrift dadurch zu retten ver-
ſuchen, daß man es als eine Hin-
deutung auf die Ausnahme der
nahe ſtehenden Perſonen anſähe;
allein theils paßt quidam wohl
als Bezeichnung einer Ausnahme,
aber nicht (wie es hier ſeyn müßte)
einer vorherrſchenden Regel, theils
iſt das quidem durch den Gegen-
ſatz der Adſertion gegen die Cogni-
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nur um den erwähnten Gegen-
ſatz zu thun war. — Merkwürdi-
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[215/0229] §. 82. Infamie. Nebenwirkungen. §. 82. Nebenwirkungen der Infamie. Es iſt bisher gezeigt worden, daß das Weſen der In- famie publiciſtiſch war: darum aber iſt es nicht minder wahr, daß ſie nebenher manche Einwirkungen auf das Privatrecht hatte, welche nunmehr dargeſtellt werden ſollen. 1) Die erſte privatrechtliche Wirkung der Infamie, die ſchon oben erwähnt worden iſt (§ 78), beſteht in der beſchränkten Fähigkeit zu poſtuliren. Es ſollte nämlich der Infame nur für ſich ſelbſt vor dem Prätor Anträge machen dürfen, oder für ſolche Perſonen, welche mit ihm in einem beſonders nahen Verhältniß ſtänden (§ 78. i): in der Regel alſo für fremde Perſonen nicht. Daraus folgte zunächſt, daß der Infame in der Regel (d. h. mit Ausnahme der erwähnten perſönlichen Verhält- niſſe), nicht Cognitor werden konnte (a): eben ſo wenig (a) Fragm. Vatic. § 324. „Ob turpitudinem et famositatem prohibentur quidem (ms. qui- dam) cognituram suscipere, ad- sertionem non, nisi suspecti praetori.” Paulus I. 2 § 1. „Omnes infames, qui postulare prohibentur, cognitores fieri non possunt, etiam volentibus adversariis.” — Man könnte in der erſten Stelle das quidam der Handſchrift dadurch zu retten ver- ſuchen, daß man es als eine Hin- deutung auf die Ausnahme der nahe ſtehenden Perſonen anſähe; allein theils paßt quidam wohl als Bezeichnung einer Ausnahme, aber nicht (wie es hier ſeyn müßte) einer vorherrſchenden Regel, theils iſt das quidem durch den Gegen- ſatz der Adſertion gegen die Cogni- tur hinlänglich motivirt. Der Ju- riſt übergieng die Ausnahme mit Stillſchweigen, da es ihm gerade nur um den erwähnten Gegen- ſatz zu thun war. — Merkwürdi-

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/229>, abgerufen am 26.04.2024.