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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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über diesen Antrag, und rief zürnend die Götter an, als
Zeugen seiner Schwüre. Jason achtetete dieß nicht und
vermählte sich mit der Königstochter. Verzweifelnd irrte
Medea in dem Pallaste ihres Gatten umher. "Wehe
mir," rief sie "möchte die Flamme des Himmels auf mein
Haupt hernieder zücken! Was soll ich länger leben?
Möchte der Tod sich meiner erbarmen. O Vater, o Va¬
terstadt, die ich schimpflich verlassen habe! O Bruder,
den ich gemordet und dessen Blut jetzt über mich kommt!
Aber nicht an meinem Gatten Jason war es, mich zu
strafen, für ihn habe ich gesündigt! Göttin der Ge¬
rechtigkeit, mögest du ihn und sein junges Kebsweib ver¬
derben!"

Noch jammerte sie so, als Kreon, Jasons neuer
Schwiegervater, im Pallaste ihr begegnete. "Du finster
Blickende, auf deinen Gemahl Ergrimmte," redete er sie
an, "nimm deine Söhne an der Hand und verlaß mir
mein Land auf der Stelle; ich werde nicht nach Hause
kehren, ehe ich dich über meine Grenzen gejagt." Medea,
ihren Zorn unterdrückend, sprach mit gefaßter Stimme:
"Warum fürchtest du ein Uebel von mir, Kreon? Was
hast du mir Böses gethan, was warest du mir schuldig?
Du hast deine Tochter dem Manne gegeben, der dir ge¬
fallen hat. Was gieng ich dich an? Nur meinen Gat¬
ten hasse ich, der mir Alles schuldig ist. Doch, es ist ge¬
schehen: mögen sie als Gatten leben. Mich aber laßt
in diesem Lande wohnen; denn obgleich ich tief gekränkt
bin, so will ich doch schweigen und den Mächtigeren mich
unterwerfen. Aber Kreon sah ihr die Wuth in den Au¬
gen an, er traute ihr nicht, obgleich sie seine Kniee um¬
schlang und ihn bei dem Namen der eigenen, ihr so ver¬

über dieſen Antrag, und rief zürnend die Götter an, als
Zeugen ſeiner Schwüre. Jaſon achtetete dieß nicht und
vermählte ſich mit der Königstochter. Verzweifelnd irrte
Medea in dem Pallaſte ihres Gatten umher. „Wehe
mir,“ rief ſie „möchte die Flamme des Himmels auf mein
Haupt hernieder zücken! Was ſoll ich länger leben?
Möchte der Tod ſich meiner erbarmen. O Vater, o Va¬
terſtadt, die ich ſchimpflich verlaſſen habe! O Bruder,
den ich gemordet und deſſen Blut jetzt über mich kommt!
Aber nicht an meinem Gatten Jaſon war es, mich zu
ſtrafen, für ihn habe ich geſündigt! Göttin der Ge¬
rechtigkeit, mögeſt du ihn und ſein junges Kebsweib ver¬
derben!“

Noch jammerte ſie ſo, als Kreon, Jaſons neuer
Schwiegervater, im Pallaſte ihr begegnete. „Du finſter
Blickende, auf deinen Gemahl Ergrimmte,“ redete er ſie
an, „nimm deine Söhne an der Hand und verlaß mir
mein Land auf der Stelle; ich werde nicht nach Hauſe
kehren, ehe ich dich über meine Grenzen gejagt.“ Medea,
ihren Zorn unterdrückend, ſprach mit gefaßter Stimme:
„Warum fürchteſt du ein Uebel von mir, Kreon? Was
haſt du mir Böſes gethan, was wareſt du mir ſchuldig?
Du haſt deine Tochter dem Manne gegeben, der dir ge¬
fallen hat. Was gieng ich dich an? Nur meinen Gat¬
ten haſſe ich, der mir Alles ſchuldig iſt. Doch, es iſt ge¬
ſchehen: mögen ſie als Gatten leben. Mich aber laßt
in dieſem Lande wohnen; denn obgleich ich tief gekränkt
bin, ſo will ich doch ſchweigen und den Mächtigeren mich
unterwerfen. Aber Kreon ſah ihr die Wuth in den Au¬
gen an, er traute ihr nicht, obgleich ſie ſeine Kniee um¬
ſchlang und ihn bei dem Namen der eigenen, ihr ſo ver¬

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[171/0197] über dieſen Antrag, und rief zürnend die Götter an, als Zeugen ſeiner Schwüre. Jaſon achtetete dieß nicht und vermählte ſich mit der Königstochter. Verzweifelnd irrte Medea in dem Pallaſte ihres Gatten umher. „Wehe mir,“ rief ſie „möchte die Flamme des Himmels auf mein Haupt hernieder zücken! Was ſoll ich länger leben? Möchte der Tod ſich meiner erbarmen. O Vater, o Va¬ terſtadt, die ich ſchimpflich verlaſſen habe! O Bruder, den ich gemordet und deſſen Blut jetzt über mich kommt! Aber nicht an meinem Gatten Jaſon war es, mich zu ſtrafen, für ihn habe ich geſündigt! Göttin der Ge¬ rechtigkeit, mögeſt du ihn und ſein junges Kebsweib ver¬ derben!“ Noch jammerte ſie ſo, als Kreon, Jaſons neuer Schwiegervater, im Pallaſte ihr begegnete. „Du finſter Blickende, auf deinen Gemahl Ergrimmte,“ redete er ſie an, „nimm deine Söhne an der Hand und verlaß mir mein Land auf der Stelle; ich werde nicht nach Hauſe kehren, ehe ich dich über meine Grenzen gejagt.“ Medea, ihren Zorn unterdrückend, ſprach mit gefaßter Stimme: „Warum fürchteſt du ein Uebel von mir, Kreon? Was haſt du mir Böſes gethan, was wareſt du mir ſchuldig? Du haſt deine Tochter dem Manne gegeben, der dir ge¬ fallen hat. Was gieng ich dich an? Nur meinen Gat¬ ten haſſe ich, der mir Alles ſchuldig iſt. Doch, es iſt ge¬ ſchehen: mögen ſie als Gatten leben. Mich aber laßt in dieſem Lande wohnen; denn obgleich ich tief gekränkt bin, ſo will ich doch ſchweigen und den Mächtigeren mich unterwerfen. Aber Kreon ſah ihr die Wuth in den Au¬ gen an, er traute ihr nicht, obgleich ſie ſeine Kniee um¬ ſchlang und ihn bei dem Namen der eigenen, ihr ſo ver¬

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/197>, abgerufen am 27.04.2024.