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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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niger Vernunft als in mancher umfangreichen Leistung formaler
Weisheit.

Zur Herstellung fröhlicher unbefangener von Poesie verklärter
Anschauung der Dinge möchte nun auch die vorliegende Arbeit
einen Beitrag geben, und zwar a[u]s dem Gebiet unserer deutschen
Vergangenheit.

Unter dem unzähligen Werthvollen, was die großen Folian-
ten der von Pertz herausgegebenen "Monumenta Germaniae"
bergen, glänzen gleich einer Perlenschnur die sanctgallischen
Klostergeschichten, die der Mönch Ratpert begonnen und Ekkehard
der Jüngere (oder zur Unterscheidung von drei gleichnamigen
Mitgliedern des Klosters der Vierte benannt) bis an's Ende
des zehnten Jahrhunderts fortgeführt hat. Wer sich durch die
unerquicklichen und vielfältig dürren Jahrbücher anderer Klöster
mühsam durchgearbeitet hat, mag mit Behagen und innerem
Wohlgefallen an jenen Aufzeichnungen verweilen. Da ist trotz
mannigfacher Befangenheit und Unbehilflichkeit eine Fülle an-
muthiger aus der Ueberlieferung älterer Zeitgenossen und den
Berichten von Augenzeugen geschöpfter Erzählungen, Personen
und Zustände mit groben aber deutlichen Strichen gezeichnet, viel
unbewußte Poesie, treuherzige brave Welt- und Lebensansicht,
naive Frische, die dem Niedergeschriebenen überall das Gepräge
der Aechtheit verleiht, selbst dann, wenn Personen und Zeiträume
etwas leichtsinnig durcheinander gewürfelt worden und ein handgreif-
licher Anachronismus dem Erzähler gar keinen Schmerz verursacht.

Ohne es aber zu beabsichtigen, führen jene Schilderungen
zugleich über die Schranken der Klostermauern hinaus und ent-

niger Vernunft als in mancher umfangreichen Leiſtung formaler
Weisheit.

Zur Herſtellung fröhlicher unbefangener von Poeſie verklärter
Anſchauung der Dinge möchte nun auch die vorliegende Arbeit
einen Beitrag geben, und zwar a[u]s dem Gebiet unſerer deutſchen
Vergangenheit.

Unter dem unzähligen Werthvollen, was die großen Folian-
ten der von Pertz herausgegebenen „Monumenta Germaniae“
bergen, glänzen gleich einer Perlenſchnur die ſanctgalliſchen
Kloſtergeſchichten, die der Mönch Ratpert begonnen und Ekkehard
der Jüngere (oder zur Unterſcheidung von drei gleichnamigen
Mitgliedern des Kloſters der Vierte benannt) bis an's Ende
des zehnten Jahrhunderts fortgeführt hat. Wer ſich durch die
unerquicklichen und vielfältig dürren Jahrbücher anderer Klöſter
mühſam durchgearbeitet hat, mag mit Behagen und innerem
Wohlgefallen an jenen Aufzeichnungen verweilen. Da iſt trotz
mannigfacher Befangenheit und Unbehilflichkeit eine Fülle an-
muthiger aus der Ueberlieferung älterer Zeitgenoſſen und den
Berichten von Augenzeugen geſchöpfter Erzählungen, Perſonen
und Zuſtände mit groben aber deutlichen Strichen gezeichnet, viel
unbewußte Poeſie, treuherzige brave Welt- und Lebensanſicht,
naive Friſche, die dem Niedergeſchriebenen überall das Gepräge
der Aechtheit verleiht, ſelbſt dann, wenn Perſonen und Zeiträume
etwas leichtſinnig durcheinander gewürfelt worden und ein handgreif-
licher Anachronismus dem Erzähler gar keinen Schmerz verurſacht.

Ohne es aber zu beabſichtigen, führen jene Schilderungen
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[V/0015] niger Vernunft als in mancher umfangreichen Leiſtung formaler Weisheit. Zur Herſtellung fröhlicher unbefangener von Poeſie verklärter Anſchauung der Dinge möchte nun auch die vorliegende Arbeit einen Beitrag geben, und zwar aus dem Gebiet unſerer deutſchen Vergangenheit. Unter dem unzähligen Werthvollen, was die großen Folian- ten der von Pertz herausgegebenen „Monumenta Germaniae“ bergen, glänzen gleich einer Perlenſchnur die ſanctgalliſchen Kloſtergeſchichten, die der Mönch Ratpert begonnen und Ekkehard der Jüngere (oder zur Unterſcheidung von drei gleichnamigen Mitgliedern des Kloſters der Vierte benannt) bis an's Ende des zehnten Jahrhunderts fortgeführt hat. Wer ſich durch die unerquicklichen und vielfältig dürren Jahrbücher anderer Klöſter mühſam durchgearbeitet hat, mag mit Behagen und innerem Wohlgefallen an jenen Aufzeichnungen verweilen. Da iſt trotz mannigfacher Befangenheit und Unbehilflichkeit eine Fülle an- muthiger aus der Ueberlieferung älterer Zeitgenoſſen und den Berichten von Augenzeugen geſchöpfter Erzählungen, Perſonen und Zuſtände mit groben aber deutlichen Strichen gezeichnet, viel unbewußte Poeſie, treuherzige brave Welt- und Lebensanſicht, naive Friſche, die dem Niedergeſchriebenen überall das Gepräge der Aechtheit verleiht, ſelbſt dann, wenn Perſonen und Zeiträume etwas leichtſinnig durcheinander gewürfelt worden und ein handgreif- licher Anachronismus dem Erzähler gar keinen Schmerz verurſacht. Ohne es aber zu beabſichtigen, führen jene Schilderungen zugleich über die Schranken der Kloſtermauern hinaus und ent-

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/15>, abgerufen am 26.04.2024.