Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

Ge
weniger einen Geist damit verknüpfen; ja einen
Geist, der noch unreif zu dem Wesen, wir wis-
sen nicht zu welchem, erlesen worden:

Ein Geist, noch unreif zu dem Wesen,
Wird heut zur Größe schon erlesen
Verknüpft in dieses Tages Riß.
Haller, 130 S.

Sollte wohl verknüpft auf Größe gehen? Jn
der 1. Zeile dieser Strophe sagt der unsterbliche
Mann, daß ihm schwindelte. Wir glauben es;
und die ganze Ode ist ein Beweis davon.

Geister.

Ein ästhetischer Philosoph belehret seine
Leser, daß Gott zweyerley Gattungen vernünftiger
Geschöpfe aus Nichts hervorgebracht habe; näm-
lich Menschen, und zweytens:
Wesen, deren Gestalt nur mit den Augen
des Verstandes kann gesehen werden.

Jch lobe den Mann, daß der die andere Gattung
nicht Geister genennet hat. Leben nicht in unsern
Zeiten Menschen, die das Daseyn der Geister in
Zweifel ziehen? Die Klugheit eines Schriftstel-
lers macht sich ein Gesetz, dem Leser nicht anstößig
zu seyn. Auch ein einziges Wort bringt uns um
den Beyfall.

Geistschöpfer.

So pfleget man auf neu deutsch
Gott anzureden: es ist ein sehr artiger Sproß von
zweenen zusammen gewachsenen Stämmen: der
eine Stamm ist ein Gallicismus; der andere ein
Anglicismus: woraus die ungemeine Frucht,
die wir den Klopstockianismus nennen, ent-

sprin-

Ge
weniger einen Geiſt damit verknuͤpfen; ja einen
Geiſt, der noch unreif zu dem Weſen, wir wiſ-
ſen nicht zu welchem, erleſen worden:

Ein Geiſt, noch unreif zu dem Weſen,
Wird heut zur Groͤße ſchon erleſen
Verknuͤpft in dieſes Tages Riß.
Haller, 130 S.

Sollte wohl verknuͤpft auf Groͤße gehen? Jn
der 1. Zeile dieſer Strophe ſagt der unſterbliche
Mann, daß ihm ſchwindelte. Wir glauben es;
und die ganze Ode iſt ein Beweis davon.

Geiſter.

Ein aͤſthetiſcher Philoſoph belehret ſeine
Leſer, daß Gott zweyerley Gattungen vernuͤnftiger
Geſchoͤpfe aus Nichts hervorgebracht habe; naͤm-
lich Menſchen, und zweytens:
Weſen, deren Geſtalt nur mit den Augen
des Verſtandes kann geſehen werden.

Jch lobe den Mann, daß der die andere Gattung
nicht Geiſter genennet hat. Leben nicht in unſern
Zeiten Menſchen, die das Daſeyn der Geiſter in
Zweifel ziehen? Die Klugheit eines Schriftſtel-
lers macht ſich ein Geſetz, dem Leſer nicht anſtoͤßig
zu ſeyn. Auch ein einziges Wort bringt uns um
den Beyfall.

Geiſtſchoͤpfer.

So pfleget man auf neu deutſch
Gott anzureden: es iſt ein ſehr artiger Sproß von
zweenen zuſammen gewachſenen Staͤmmen: der
eine Stamm iſt ein Gallicismus; der andere ein
Anglicismus: woraus die ungemeine Frucht,
die wir den Klopſtockianismus nennen, ent-

ſprin-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0196" n="170"/><fw place="top" type="header">Ge</fw><lb/>
weniger <hi rendition="#fr">einen Gei&#x017F;t damit verknu&#x0364;pfen;</hi> ja einen<lb/><hi rendition="#fr">Gei&#x017F;t,</hi> der noch <hi rendition="#fr">unreif zu dem We&#x017F;en,</hi> wir wi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en nicht <hi rendition="#fr">zu welchem,</hi> erle&#x017F;en worden:</p><lb/>
            <cit>
              <quote><hi rendition="#fr">Ein Gei&#x017F;t, noch unreif zu dem We&#x017F;en,</hi><lb/>
Wird heut zur <hi rendition="#fr">Gro&#x0364;ße</hi> &#x017F;chon erle&#x017F;en<lb/><hi rendition="#fr">Verknu&#x0364;pft</hi> in <hi rendition="#fr">die&#x017F;es Tages Riß.</hi><lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">Haller, 130 S.</hi></hi></quote>
              <bibl/>
            </cit><lb/>
            <p>Sollte wohl <hi rendition="#fr">verknu&#x0364;pft</hi> auf <hi rendition="#fr">Gro&#x0364;ße</hi> gehen? Jn<lb/>
der 1. Zeile die&#x017F;er Strophe &#x017F;agt der un&#x017F;terbliche<lb/>
Mann, daß ihm <hi rendition="#fr">&#x017F;chwindelte.</hi> Wir glauben es;<lb/>
und die ganze <hi rendition="#fr">Ode</hi> i&#x017F;t ein Beweis davon.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Gei&#x017F;ter.</head>
            <p>Ein <hi rendition="#fr">a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;cher Philo&#x017F;oph</hi> belehret &#x017F;eine<lb/>
Le&#x017F;er, daß Gott zweyerley Gattungen vernu&#x0364;nftiger<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe aus Nichts hervorgebracht habe; na&#x0364;m-<lb/>
lich Men&#x017F;chen, und zweytens:<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">We&#x017F;en, deren Ge&#x017F;talt nur mit den Augen<lb/>
des Ver&#x017F;tandes kann ge&#x017F;ehen werden.</hi></hi></p><lb/>
            <p>Jch lobe den Mann, daß der die andere Gattung<lb/>
nicht Gei&#x017F;ter genennet hat. Leben nicht in un&#x017F;ern<lb/>
Zeiten Men&#x017F;chen, die das Da&#x017F;eyn der Gei&#x017F;ter in<lb/>
Zweifel ziehen? Die Klugheit eines Schrift&#x017F;tel-<lb/>
lers macht &#x017F;ich ein Ge&#x017F;etz, dem Le&#x017F;er nicht an&#x017F;to&#x0364;ßig<lb/>
zu &#x017F;eyn. Auch ein einziges Wort bringt uns um<lb/>
den Beyfall.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Gei&#x017F;t&#x017F;cho&#x0364;pfer.</head>
            <p>So pfleget man auf <hi rendition="#fr">neu deut&#x017F;ch</hi><lb/>
Gott anzureden: es i&#x017F;t ein &#x017F;ehr artiger Sproß von<lb/>
zweenen zu&#x017F;ammen gewach&#x017F;enen Sta&#x0364;mmen: der<lb/>
eine Stamm i&#x017F;t ein <hi rendition="#fr">Gallicismus;</hi> der andere ein<lb/><hi rendition="#fr">Anglicismus:</hi> woraus die ungemeine Frucht,<lb/>
die wir den <hi rendition="#fr">Klop&#x017F;tockianismus</hi> nennen, ent-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;prin-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0196] Ge weniger einen Geiſt damit verknuͤpfen; ja einen Geiſt, der noch unreif zu dem Weſen, wir wiſ- ſen nicht zu welchem, erleſen worden: Ein Geiſt, noch unreif zu dem Weſen, Wird heut zur Groͤße ſchon erleſen Verknuͤpft in dieſes Tages Riß. Haller, 130 S. Sollte wohl verknuͤpft auf Groͤße gehen? Jn der 1. Zeile dieſer Strophe ſagt der unſterbliche Mann, daß ihm ſchwindelte. Wir glauben es; und die ganze Ode iſt ein Beweis davon. Geiſter. Ein aͤſthetiſcher Philoſoph belehret ſeine Leſer, daß Gott zweyerley Gattungen vernuͤnftiger Geſchoͤpfe aus Nichts hervorgebracht habe; naͤm- lich Menſchen, und zweytens: Weſen, deren Geſtalt nur mit den Augen des Verſtandes kann geſehen werden. Jch lobe den Mann, daß der die andere Gattung nicht Geiſter genennet hat. Leben nicht in unſern Zeiten Menſchen, die das Daſeyn der Geiſter in Zweifel ziehen? Die Klugheit eines Schriftſtel- lers macht ſich ein Geſetz, dem Leſer nicht anſtoͤßig zu ſeyn. Auch ein einziges Wort bringt uns um den Beyfall. Geiſtſchoͤpfer. So pfleget man auf neu deutſch Gott anzureden: es iſt ein ſehr artiger Sproß von zweenen zuſammen gewachſenen Staͤmmen: der eine Stamm iſt ein Gallicismus; der andere ein Anglicismus: woraus die ungemeine Frucht, die wir den Klopſtockianismus nennen, ent- ſprin-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/196
Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/196>, abgerufen am 26.04.2024.