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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. SCHLAF.
gesetzten Gewohnheiten sind, wenn sie in die späteren Alters-
stufen mit hinübergenommen werden, oft sehr hartnäckig, ja
arten sogar nicht selten in bleibende, wirklich unüberwindbare
körperliche Schwächen aus, die das spätere Leben recht ernst-
lich hemmen und verbittern.

4) Schlaf.

Je jünger das Kind, um so längerer Schlafzeit bedarf es.
Ein Kind der in Rede stehenden Altersstufe überlasse man
ruhig sich selbst, vermeide ebensosehr aufreizende Störungen
des Schlafes, als künstliche Einschläferungsmittel. Man hat in
ersterer Hinsicht alles grelle Licht, glänzende Gegenstände,
starkes Geräusch, sowie unnöthige Berührungen des Kindes
fern zu halten. In letzterer Hinsicht ist namentlich vor der
häufigen Maxime, die Kinder durch Herumtragen in den
Schlaf zu bringen, und vor dem Gebrauche der Wiegen zu
warnen. Das Herumtragen übt mehr eine erregende, als ein-
schläfernde Wirkung (letztere ist bei bereits verwöhnten Kin-
dern nur eine scheinbare) und artet sehr bald zu einer für
die Wartung lästigen, für das Kind schlafkürzenden Verwöh-
nung aus. Die Wiegen haben den Nachtheil, dass dadurch anstatt
des natürlichen oft ein künstlicher Schlaf oder vielmehr Schlaf-
taumel erzwungen wird, dass diese täglich zu mehreren Malen
wiederholte schaukelnde Bewegung einen eigenthümlichen Be-
täubungszustand erzeugt, der zu ernstlichen Gehirnleiden Ver-
anlassung geben kann, und dass in jedem Falle dem Kinde
wenigstens ein unnöthiges, seine und seiner Umgebung Ruhe
störendes Bedürfniss angewöhnt wird.

Ist die Schlafzeit gekommen, so lege man also das Kind
unmittelbar in sein Bett, und zwar stets gerade auf den
Rücken
, und enthalte sich alles Weiteren, auch des bei äl-
teren Kindern so gewöhnlichen Einsingens. Gesang ist ein sehr
angemessenes Belebungsmittel und soll daher nur in den Zeiten
des Wachseins das Kind umgeben. Ein gesundes und nicht ver-
wöhntes Kind wird stets von selbst in Schlaf verfallen und so den
Vorzug haben, eines ganz natürlichen und darum gedeihlichen
Schlafes zu geniessen. Ist das Kind aber durch Unwohlsein

1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. SCHLAF.
gesetzten Gewohnheiten sind, wenn sie in die späteren Alters-
stufen mit hinübergenommen werden, oft sehr hartnäckig, ja
arten sogar nicht selten in bleibende, wirklich unüberwindbare
körperliche Schwächen aus, die das spätere Leben recht ernst-
lich hemmen und verbittern.

4) Schlaf.

Je jünger das Kind, um so längerer Schlafzeit bedarf es.
Ein Kind der in Rede stehenden Altersstufe überlasse man
ruhig sich selbst, vermeide ebensosehr aufreizende Störungen
des Schlafes, als künstliche Einschläferungsmittel. Man hat in
ersterer Hinsicht alles grelle Licht, glänzende Gegenstände,
starkes Geräusch, sowie unnöthige Berührungen des Kindes
fern zu halten. In letzterer Hinsicht ist namentlich vor der
häufigen Maxime, die Kinder durch Herumtragen in den
Schlaf zu bringen, und vor dem Gebrauche der Wiegen zu
warnen. Das Herumtragen übt mehr eine erregende, als ein-
schläfernde Wirkung (letztere ist bei bereits verwöhnten Kin-
dern nur eine scheinbare) und artet sehr bald zu einer für
die Wartung lästigen, für das Kind schlafkürzenden Verwöh-
nung aus. Die Wiegen haben den Nachtheil, dass dadurch anstatt
des natürlichen oft ein künstlicher Schlaf oder vielmehr Schlaf-
taumel erzwungen wird, dass diese täglich zu mehreren Malen
wiederholte schaukelnde Bewegung einen eigenthümlichen Be-
täubungszustand erzeugt, der zu ernstlichen Gehirnleiden Ver-
anlassung geben kann, und dass in jedem Falle dem Kinde
wenigstens ein unnöthiges, seine und seiner Umgebung Ruhe
störendes Bedürfniss angewöhnt wird.

Ist die Schlafzeit gekommen, so lege man also das Kind
unmittelbar in sein Bett, und zwar stets gerade auf den
Rücken
, und enthalte sich alles Weiteren, auch des bei äl-
teren Kindern so gewöhnlichen Einsingens. Gesang ist ein sehr
angemessenes Belebungsmittel und soll daher nur in den Zeiten
des Wachseins das Kind umgeben. Ein gesundes und nicht ver-
wöhntes Kind wird stets von selbst in Schlaf verfallen und so den
Vorzug haben, eines ganz natürlichen und darum gedeihlichen
Schlafes zu geniessen. Ist das Kind aber durch Unwohlsein

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[48/0052] 1. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. SCHLAF. gesetzten Gewohnheiten sind, wenn sie in die späteren Alters- stufen mit hinübergenommen werden, oft sehr hartnäckig, ja arten sogar nicht selten in bleibende, wirklich unüberwindbare körperliche Schwächen aus, die das spätere Leben recht ernst- lich hemmen und verbittern. 4) Schlaf. Je jünger das Kind, um so längerer Schlafzeit bedarf es. Ein Kind der in Rede stehenden Altersstufe überlasse man ruhig sich selbst, vermeide ebensosehr aufreizende Störungen des Schlafes, als künstliche Einschläferungsmittel. Man hat in ersterer Hinsicht alles grelle Licht, glänzende Gegenstände, starkes Geräusch, sowie unnöthige Berührungen des Kindes fern zu halten. In letzterer Hinsicht ist namentlich vor der häufigen Maxime, die Kinder durch Herumtragen in den Schlaf zu bringen, und vor dem Gebrauche der Wiegen zu warnen. Das Herumtragen übt mehr eine erregende, als ein- schläfernde Wirkung (letztere ist bei bereits verwöhnten Kin- dern nur eine scheinbare) und artet sehr bald zu einer für die Wartung lästigen, für das Kind schlafkürzenden Verwöh- nung aus. Die Wiegen haben den Nachtheil, dass dadurch anstatt des natürlichen oft ein künstlicher Schlaf oder vielmehr Schlaf- taumel erzwungen wird, dass diese täglich zu mehreren Malen wiederholte schaukelnde Bewegung einen eigenthümlichen Be- täubungszustand erzeugt, der zu ernstlichen Gehirnleiden Ver- anlassung geben kann, und dass in jedem Falle dem Kinde wenigstens ein unnöthiges, seine und seiner Umgebung Ruhe störendes Bedürfniss angewöhnt wird. Ist die Schlafzeit gekommen, so lege man also das Kind unmittelbar in sein Bett, und zwar stets gerade auf den Rücken, und enthalte sich alles Weiteren, auch des bei äl- teren Kindern so gewöhnlichen Einsingens. Gesang ist ein sehr angemessenes Belebungsmittel und soll daher nur in den Zeiten des Wachseins das Kind umgeben. Ein gesundes und nicht ver- wöhntes Kind wird stets von selbst in Schlaf verfallen und so den Vorzug haben, eines ganz natürlichen und darum gedeihlichen Schlafes zu geniessen. Ist das Kind aber durch Unwohlsein

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/52>, abgerufen am 26.04.2024.