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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795.

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Jst man diesen Berg hinunter, so befindet
man sich von neuem in dem erwähnten Thal
und bald nachher an der Wilia, über die man
sich setzen lassen muß, um nach Kowno zu
kommen. Kurz nach 9 Uhr stand ich an dem
Ufer jenes Flusses, nachdem ich, seit 6 Uhr
Morgens, eine Strecke von 17 Meilen zurück
gelegt hatte. Jch fand Russen vor mir, die
in der Judenstadt im Quartier lagen. Jch
nenne die hier herumstehenden Häuser, die
eine förmliche Stadt mit einem Markte bilden,
eine Judenstadt, weil sie in der That ganz
von Juden bewohnt wird, die eine eigene an-
sehnliche Synagoge hier besitzen, und sich wohl
auf 2000 Köpfe belaufen können. Es fällt
mir immer noch auf, dieses Volk auch mit
andern Dingen, als mit Schachern, beschäf-
tigt zu sehen; hier nemlich treiben sie alle
Handwerke, die sie zu ihrer Versorgung und
Unterhalte brauchen. Auch die Nachtwächter
waren Juden, aber (man lache nur nicht!)
ihrer zwey waren immer bey einander, sangen

Jſt man dieſen Berg hinunter, ſo befindet
man ſich von neuem in dem erwaͤhnten Thal
und bald nachher an der Wilia, uͤber die man
ſich ſetzen laſſen muß, um nach Kowno zu
kommen. Kurz nach 9 Uhr ſtand ich an dem
Ufer jenes Fluſſes, nachdem ich, ſeit 6 Uhr
Morgens, eine Strecke von 17 Meilen zuruͤck
gelegt hatte. Jch fand Ruſſen vor mir, die
in der Judenſtadt im Quartier lagen. Jch
nenne die hier herumſtehenden Haͤuſer, die
eine foͤrmliche Stadt mit einem Markte bilden,
eine Judenſtadt, weil ſie in der That ganz
von Juden bewohnt wird, die eine eigene an-
ſehnliche Synagoge hier beſitzen, und ſich wohl
auf 2000 Koͤpfe belaufen koͤnnen. Es faͤllt
mir immer noch auf, dieſes Volk auch mit
andern Dingen, als mit Schachern, beſchaͤf-
tigt zu ſehen; hier nemlich treiben ſie alle
Handwerke, die ſie zu ihrer Verſorgung und
Unterhalte brauchen. Auch die Nachtwaͤchter
waren Juden, aber (man lache nur nicht!)
ihrer zwey waren immer bey einander, ſangen

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[20/0038] Jſt man dieſen Berg hinunter, ſo befindet man ſich von neuem in dem erwaͤhnten Thal und bald nachher an der Wilia, uͤber die man ſich ſetzen laſſen muß, um nach Kowno zu kommen. Kurz nach 9 Uhr ſtand ich an dem Ufer jenes Fluſſes, nachdem ich, ſeit 6 Uhr Morgens, eine Strecke von 17 Meilen zuruͤck gelegt hatte. Jch fand Ruſſen vor mir, die in der Judenſtadt im Quartier lagen. Jch nenne die hier herumſtehenden Haͤuſer, die eine foͤrmliche Stadt mit einem Markte bilden, eine Judenſtadt, weil ſie in der That ganz von Juden bewohnt wird, die eine eigene an- ſehnliche Synagoge hier beſitzen, und ſich wohl auf 2000 Koͤpfe belaufen koͤnnen. Es faͤllt mir immer noch auf, dieſes Volk auch mit andern Dingen, als mit Schachern, beſchaͤf- tigt zu ſehen; hier nemlich treiben ſie alle Handwerke, die ſie zu ihrer Verſorgung und Unterhalte brauchen. Auch die Nachtwaͤchter waren Juden, aber (man lache nur nicht!) ihrer zwey waren immer bey einander, ſangen

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 1, [H. 1]. Berlin, 1795, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0101_1795/38>, abgerufen am 26.04.2024.