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Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

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IV.
Gespräch über die Poesie.



Alle Gemüther, die sie lieben, befreundet und bindet Poesie mit unauflöslichen Banden. Mögen sie sonst im eignen Leben das Verschiedenste suchen, einer gänzlich verachten, was der andre am heiligsten hält, sich verkennen, nicht vernehmen, ewig fremd bleiben; in dieser Region sind sie dennoch durch höhere Zauberkraft einig und in Frieden. Jede Muse sucht und findet die andre, und alle Ströme der Poesie fließen zusammen in das allgemeine große Meer.

Die Vernunft ist nur eine und in allen dieselbe: wie aber jeder Mensch seine eigne Natur hat und seine eigne Liebe, so trägt auch jeder seine eigne Poesie in sich. Die muß ihm bleiben und soll ihm bleiben, so gewiß er der ist, der er ist, so gewiß nur irgend etwas Ursprüngliches in ihm war; und keine Kritik kann und darf ihm sein eigenstes Wesen, seine innerste Kraft rauben, um ihn zu einem allgemeinen Bilde ohne Geist und ohne Sinn zu läutern und zu reinigen, wie die Thoren sich bemühen, die nicht wissen was sie

IV.
Gespraͤch uͤber die Poesie.



Alle Gemuͤther, die sie lieben, befreundet und bindet Poesie mit unaufloͤslichen Banden. Moͤgen sie sonst im eignen Leben das Verschiedenste suchen, einer gaͤnzlich verachten, was der andre am heiligsten haͤlt, sich verkennen, nicht vernehmen, ewig fremd bleiben; in dieser Region sind sie dennoch durch hoͤhere Zauberkraft einig und in Frieden. Jede Muse sucht und findet die andre, und alle Stroͤme der Poesie fließen zusammen in das allgemeine große Meer.

Die Vernunft ist nur eine und in allen dieselbe: wie aber jeder Mensch seine eigne Natur hat und seine eigne Liebe, so traͤgt auch jeder seine eigne Poesie in sich. Die muß ihm bleiben und soll ihm bleiben, so gewiß er der ist, der er ist, so gewiß nur irgend etwas Urspruͤngliches in ihm war; und keine Kritik kann und darf ihm sein eigenstes Wesen, seine innerste Kraft rauben, um ihn zu einem allgemeinen Bilde ohne Geist und ohne Sinn zu laͤutern und zu reinigen, wie die Thoren sich bemuͤhen, die nicht wissen was sie

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[58/0066] IV. Gespraͤch uͤber die Poesie. Alle Gemuͤther, die sie lieben, befreundet und bindet Poesie mit unaufloͤslichen Banden. Moͤgen sie sonst im eignen Leben das Verschiedenste suchen, einer gaͤnzlich verachten, was der andre am heiligsten haͤlt, sich verkennen, nicht vernehmen, ewig fremd bleiben; in dieser Region sind sie dennoch durch hoͤhere Zauberkraft einig und in Frieden. Jede Muse sucht und findet die andre, und alle Stroͤme der Poesie fließen zusammen in das allgemeine große Meer. Die Vernunft ist nur eine und in allen dieselbe: wie aber jeder Mensch seine eigne Natur hat und seine eigne Liebe, so traͤgt auch jeder seine eigne Poesie in sich. Die muß ihm bleiben und soll ihm bleiben, so gewiß er der ist, der er ist, so gewiß nur irgend etwas Urspruͤngliches in ihm war; und keine Kritik kann und darf ihm sein eigenstes Wesen, seine innerste Kraft rauben, um ihn zu einem allgemeinen Bilde ohne Geist und ohne Sinn zu laͤutern und zu reinigen, wie die Thoren sich bemuͤhen, die nicht wissen was sie

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Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/66>, abgerufen am 29.04.2024.