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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Erste Vorlesung.
beliebige "Figur" in der Tafelebene bilden; doch muss bei Linien-
stücken und Flächen jeweils ausgemacht sein, ob auch deren End-
punkte resp. Grenzlinien, Konturen mit zu dem Gebiet gehören sollen,
oder nicht. Praktisch aber, behufs Illustration der allgemeinen Sätze
unsres Kalkuls, werden wir in der Regel die Gebiete möglichst einfach
durch zusammenhängende Flächen, etwa nach Art der Euler'schen
Diagramme durch Kreisflächen (wo nicht das Gegenteil bemerkt wird,
unter Einschluss von deren Peripherie) uns darstellen.

Buchstaben, wie a, b, c, ... mögen künftighin solche Gebiete be-
deuten, aber diese selber, und nicht etwa (wie es sonst wol in der
Mathematik üblich ist) deren Maasszahlen oder Flächeninhalte, von
dergleichen in diesem Buche überhaupt nicht die Rede sein wird.

Mit einziger Ausnahme, vielleicht, der geometria situs, der syntheti-
schen oder Geometrie der Lage herrscht in der Mathematik der Gebrauch
vor, unter den Buchstaben jeweils Zahlen zu verstehen, und zwar zumeist
die Maasszahlen von Grössen (eventuell auch die aus Paaren solcher zu-
sammengesetzten "komplexen" Zahlen).

Von einer Grösse ihre Maasszahl zu abstrahiren ist -- auch nachdem
man mit der Maass-Einheit schon Bekanntschaft gemacht hat -- noch ein
ziemlich komplizirter Prozess. Ich erinnere an die Schwierigkeiten, welche
schon die Aufstellung des Begriffs der Länge einer krummen Linie, sowie
des Flächeninhaltes, desgl. des Voluminhaltes einer irgendwie begrenzten
ebenen oder körperlichen Figur im elementaren Unterricht bietet -- ganz
zu geschweigen von den Schwierigkeiten der Messung selber.

Sich unter dem buchstaben anstatt der gemessenen Grösse, z. B.
Fläche selbst, deren Maasszahl vorzustellen ist gar nicht das Naturgemässe,
vielmehr etwas Erkünsteltes. Es darf in Erinnerung gebracht werden, dass
die Gewöhnung daran erst in der Schule mühsam anerzogen wird. Wenn
z. B. von den Schülern eine Mischungsaufgabe, betreffend Wasser und
Wein, gerechnet wird, so wird der Lehrer leichtlich auf die Frage, was x
hier bedeute?, vom Schüler die Antwort erhalten: "x bedeutet das Wasser"
-- statt richtig: die Anzahl Liter des zur Mischung zu verwendenden
Wassers. Manche Schüler müssen wiederholt und hartnäckig darauf hin-
gewiesen werden, dass unter den Buchstaben keineswegs die Dinge selbst,
sondern deren Anzahl, beziehungsweise Maasszahlen, zu verstehen seien.

Es kann daher nicht wol als eine ungebührliche Zumutung an den
Mathematiker bezeichnet werden, von dieser so mühsam erworbenen Ange-
wöhnung zeitweilig -- für den gegenwärtigen Kalkul -- sich frei zu machen
und wieder zurückzukehren zu dem urwüchsigen Verfahren, welches (an-
statt ihrer Maasszahlen) die Dinge selbst benennt und bezeichnet -- zumal
auch hiefür Präcedenzfälle in der Mathematik schon genugsam vorliegen:
wie denn z. B. in der Lehre von Kongruenz, Ähnlichkeit und Projektivität
der Figuren unter einem Dreieck A B C auch durchaus nicht verstanden
wird die Maasszahl von dessen Fläche, vielmehr in der That das Dreieck
selber, u. a. m.

Immerhin dürfte gerade den vorwiegend mathematisch geschulten Leser

Erste Vorlesung.
beliebige „Figur“ in der Tafelebene bilden; doch muss bei Linien-
stücken und Flächen jeweils ausgemacht sein, ob auch deren End-
punkte resp. Grenzlinien, Konturen mit zu dem Gebiet gehören sollen,
oder nicht. Praktisch aber, behufs Illustration der allgemeinen Sätze
unsres Kalkuls, werden wir in der Regel die Gebiete möglichst einfach
durch zusammenhängende Flächen, etwa nach Art der Euler'schen
Diagramme durch Kreisflächen (wo nicht das Gegenteil bemerkt wird,
unter Einschluss von deren Peripherie) uns darstellen.

Buchstaben, wie a, b, c, … mögen künftighin solche Gebiete be-
deuten, aber diese selber, und nicht etwa (wie es sonst wol in der
Mathematik üblich ist) deren Maasszahlen oder Flächeninhalte, von
dergleichen in diesem Buche überhaupt nicht die Rede sein wird.

Mit einziger Ausnahme, vielleicht, der geometria situs, der syntheti-
schen oder Geometrie der Lage herrscht in der Mathematik der Gebrauch
vor, unter den Buchstaben jeweils Zahlen zu verstehen, und zwar zumeist
die Maasszahlen von Grössen (eventuell auch die aus Paaren solcher zu-
sammengesetzten „komplexen“ Zahlen).

Von einer Grösse ihre Maasszahl zu abstrahiren ist — auch nachdem
man mit der Maass-Einheit schon Bekanntschaft gemacht hat — noch ein
ziemlich komplizirter Prozess. Ich erinnere an die Schwierigkeiten, welche
schon die Aufstellung des Begriffs der Länge einer krummen Linie, sowie
des Flächeninhaltes, desgl. des Voluminhaltes einer irgendwie begrenzten
ebenen oder körperlichen Figur im elementaren Unterricht bietet — ganz
zu geschweigen von den Schwierigkeiten der Messung selber.

Sich unter dem buchstaben anstatt der gemessenen Grösse, z. B.
Fläche selbst, deren Maasszahl vorzustellen ist gar nicht das Naturgemässe,
vielmehr etwas Erkünsteltes. Es darf in Erinnerung gebracht werden, dass
die Gewöhnung daran erst in der Schule mühsam anerzogen wird. Wenn
z. B. von den Schülern eine Mischungsaufgabe, betreffend Wasser und
Wein, gerechnet wird, so wird der Lehrer leichtlich auf die Frage, was x
hier bedeute?, vom Schüler die Antwort erhalten: „x bedeutet das Wasser“
— statt richtig: die Anzahl Liter des zur Mischung zu verwendenden
Wassers. Manche Schüler müssen wiederholt und hartnäckig darauf hin-
gewiesen werden, dass unter den Buchstaben keineswegs die Dinge selbst,
sondern deren Anzahl, beziehungsweise Maasszahlen, zu verstehen seien.

Es kann daher nicht wol als eine ungebührliche Zumutung an den
Mathematiker bezeichnet werden, von dieser so mühsam erworbenen Ange-
wöhnung zeitweilig — für den gegenwärtigen Kalkul — sich frei zu machen
und wieder zurückzukehren zu dem urwüchsigen Verfahren, welches (an-
statt ihrer Maasszahlen) die Dinge selbst benennt und bezeichnet — zumal
auch hiefür Präcedenzfälle in der Mathematik schon genugsam vorliegen:
wie denn z. B. in der Lehre von Kongruenz, Ähnlichkeit und Projektivität
der Figuren unter einem Dreieck A B C auch durchaus nicht verstanden
wird die Maasszahl von dessen Fläche, vielmehr in der That das Dreieck
selber, u. a. m.

Immerhin dürfte gerade den vorwiegend mathematisch geschulten Leser

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[158/0178] Erste Vorlesung. beliebige „Figur“ in der Tafelebene bilden; doch muss bei Linien- stücken und Flächen jeweils ausgemacht sein, ob auch deren End- punkte resp. Grenzlinien, Konturen mit zu dem Gebiet gehören sollen, oder nicht. Praktisch aber, behufs Illustration der allgemeinen Sätze unsres Kalkuls, werden wir in der Regel die Gebiete möglichst einfach durch zusammenhängende Flächen, etwa nach Art der Euler'schen Diagramme durch Kreisflächen (wo nicht das Gegenteil bemerkt wird, unter Einschluss von deren Peripherie) uns darstellen. Buchstaben, wie a, b, c, … mögen künftighin solche Gebiete be- deuten, aber diese selber, und nicht etwa (wie es sonst wol in der Mathematik üblich ist) deren Maasszahlen oder Flächeninhalte, von dergleichen in diesem Buche überhaupt nicht die Rede sein wird. Mit einziger Ausnahme, vielleicht, der geometria situs, der syntheti- schen oder Geometrie der Lage herrscht in der Mathematik der Gebrauch vor, unter den Buchstaben jeweils Zahlen zu verstehen, und zwar zumeist die Maasszahlen von Grössen (eventuell auch die aus Paaren solcher zu- sammengesetzten „komplexen“ Zahlen). Von einer Grösse ihre Maasszahl zu abstrahiren ist — auch nachdem man mit der Maass-Einheit schon Bekanntschaft gemacht hat — noch ein ziemlich komplizirter Prozess. Ich erinnere an die Schwierigkeiten, welche schon die Aufstellung des Begriffs der Länge einer krummen Linie, sowie des Flächeninhaltes, desgl. des Voluminhaltes einer irgendwie begrenzten ebenen oder körperlichen Figur im elementaren Unterricht bietet — ganz zu geschweigen von den Schwierigkeiten der Messung selber. Sich unter dem buchstaben anstatt der gemessenen Grösse, z. B. Fläche selbst, deren Maasszahl vorzustellen ist gar nicht das Naturgemässe, vielmehr etwas Erkünsteltes. Es darf in Erinnerung gebracht werden, dass die Gewöhnung daran erst in der Schule mühsam anerzogen wird. Wenn z. B. von den Schülern eine Mischungsaufgabe, betreffend Wasser und Wein, gerechnet wird, so wird der Lehrer leichtlich auf die Frage, was x hier bedeute?, vom Schüler die Antwort erhalten: „x bedeutet das Wasser“ — statt richtig: die Anzahl Liter des zur Mischung zu verwendenden Wassers. Manche Schüler müssen wiederholt und hartnäckig darauf hin- gewiesen werden, dass unter den Buchstaben keineswegs die Dinge selbst, sondern deren Anzahl, beziehungsweise Maasszahlen, zu verstehen seien. Es kann daher nicht wol als eine ungebührliche Zumutung an den Mathematiker bezeichnet werden, von dieser so mühsam erworbenen Ange- wöhnung zeitweilig — für den gegenwärtigen Kalkul — sich frei zu machen und wieder zurückzukehren zu dem urwüchsigen Verfahren, welches (an- statt ihrer Maasszahlen) die Dinge selbst benennt und bezeichnet — zumal auch hiefür Präcedenzfälle in der Mathematik schon genugsam vorliegen: wie denn z. B. in der Lehre von Kongruenz, Ähnlichkeit und Projektivität der Figuren unter einem Dreieck A B C auch durchaus nicht verstanden wird die Maasszahl von dessen Fläche, vielmehr in der That das Dreieck selber, u. a. m. Immerhin dürfte gerade den vorwiegend mathematisch geschulten Leser

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/178>, abgerufen am 26.04.2024.