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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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Lebensansicht.



Es ist tröstlich, daß ich mir einbilde, als schrieb' ich an einen theuren Freund, der mich durchaus versteht, an dessen Herz ich diese Blätter niederlege, da ich doch nur für mich schreibe, weil es mir wohl thut, manche Gefühle und Gedanken meiner Seele auszusprechen! Und ist es nicht seltsam, daß der Mensch eine so eigene Oekonomie und einen so lächerlichen Stolz besitzt, daß es ihm unmöglich ist zu denken, er könne etwas ohne Zweck und Absicht thun? der edlere Mensch kann nichts für sich thun, es wird ihm alles nur etwas in Beziehung auf andere, und selbst bei jedem kleinen Aufsatz liegt im Hintergrunde der Seele der Gedanken an einen etwanigen Leser, und wenn wir es selbst so weit bis nach unserm Tode hinaus schieben sollten. Es ist eine so kindliche liebenswürdige Eitelkeit, zu glauben, daß, wenn selbst die Hand, die diese Worte schrieb, schon in Staub zerfallen ist, daß sie dann noch belehren und nützen.

Der Mensch lebt in einer ewigen Furcht vor seinem Glück. Es tritt ihm schon als Kind entgegen,

JV.
Lebensansicht.



Es ist troͤstlich, daß ich mir einbilde, als schrieb' ich an einen theuren Freund, der mich durchaus versteht, an dessen Herz ich diese Blaͤtter niederlege, da ich doch nur fuͤr mich schreibe, weil es mir wohl thut, manche Gefuͤhle und Gedanken meiner Seele auszusprechen! Und ist es nicht seltsam, daß der Mensch eine so eigene Oekonomie und einen so laͤcherlichen Stolz besitzt, daß es ihm unmoͤglich ist zu denken, er koͤnne etwas ohne Zweck und Absicht thun? der edlere Mensch kann nichts fuͤr sich thun, es wird ihm alles nur etwas in Beziehung auf andere, und selbst bei jedem kleinen Aufsatz liegt im Hintergrunde der Seele der Gedanken an einen etwanigen Leser, und wenn wir es selbst so weit bis nach unserm Tode hinaus schieben sollten. Es ist eine so kindliche liebenswuͤrdige Eitelkeit, zu glauben, daß, wenn selbst die Hand, die diese Worte schrieb, schon in Staub zerfallen ist, daß sie dann noch belehren und nuͤtzen.

Der Mensch lebt in einer ewigen Furcht vor seinem Gluͤck. Es tritt ihm schon als Kind entgegen,

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[205/0217] JV. Lebensansicht. Es ist troͤstlich, daß ich mir einbilde, als schrieb' ich an einen theuren Freund, der mich durchaus versteht, an dessen Herz ich diese Blaͤtter niederlege, da ich doch nur fuͤr mich schreibe, weil es mir wohl thut, manche Gefuͤhle und Gedanken meiner Seele auszusprechen! Und ist es nicht seltsam, daß der Mensch eine so eigene Oekonomie und einen so laͤcherlichen Stolz besitzt, daß es ihm unmoͤglich ist zu denken, er koͤnne etwas ohne Zweck und Absicht thun? der edlere Mensch kann nichts fuͤr sich thun, es wird ihm alles nur etwas in Beziehung auf andere, und selbst bei jedem kleinen Aufsatz liegt im Hintergrunde der Seele der Gedanken an einen etwanigen Leser, und wenn wir es selbst so weit bis nach unserm Tode hinaus schieben sollten. Es ist eine so kindliche liebenswuͤrdige Eitelkeit, zu glauben, daß, wenn selbst die Hand, die diese Worte schrieb, schon in Staub zerfallen ist, daß sie dann noch belehren und nuͤtzen. Der Mensch lebt in einer ewigen Furcht vor seinem Gluͤck. Es tritt ihm schon als Kind entgegen,

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/217>, abgerufen am 29.04.2024.