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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Irrthum und Unwissenheit.
tischen Irrthum. Der Rechtsirrthum hat zum Gegen-
stand den Inhalt einer Rechtsregel, also das objective
Recht (c); der factische Irrthum bezieht sich auf die juri-
stischen Thatsachen, das heißt auf die thatsächlichen Be-
dingungen der Anwendung einer Rechtsregel. -- Von bei-
den läßt sich noch derjenige Irrthum unterscheiden, wel-
cher in der unrichtigen Subsumtion der Thatsachen unter
die Rechtsregel enthalten ist; da jedoch unsre Rechtsquel-
len nur jene beiden Arten des Irrthums anerkennen, so
muß bestimmt werden, welcher derselben dieser dritte Fall
hinzu zu rechnen ist. Sehen wir nun auf dessen innere
Natur, so müssen wir ihn als factischen Irrthum aner-
kennen. Denn die Rechtsregel ist als das Feste, unabän-
derlich Gegebene anzusehen; unsere Aufgabe ist es, die
einzelnen Elemente der Thatsachen, theils durch Zerglie-
derung, theils durch Verbindung, dergestalt zu einem Gan-
zen zu bilden, daß die feste Rechtsregel auf dasselbe an-
wendbar erscheine. Wir mögen nun in der unmittelbaren
Auffassung des Geschehenen selbst irren, oder in dieser
Ausbildung desselben durch unser Denken, so ist es doch
immer die Erkenntniß der Thatsachen, worüber wir irren,
mithin der Irrthum selbst ein factischer. So ist es also

(c) Beyspiele des Rechtsirr-
thums sind zusammengestellt in
L. 1 pr. § 1--4 h. t. -- Verschie-
den von dem jus ignorare ist
das jus suum (oder de jure suo)
ignorare,
das heißt der Irrthum
über den eigenen persönlichen
Rechtszustand; denn dieser wird
gerade gewöhnlich auf factischen
Irrthümern beruhen, obgleich er
allerdings auch mit Rechtsirrthum
zusammenhängen kann. Vergl.
über diesen Ausdruck L. 3 pr. h.
t.
und L. 2 § 7 de j. fisci (49. 14.).

Irrthum und Unwiſſenheit.
tiſchen Irrthum. Der Rechtsirrthum hat zum Gegen-
ſtand den Inhalt einer Rechtsregel, alſo das objective
Recht (c); der factiſche Irrthum bezieht ſich auf die juri-
ſtiſchen Thatſachen, das heißt auf die thatſächlichen Be-
dingungen der Anwendung einer Rechtsregel. — Von bei-
den läßt ſich noch derjenige Irrthum unterſcheiden, wel-
cher in der unrichtigen Subſumtion der Thatſachen unter
die Rechtsregel enthalten iſt; da jedoch unſre Rechtsquel-
len nur jene beiden Arten des Irrthums anerkennen, ſo
muß beſtimmt werden, welcher derſelben dieſer dritte Fall
hinzu zu rechnen iſt. Sehen wir nun auf deſſen innere
Natur, ſo müſſen wir ihn als factiſchen Irrthum aner-
kennen. Denn die Rechtsregel iſt als das Feſte, unabän-
derlich Gegebene anzuſehen; unſere Aufgabe iſt es, die
einzelnen Elemente der Thatſachen, theils durch Zerglie-
derung, theils durch Verbindung, dergeſtalt zu einem Gan-
zen zu bilden, daß die feſte Rechtsregel auf daſſelbe an-
wendbar erſcheine. Wir mögen nun in der unmittelbaren
Auffaſſung des Geſchehenen ſelbſt irren, oder in dieſer
Ausbildung deſſelben durch unſer Denken, ſo iſt es doch
immer die Erkenntniß der Thatſachen, worüber wir irren,
mithin der Irrthum ſelbſt ein factiſcher. So iſt es alſo

(c) Beyſpiele des Rechtsirr-
thums ſind zuſammengeſtellt in
L. 1 pr. § 1—4 h. t. — Verſchie-
den von dem jus ignorare iſt
das jus suum (oder de jure suo)
ignorare,
das heißt der Irrthum
über den eigenen perſönlichen
Rechtszuſtand; denn dieſer wird
gerade gewöhnlich auf factiſchen
Irrthümern beruhen, obgleich er
allerdings auch mit Rechtsirrthum
zuſammenhängen kann. Vergl.
über dieſen Ausdruck L. 3 pr. h.
t.
und L. 2 § 7 de j. fisci (49. 14.).
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[327/0339] Irrthum und Unwiſſenheit. tiſchen Irrthum. Der Rechtsirrthum hat zum Gegen- ſtand den Inhalt einer Rechtsregel, alſo das objective Recht (c); der factiſche Irrthum bezieht ſich auf die juri- ſtiſchen Thatſachen, das heißt auf die thatſächlichen Be- dingungen der Anwendung einer Rechtsregel. — Von bei- den läßt ſich noch derjenige Irrthum unterſcheiden, wel- cher in der unrichtigen Subſumtion der Thatſachen unter die Rechtsregel enthalten iſt; da jedoch unſre Rechtsquel- len nur jene beiden Arten des Irrthums anerkennen, ſo muß beſtimmt werden, welcher derſelben dieſer dritte Fall hinzu zu rechnen iſt. Sehen wir nun auf deſſen innere Natur, ſo müſſen wir ihn als factiſchen Irrthum aner- kennen. Denn die Rechtsregel iſt als das Feſte, unabän- derlich Gegebene anzuſehen; unſere Aufgabe iſt es, die einzelnen Elemente der Thatſachen, theils durch Zerglie- derung, theils durch Verbindung, dergeſtalt zu einem Gan- zen zu bilden, daß die feſte Rechtsregel auf daſſelbe an- wendbar erſcheine. Wir mögen nun in der unmittelbaren Auffaſſung des Geſchehenen ſelbſt irren, oder in dieſer Ausbildung deſſelben durch unſer Denken, ſo iſt es doch immer die Erkenntniß der Thatſachen, worüber wir irren, mithin der Irrthum ſelbſt ein factiſcher. So iſt es alſo (c) Beyſpiele des Rechtsirr- thums ſind zuſammengeſtellt in L. 1 pr. § 1—4 h. t. — Verſchie- den von dem jus ignorare iſt das jus suum (oder de jure suo) ignorare, das heißt der Irrthum über den eigenen perſönlichen Rechtszuſtand; denn dieſer wird gerade gewöhnlich auf factiſchen Irrthümern beruhen, obgleich er allerdings auch mit Rechtsirrthum zuſammenhängen kann. Vergl. über dieſen Ausdruck L. 3 pr. h. t. und L. 2 § 7 de j. fisci (49. 14.).

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/339>, abgerufen am 26.04.2024.