Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

zur Gattin. Ihre ganze Nachkommenschaft hielt den
Schwur und verbrannte nie eines von den Gewächsen,
welche ihre Ahnfrau geschirmt hatten.

Aber nicht nur von verderblichen Menschen säuberte
er den Weg, auf welchem er einherzog, auch gegen schäd¬
liche Thiere glaubte er, auch hierin dem Herkules ähnlich, den
Kampf wagen zu müssen. So erlegte er denn unter anderm
die Phäa, so hieß das kromyonische Schwein, welches
kein gemeines Thier, sondern streitbar und schwer zu be¬
siegen war. Ueber solchen Thaten kam er an die Gränze
von Megara, und stieß hier auf den Sciron, einen dritten
berüchtigten Straßenräuber, der seinen Aufenthalt auf
den hohen Felsen zwischen dem Megarerlande und Attika
genommen hatte. Dieser pflegte aus frechem Muthwil¬
len den Fremden seine Füße vorzuhalten, mit dem Be¬
fehle sie zu waschen, und während dieß geschah, stürzte
er sie mit einem Tritt in's Meer. Dieselbe Todesstrafe
vollzog nun Theseus an ihm selber. Schon auf attischem
Gebiete, bei der Stadt Eleusis begegnete er dem Wege¬
lagerer Cercyon; dieser forderte die Vorbeireisenden zum
Ringkampfe auf und, wenn er siegte, brachte er sie um.
Theseus nahm seine Ausforderung an, überwand ihn und
befreite die Welt von dem Ungeheuer. Nachdem er nun
eine kleine Strecke weiter gereist war, kam er zu dem
lezten und grausamsten jener Straßenräuber, dem Dama¬
stes, den aber jedermann nur unter seinem Beinamen
Prokrustes, d. h. der Gliedausrecker, kannte. Dieser
hatte zwei Bettstellen, eine sehr kurze und eine sehr lange.
Kam nun ein Fremder in sein Gehege, der klein war, so
führte ihn der finstere Räuber beim Schlafengehen zur
langen Bettstelle. "Wie du siehst," sprach er dann, "ist

zur Gattin. Ihre ganze Nachkommenſchaft hielt den
Schwur und verbrannte nie eines von den Gewächſen,
welche ihre Ahnfrau geſchirmt hatten.

Aber nicht nur von verderblichen Menſchen ſäuberte
er den Weg, auf welchem er einherzog, auch gegen ſchäd¬
liche Thiere glaubte er, auch hierin dem Herkules ähnlich, den
Kampf wagen zu müſſen. So erlegte er denn unter anderm
die Phäa, ſo hieß das kromyoniſche Schwein, welches
kein gemeines Thier, ſondern ſtreitbar und ſchwer zu be¬
ſiegen war. Ueber ſolchen Thaten kam er an die Gränze
von Megara, und ſtieß hier auf den Sciron, einen dritten
berüchtigten Straßenräuber, der ſeinen Aufenthalt auf
den hohen Felſen zwiſchen dem Megarerlande und Attika
genommen hatte. Dieſer pflegte aus frechem Muthwil¬
len den Fremden ſeine Füße vorzuhalten, mit dem Be¬
fehle ſie zu waſchen, und während dieß geſchah, ſtürzte
er ſie mit einem Tritt in's Meer. Dieſelbe Todesſtrafe
vollzog nun Theſeus an ihm ſelber. Schon auf attiſchem
Gebiete, bei der Stadt Eleuſis begegnete er dem Wege¬
lagerer Cercyon; dieſer forderte die Vorbeireiſenden zum
Ringkampfe auf und, wenn er ſiegte, brachte er ſie um.
Theſeus nahm ſeine Ausforderung an, überwand ihn und
befreite die Welt von dem Ungeheuer. Nachdem er nun
eine kleine Strecke weiter gereist war, kam er zu dem
lezten und grauſamſten jener Straßenräuber, dem Dama¬
ſtes, den aber jedermann nur unter ſeinem Beinamen
Prokruſtes, d. h. der Gliedausrecker, kannte. Dieſer
hatte zwei Bettſtellen, eine ſehr kurze und eine ſehr lange.
Kam nun ein Fremder in ſein Gehege, der klein war, ſo
führte ihn der finſtere Räuber beim Schlafengehen zur
langen Bettſtelle. „Wie du ſiehſt,“ ſprach er dann, „iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0308" n="282"/>
zur Gattin. Ihre ganze Nachkommen&#x017F;chaft hielt den<lb/>
Schwur und verbrannte nie eines von den Gewäch&#x017F;en,<lb/>
welche ihre Ahnfrau ge&#x017F;chirmt hatten.</p><lb/>
            <p>Aber nicht nur von verderblichen Men&#x017F;chen &#x017F;äuberte<lb/>
er den Weg, auf welchem er einherzog, auch gegen &#x017F;chäd¬<lb/>
liche Thiere glaubte er, auch hierin dem Herkules ähnlich, den<lb/>
Kampf wagen zu mü&#x017F;&#x017F;en. So erlegte er denn unter anderm<lb/>
die Phäa, &#x017F;o hieß das kromyoni&#x017F;che Schwein, welches<lb/>
kein gemeines Thier, &#x017F;ondern &#x017F;treitbar und &#x017F;chwer zu be¬<lb/>
&#x017F;iegen war. Ueber &#x017F;olchen Thaten kam er an die Gränze<lb/>
von Megara, und &#x017F;tieß hier auf den Sciron, einen dritten<lb/>
berüchtigten Straßenräuber, der &#x017F;einen Aufenthalt auf<lb/>
den hohen Fel&#x017F;en zwi&#x017F;chen dem Megarerlande und Attika<lb/>
genommen hatte. Die&#x017F;er pflegte aus frechem Muthwil¬<lb/>
len den Fremden &#x017F;eine Füße vorzuhalten, mit dem Be¬<lb/>
fehle &#x017F;ie zu wa&#x017F;chen, und während dieß ge&#x017F;chah, &#x017F;türzte<lb/>
er &#x017F;ie mit einem Tritt in's Meer. Die&#x017F;elbe Todes&#x017F;trafe<lb/>
vollzog nun The&#x017F;eus an ihm &#x017F;elber. Schon auf atti&#x017F;chem<lb/>
Gebiete, bei der Stadt Eleu&#x017F;is begegnete er dem Wege¬<lb/>
lagerer Cercyon; die&#x017F;er forderte die Vorbeirei&#x017F;enden zum<lb/>
Ringkampfe auf und, wenn er &#x017F;iegte, brachte er &#x017F;ie um.<lb/>
The&#x017F;eus nahm &#x017F;eine Ausforderung an, überwand ihn und<lb/>
befreite die Welt von dem Ungeheuer. Nachdem er nun<lb/>
eine kleine Strecke weiter gereist war, kam er zu dem<lb/>
lezten und grau&#x017F;am&#x017F;ten jener Straßenräuber, dem Dama¬<lb/>
&#x017F;tes, den aber jedermann nur unter &#x017F;einem Beinamen<lb/>
Prokru&#x017F;tes, d. h. der Gliedausrecker, kannte. Die&#x017F;er<lb/>
hatte zwei Bett&#x017F;tellen, eine &#x017F;ehr kurze und eine &#x017F;ehr lange.<lb/>
Kam nun ein Fremder in &#x017F;ein Gehege, der klein war, &#x017F;o<lb/>
führte ihn der fin&#x017F;tere Räuber beim Schlafengehen zur<lb/>
langen Bett&#x017F;telle. &#x201E;Wie du &#x017F;ieh&#x017F;t,&#x201C; &#x017F;prach er dann, &#x201E;i&#x017F;t<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0308] zur Gattin. Ihre ganze Nachkommenſchaft hielt den Schwur und verbrannte nie eines von den Gewächſen, welche ihre Ahnfrau geſchirmt hatten. Aber nicht nur von verderblichen Menſchen ſäuberte er den Weg, auf welchem er einherzog, auch gegen ſchäd¬ liche Thiere glaubte er, auch hierin dem Herkules ähnlich, den Kampf wagen zu müſſen. So erlegte er denn unter anderm die Phäa, ſo hieß das kromyoniſche Schwein, welches kein gemeines Thier, ſondern ſtreitbar und ſchwer zu be¬ ſiegen war. Ueber ſolchen Thaten kam er an die Gränze von Megara, und ſtieß hier auf den Sciron, einen dritten berüchtigten Straßenräuber, der ſeinen Aufenthalt auf den hohen Felſen zwiſchen dem Megarerlande und Attika genommen hatte. Dieſer pflegte aus frechem Muthwil¬ len den Fremden ſeine Füße vorzuhalten, mit dem Be¬ fehle ſie zu waſchen, und während dieß geſchah, ſtürzte er ſie mit einem Tritt in's Meer. Dieſelbe Todesſtrafe vollzog nun Theſeus an ihm ſelber. Schon auf attiſchem Gebiete, bei der Stadt Eleuſis begegnete er dem Wege¬ lagerer Cercyon; dieſer forderte die Vorbeireiſenden zum Ringkampfe auf und, wenn er ſiegte, brachte er ſie um. Theſeus nahm ſeine Ausforderung an, überwand ihn und befreite die Welt von dem Ungeheuer. Nachdem er nun eine kleine Strecke weiter gereist war, kam er zu dem lezten und grauſamſten jener Straßenräuber, dem Dama¬ ſtes, den aber jedermann nur unter ſeinem Beinamen Prokruſtes, d. h. der Gliedausrecker, kannte. Dieſer hatte zwei Bettſtellen, eine ſehr kurze und eine ſehr lange. Kam nun ein Fremder in ſein Gehege, der klein war, ſo führte ihn der finſtere Räuber beim Schlafengehen zur langen Bettſtelle. „Wie du ſiehſt,“ ſprach er dann, „iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/308
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/308>, abgerufen am 26.04.2024.