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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Beylage VIII.
auf, nach dem Gesetz des K. Leo, keinen Anspruch mehr
haben, obgleich sie einen solchen vor diesem Gesetz ohne
Zweifel hatte.

XXXII.

Es ist ferner zu betrachten der Zustand ganz roher,
ungebildeter
Menschen (Rusticitas), deren allgemeine
Unwissenheit auch über ihre besondere Rechtsunkunde kei-
nen Zweifel läßt (a).

Diese haben eben so wenig, als die Frauen, einen
allgemeinen Restitutionsgrund. Ihnen kommt die Rechts-
unwissenheit nur in folgenden einzelnen Fällen zu gut.

Bey der versäumten Frist der Bonorum Possessio,
wobey sie gerade den Frauen nicht gestattet ist (Num.
XXIV.) (b).


(a) Rusticitas bezeichnet also
nicht einen Stand oder ein Ge-
werbe, sondern einen Geisteszu-
stand, der sich allerdings vorzugs-
weise bey dem abgesonderten Le-
ben der untersten Klassen auf dem
Lande finden wird. Imperitia ist
zweydeutiger: Es heißt oft die
Unwissenheit im Einzelnen, als
Thatsache, also so viel als igno-
rantia.
Einigemal steht es ne-
ben rusticitas (imperitia vel ru-
sticitas,
vgl. Num. XXI. Note
h. k und t). Dann heißt es wohl
die allgemeine Rechtsunwis-
senheit
der einzelnen Person,
die neben mancher andern Art
von Kenntniß oder Bildung be-
stehen kann, und darum von der
umfassenderen rusticitas noch ver-
schieden ist. -- Vgl. auch Müh-
lenbruch
S. 446 fg.
(b) Es ist wohl nicht zufällig,
daß gerade hierin eine Begünsti-
gung gilt. Verwandtschaft und
Erbschaft findet sich bey jeder Bil-
dungsstufe, und ist auch jedem
Stande gleich wichtig. Bey sehr
ungebildeten Menschen wird es
aber leicht selbst an der Ahnung
fehlen, daß Formen zu beobach-
ten und Rath einzuholen seyn
möchte. Frauen dagegen, die nicht
zu der untersten Klasse gehören,
auch wenn sie völlig rechtsunkun-
dig sind, werden doch leichter die

Beylage VIII.
auf, nach dem Geſetz des K. Leo, keinen Anſpruch mehr
haben, obgleich ſie einen ſolchen vor dieſem Geſetz ohne
Zweifel hatte.

XXXII.

Es iſt ferner zu betrachten der Zuſtand ganz roher,
ungebildeter
Menſchen (Rusticitas), deren allgemeine
Unwiſſenheit auch über ihre beſondere Rechtsunkunde kei-
nen Zweifel läßt (a).

Dieſe haben eben ſo wenig, als die Frauen, einen
allgemeinen Reſtitutionsgrund. Ihnen kommt die Rechts-
unwiſſenheit nur in folgenden einzelnen Fällen zu gut.

Bey der verſäumten Friſt der Bonorum Possessio,
wobey ſie gerade den Frauen nicht geſtattet iſt (Num.
XXIV.) (b).


(a) Rusticitas bezeichnet alſo
nicht einen Stand oder ein Ge-
werbe, ſondern einen Geiſteszu-
ſtand, der ſich allerdings vorzugs-
weiſe bey dem abgeſonderten Le-
ben der unterſten Klaſſen auf dem
Lande finden wird. Imperitia iſt
zweydeutiger: Es heißt oft die
Unwiſſenheit im Einzelnen, als
Thatſache, alſo ſo viel als igno-
rantia.
Einigemal ſteht es ne-
ben rusticitas (imperitia vel ru-
sticitas,
vgl. Num. XXI. Note
h. k und t). Dann heißt es wohl
die allgemeine Rechtsunwiſ-
ſenheit
der einzelnen Perſon,
die neben mancher andern Art
von Kenntniß oder Bildung be-
ſtehen kann, und darum von der
umfaſſenderen rusticitas noch ver-
ſchieden iſt. — Vgl. auch Müh-
lenbruch
S. 446 fg.
(b) Es iſt wohl nicht zufällig,
daß gerade hierin eine Begünſti-
gung gilt. Verwandtſchaft und
Erbſchaft findet ſich bey jeder Bil-
dungsſtufe, und iſt auch jedem
Stande gleich wichtig. Bey ſehr
ungebildeten Menſchen wird es
aber leicht ſelbſt an der Ahnung
fehlen, daß Formen zu beobach-
ten und Rath einzuholen ſeyn
möchte. Frauen dagegen, die nicht
zu der unterſten Klaſſe gehören,
auch wenn ſie völlig rechtsunkun-
dig ſind, werden doch leichter die
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[436/0448] Beylage VIII. auf, nach dem Geſetz des K. Leo, keinen Anſpruch mehr haben, obgleich ſie einen ſolchen vor dieſem Geſetz ohne Zweifel hatte. XXXII. Es iſt ferner zu betrachten der Zuſtand ganz roher, ungebildeter Menſchen (Rusticitas), deren allgemeine Unwiſſenheit auch über ihre beſondere Rechtsunkunde kei- nen Zweifel läßt (a). Dieſe haben eben ſo wenig, als die Frauen, einen allgemeinen Reſtitutionsgrund. Ihnen kommt die Rechts- unwiſſenheit nur in folgenden einzelnen Fällen zu gut. Bey der verſäumten Friſt der Bonorum Possessio, wobey ſie gerade den Frauen nicht geſtattet iſt (Num. XXIV.) (b). (a) Rusticitas bezeichnet alſo nicht einen Stand oder ein Ge- werbe, ſondern einen Geiſteszu- ſtand, der ſich allerdings vorzugs- weiſe bey dem abgeſonderten Le- ben der unterſten Klaſſen auf dem Lande finden wird. Imperitia iſt zweydeutiger: Es heißt oft die Unwiſſenheit im Einzelnen, als Thatſache, alſo ſo viel als igno- rantia. Einigemal ſteht es ne- ben rusticitas (imperitia vel ru- sticitas, vgl. Num. XXI. Note h. k und t). Dann heißt es wohl die allgemeine Rechtsunwiſ- ſenheit der einzelnen Perſon, die neben mancher andern Art von Kenntniß oder Bildung be- ſtehen kann, und darum von der umfaſſenderen rusticitas noch ver- ſchieden iſt. — Vgl. auch Müh- lenbruch S. 446 fg. (b) Es iſt wohl nicht zufällig, daß gerade hierin eine Begünſti- gung gilt. Verwandtſchaft und Erbſchaft findet ſich bey jeder Bil- dungsſtufe, und iſt auch jedem Stande gleich wichtig. Bey ſehr ungebildeten Menſchen wird es aber leicht ſelbſt an der Ahnung fehlen, daß Formen zu beobach- ten und Rath einzuholen ſeyn möchte. Frauen dagegen, die nicht zu der unterſten Klaſſe gehören, auch wenn ſie völlig rechtsunkun- dig ſind, werden doch leichter die

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Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system03_1840/448>, abgerufen am 26.04.2024.