§. 83. Heutige Anwendbarkeit der Lehre von der Infamie.
Es ist nunmehr anzugeben, was aus den über die Infamie aufgestellten Sätzen für die heutige Anwendung dieses Rechtsinstituts folgt.
Zuerst also: welche Gestalt hat die Infamie im Ju- stinianischen Recht angenommen? Es ist davon Nichts übrig geblieben, als die beschränkte Fähigkeit der Infa- men, für Andere postulirend vor Gericht aufzutreten, und auch diese Beschränkung nur insoferne der Richter selbst sie geltend machen will, nicht mehr als ein persönliches Recht der Gegenpartey (§ 82). Denn die publicistische Bedeutung der Infamie hatte ohnehin längst aufgehört, indem auch selbst die Unfähigkeit der Infamen zu Ehren- stellen, obgleich sie sich noch ausgesprochen findet, dem Sinne nach von dem alten Rechtssatz ganz verschieden ist, und blos eine buchstäbliche und scheinbare Fortdauer des- selben in sich schließt (§ 80). Eben so war auch die mit der Infamie lange Zeit verbundene beschränkte Fähigkeit zur Ehe gänzlich verschwunden (§ 82).
Allein auch jener Überrest des alten Rechtsinstituts hat sich bey dem Übergang des Römischen Rechts auf das neuere Europa nicht erhalten können, da er mit der eigenthümlichen Gerichtsverfassung der Römer zusammen-
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
§. 83. Heutige Anwendbarkeit der Lehre von der Infamie.
Es iſt nunmehr anzugeben, was aus den über die Infamie aufgeſtellten Sätzen für die heutige Anwendung dieſes Rechtsinſtituts folgt.
Zuerſt alſo: welche Geſtalt hat die Infamie im Ju- ſtinianiſchen Recht angenommen? Es iſt davon Nichts übrig geblieben, als die beſchränkte Fähigkeit der Infa- men, für Andere poſtulirend vor Gericht aufzutreten, und auch dieſe Beſchränkung nur inſoferne der Richter ſelbſt ſie geltend machen will, nicht mehr als ein perſönliches Recht der Gegenpartey (§ 82). Denn die publiciſtiſche Bedeutung der Infamie hatte ohnehin längſt aufgehört, indem auch ſelbſt die Unfähigkeit der Infamen zu Ehren- ſtellen, obgleich ſie ſich noch ausgeſprochen findet, dem Sinne nach von dem alten Rechtsſatz ganz verſchieden iſt, und blos eine buchſtäbliche und ſcheinbare Fortdauer deſ- ſelben in ſich ſchließt (§ 80). Eben ſo war auch die mit der Infamie lange Zeit verbundene beſchränkte Fähigkeit zur Ehe gänzlich verſchwunden (§ 82).
Allein auch jener Überreſt des alten Rechtsinſtituts hat ſich bey dem Übergang des Römiſchen Rechts auf das neuere Europa nicht erhalten können, da er mit der eigenthümlichen Gerichtsverfaſſung der Roͤmer zuſammen-
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. II. Perſonen.
§. 83.
Heutige Anwendbarkeit der Lehre von der Infamie.
Es iſt nunmehr anzugeben, was aus den über die
Infamie aufgeſtellten Sätzen für die heutige Anwendung
dieſes Rechtsinſtituts folgt.
Zuerſt alſo: welche Geſtalt hat die Infamie im Ju-
ſtinianiſchen Recht angenommen? Es iſt davon Nichts
übrig geblieben, als die beſchränkte Fähigkeit der Infa-
men, für Andere poſtulirend vor Gericht aufzutreten, und
auch dieſe Beſchränkung nur inſoferne der Richter ſelbſt
ſie geltend machen will, nicht mehr als ein perſönliches
Recht der Gegenpartey (§ 82). Denn die publiciſtiſche
Bedeutung der Infamie hatte ohnehin längſt aufgehört,
indem auch ſelbſt die Unfähigkeit der Infamen zu Ehren-
ſtellen, obgleich ſie ſich noch ausgeſprochen findet, dem
Sinne nach von dem alten Rechtsſatz ganz verſchieden iſt,
und blos eine buchſtäbliche und ſcheinbare Fortdauer deſ-
ſelben in ſich ſchließt (§ 80). Eben ſo war auch die mit
der Infamie lange Zeit verbundene beſchränkte Fähigkeit
zur Ehe gänzlich verſchwunden (§ 82).
Allein auch jener Überreſt des alten Rechtsinſtituts
hat ſich bey dem Übergang des Römiſchen Rechts auf
das neuere Europa nicht erhalten können, da er mit der
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 2. Berlin, 1840, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system02_1840/238>, abgerufen am 26.04.2024.
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