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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Buch II. Rechtsverhältnisse. Kap. III. Entstehung und Untergang.
darin, daß manche hierher gehörende Fälle gar nicht auf
einer einzelnen Handlung beruhen, die etwa als Zeichen
des Willens interpretirt werden könnte, sondern auf einem
allgemeinen, bleibenden persönlichen Verhältniß: ferner daß
diese Fiction in mehreren Fällen zur Anwendung kommt,
worin der wirkliche Wille nicht einmal möglich ist.

Eine fingirte Willenserklärung kommt in folgenden Fäl-
len vor. Ist für einen Abwesenden ein Rechtsstreit zu
führen, so dürfen für ihn seine Kinder, Eltern, Brüder,
Schwäger, Freygelassene als fingirte Procuratoren auf-
treten; desgleichen der Mann für seine Frau (b). -- Eben
dahin gehören sämmtliche Fälle des sogenannten stillschwei-
genden Pfandrechts. Es würde ganz unrichtig seyn anzu-
nehmen, in jedem Rechtsgeschäft, woran ein solches ge-
knüpft ist, sey der Wille des Schuldners, gewisse Sachen
zu verpfänden, auch wirklich enthalten. Wenn z. B. Je-
mand eine Wohnung miethet, oder ein Landgut pachtet,
so wird er, wenn er nicht zufällig Rechtsgelehrter ist,
schwerlich daran denken, daß seine Mobilien oder seine
Feldfrüchte mit einem Pfandrechte behaftet werden; es ge-
schieht kraft einer Rechtsregel, welche dieses Pfandrecht
als natürlich, billig und zweckmäßig voraussetzt (c). --

(b) L. 35 pr. de proc. (3. 3.),
L. 21 C. eod. (2. 13.).
(c) Zweifel könnte hieran er-
regen der Ausdruck pignus tacite
contrahitur,
den man als Aner-
kenntniß einer stillschweigenden
Willenserklärung ansehen könnte.
Allein ein solcher Ausdruck würde
in keinem Fall entscheidend seyn;
am wenigsten ist er es hier, da
L. 4 pr. in quib. causis pign.
(20. 2.) sagt: "quasi id tacite
convenerit,"
und L. 6 pr. eod.
"tacite intelliguntur pignori

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.
darin, daß manche hierher gehörende Fälle gar nicht auf
einer einzelnen Handlung beruhen, die etwa als Zeichen
des Willens interpretirt werden könnte, ſondern auf einem
allgemeinen, bleibenden perſönlichen Verhältniß: ferner daß
dieſe Fiction in mehreren Fällen zur Anwendung kommt,
worin der wirkliche Wille nicht einmal möglich iſt.

Eine fingirte Willenserklärung kommt in folgenden Fäl-
len vor. Iſt für einen Abweſenden ein Rechtsſtreit zu
führen, ſo dürfen für ihn ſeine Kinder, Eltern, Brüder,
Schwäger, Freygelaſſene als fingirte Procuratoren auf-
treten; desgleichen der Mann für ſeine Frau (b). — Eben
dahin gehören ſämmtliche Fälle des ſogenannten ſtillſchwei-
genden Pfandrechts. Es würde ganz unrichtig ſeyn anzu-
nehmen, in jedem Rechtsgeſchäft, woran ein ſolches ge-
knüpft iſt, ſey der Wille des Schuldners, gewiſſe Sachen
zu verpfänden, auch wirklich enthalten. Wenn z. B. Je-
mand eine Wohnung miethet, oder ein Landgut pachtet,
ſo wird er, wenn er nicht zufällig Rechtsgelehrter iſt,
ſchwerlich daran denken, daß ſeine Mobilien oder ſeine
Feldfrüchte mit einem Pfandrechte behaftet werden; es ge-
ſchieht kraft einer Rechtsregel, welche dieſes Pfandrecht
als natürlich, billig und zweckmäßig vorausſetzt (c). —

(b) L. 35 pr. de proc. (3. 3.),
L. 21 C. eod. (2. 13.).
(c) Zweifel könnte hieran er-
regen der Ausdruck pignus tacite
contrahitur,
den man als Aner-
kenntniß einer ſtillſchweigenden
Willenserklärung anſehen könnte.
Allein ein ſolcher Ausdruck würde
in keinem Fall entſcheidend ſeyn;
am wenigſten iſt er es hier, da
L. 4 pr. in quib. causis pign.
(20. 2.) ſagt: quasi id tacite
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und L. 6 pr. eod.
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[254/0266] Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang. darin, daß manche hierher gehörende Fälle gar nicht auf einer einzelnen Handlung beruhen, die etwa als Zeichen des Willens interpretirt werden könnte, ſondern auf einem allgemeinen, bleibenden perſönlichen Verhältniß: ferner daß dieſe Fiction in mehreren Fällen zur Anwendung kommt, worin der wirkliche Wille nicht einmal möglich iſt. Eine fingirte Willenserklärung kommt in folgenden Fäl- len vor. Iſt für einen Abweſenden ein Rechtsſtreit zu führen, ſo dürfen für ihn ſeine Kinder, Eltern, Brüder, Schwäger, Freygelaſſene als fingirte Procuratoren auf- treten; desgleichen der Mann für ſeine Frau (b). — Eben dahin gehören ſämmtliche Fälle des ſogenannten ſtillſchwei- genden Pfandrechts. Es würde ganz unrichtig ſeyn anzu- nehmen, in jedem Rechtsgeſchäft, woran ein ſolches ge- knüpft iſt, ſey der Wille des Schuldners, gewiſſe Sachen zu verpfänden, auch wirklich enthalten. Wenn z. B. Je- mand eine Wohnung miethet, oder ein Landgut pachtet, ſo wird er, wenn er nicht zufällig Rechtsgelehrter iſt, ſchwerlich daran denken, daß ſeine Mobilien oder ſeine Feldfrüchte mit einem Pfandrechte behaftet werden; es ge- ſchieht kraft einer Rechtsregel, welche dieſes Pfandrecht als natürlich, billig und zweckmäßig vorausſetzt (c). — (b) L. 35 pr. de proc. (3. 3.), L. 21 C. eod. (2. 13.). (c) Zweifel könnte hieran er- regen der Ausdruck pignus tacite contrahitur, den man als Aner- kenntniß einer ſtillſchweigenden Willenserklärung anſehen könnte. Allein ein ſolcher Ausdruck würde in keinem Fall entſcheidend ſeyn; am wenigſten iſt er es hier, da L. 4 pr. in quib. causis pign. (20. 2.) ſagt: „quasi id tacite convenerit,” und L. 6 pr. eod. „tacite intelliguntur pignori

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/266>, abgerufen am 26.04.2024.