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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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dem sein Freund Meleager von der hohen Schönheit dieser Kö¬
nigstochter erzählt hatte. Er kam mit der Vorahnung, daß er
die liebliche Jungfrau nicht ohne heißen Kampf gewinnen
würde, daher war er streitbar ausgerüstet, wie wenn er
sonst in Fehden zog. Wie er auf den Pallast zu wandelte,
flatterte ihm die Löwenhaut im Winde vom Rücken, sein
Köcher hallte von Wurfpfeilen, und er schwang in der
Luft prüfend die Keule. Als der gehörnte Stromgott ihn
kommen sah, quollen die Adern seines Stierhauptes auf
und er versuchte sein Horn im Stoße. Der König Oe¬
neus, wie er beide so kampflustig und furchtbar mit ihrer
Werbung vor sich stehen sah, wollte keinen der mächtigen
Liebhaber durch eine abschlägige Antwort beleidigen, und
versprach seine Tochter demjenigen zum Weibe zu geben,
der den andern im Kampf überwinden würde.

Bald begann auch vor den Augen des Königs, der
Königin und ihrer Tochter Deianira der wüthende Zwei¬
kampf. Von der Faust des Herkules, von seinem Bogen
klang es, aber mitten durch Streich und Schuß fuhr,
lange unverwundet, das gewaltige Stierhaupt des Strom¬
gottes und suchte den Gegner mit den tödtlichen Stößen
seiner Hörner auf. Endlich wurde das Gefecht zum Ring¬
kampfe, Arm verschlang sich mit Arm, Fuß in Fuß, der
Schweiß strömte den Ringern von Haupt und Gliedern,
beide stöhnten laut unter übermenschlicher Anstrengung.
Zuletzt bekam der Sohn Jupiters die Oberhand und
warf den starken Flußgott zu Boden. Dieser verwan¬
delte sich sofort in eine Schlange; aber Herkules, der mit
Schlangen längst zu handthieren verstand, faßte sie und
hätte sie erdrückt, wenn nicht Achelous plötzlich zu einer
andern Verwandlung schreitend die Gestalt eines Stieres

Schwab, das klass. Alterthum. I. 17

dem ſein Freund Meleager von der hohen Schönheit dieſer Kö¬
nigstochter erzählt hatte. Er kam mit der Vorahnung, daß er
die liebliche Jungfrau nicht ohne heißen Kampf gewinnen
würde, daher war er ſtreitbar ausgerüſtet, wie wenn er
ſonſt in Fehden zog. Wie er auf den Pallaſt zu wandelte,
flatterte ihm die Löwenhaut im Winde vom Rücken, ſein
Köcher hallte von Wurfpfeilen, und er ſchwang in der
Luft prüfend die Keule. Als der gehörnte Stromgott ihn
kommen ſah, quollen die Adern ſeines Stierhauptes auf
und er verſuchte ſein Horn im Stoße. Der König Oe¬
neus, wie er beide ſo kampfluſtig und furchtbar mit ihrer
Werbung vor ſich ſtehen ſah, wollte keinen der mächtigen
Liebhaber durch eine abſchlägige Antwort beleidigen, und
verſprach ſeine Tochter demjenigen zum Weibe zu geben,
der den andern im Kampf überwinden würde.

Bald begann auch vor den Augen des Königs, der
Königin und ihrer Tochter Deïanira der wüthende Zwei¬
kampf. Von der Fauſt des Herkules, von ſeinem Bogen
klang es, aber mitten durch Streich und Schuß fuhr,
lange unverwundet, das gewaltige Stierhaupt des Strom¬
gottes und ſuchte den Gegner mit den tödtlichen Stößen
ſeiner Hörner auf. Endlich wurde das Gefecht zum Ring¬
kampfe, Arm verſchlang ſich mit Arm, Fuß in Fuß, der
Schweiß ſtrömte den Ringern von Haupt und Gliedern,
beide ſtöhnten laut unter übermenſchlicher Anſtrengung.
Zuletzt bekam der Sohn Jupiters die Oberhand und
warf den ſtarken Flußgott zu Boden. Dieſer verwan¬
delte ſich ſofort in eine Schlange; aber Herkules, der mit
Schlangen längſt zu handthieren verſtand, faßte ſie und
hätte ſie erdrückt, wenn nicht Achelous plötzlich zu einer
andern Verwandlung ſchreitend die Geſtalt eines Stieres

Schwab, das klass. Alterthum. I. 17
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[257/0283] dem ſein Freund Meleager von der hohen Schönheit dieſer Kö¬ nigstochter erzählt hatte. Er kam mit der Vorahnung, daß er die liebliche Jungfrau nicht ohne heißen Kampf gewinnen würde, daher war er ſtreitbar ausgerüſtet, wie wenn er ſonſt in Fehden zog. Wie er auf den Pallaſt zu wandelte, flatterte ihm die Löwenhaut im Winde vom Rücken, ſein Köcher hallte von Wurfpfeilen, und er ſchwang in der Luft prüfend die Keule. Als der gehörnte Stromgott ihn kommen ſah, quollen die Adern ſeines Stierhauptes auf und er verſuchte ſein Horn im Stoße. Der König Oe¬ neus, wie er beide ſo kampfluſtig und furchtbar mit ihrer Werbung vor ſich ſtehen ſah, wollte keinen der mächtigen Liebhaber durch eine abſchlägige Antwort beleidigen, und verſprach ſeine Tochter demjenigen zum Weibe zu geben, der den andern im Kampf überwinden würde. Bald begann auch vor den Augen des Königs, der Königin und ihrer Tochter Deïanira der wüthende Zwei¬ kampf. Von der Fauſt des Herkules, von ſeinem Bogen klang es, aber mitten durch Streich und Schuß fuhr, lange unverwundet, das gewaltige Stierhaupt des Strom¬ gottes und ſuchte den Gegner mit den tödtlichen Stößen ſeiner Hörner auf. Endlich wurde das Gefecht zum Ring¬ kampfe, Arm verſchlang ſich mit Arm, Fuß in Fuß, der Schweiß ſtrömte den Ringern von Haupt und Gliedern, beide ſtöhnten laut unter übermenſchlicher Anſtrengung. Zuletzt bekam der Sohn Jupiters die Oberhand und warf den ſtarken Flußgott zu Boden. Dieſer verwan¬ delte ſich ſofort in eine Schlange; aber Herkules, der mit Schlangen längſt zu handthieren verſtand, faßte ſie und hätte ſie erdrückt, wenn nicht Achelous plötzlich zu einer andern Verwandlung ſchreitend die Geſtalt eines Stieres Schwab, das klass. Alterthum. I. 17

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/283>, abgerufen am 26.04.2024.