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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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den Söhnen des Dolius auf und ging, seinem Worte
gehorsam, über die Schwelle des Hauses. Er brauchte
sich nicht weiter von der Wohnung zu entfernen, denn
er sah einen gewaltigen Heerhaufen im vollem Anmarsche
begriffen. Erschrocken kehrte er zu den versammelten Freun¬
den in den Saal des Hauses zurück und rief: "Sie
kommen, Odysseus, sie kommen, sie sind ganz in der
Nähe! Werft euch eilig in die Rüstungen." Da fuh¬
ren die Tafelnden vom Tische auf, und hüllten sich
augenblicklich in ihre Waffen. Es waren Odysseus, sein
Sohn und die Hirten zu vieren, und sechs Söhne des
Dolius, endlich, so grauköpfig sie waren, Dolius und
Laertes selbst. Auch sie hatten sich gerüstet und gegürtet.
Odysseus stellte sich an die Spitze, und der kleine Trupp
trat aus der Pforte des Hauses hervor.

Kaum waren sie im Freien, als sich in Mentors
Gestalt der gewaltigste Bundesgenosse zu ihnen gesellte,
die erhabene Göttin Pallas Athene. Dieser Anblick er¬
füllte den Helden Odysseus, der sie auf der Stelle er¬
kannte, mit der freudigsten Hoffnung. "Telemach," sprach
er zu seinem Sohn, "erfülle jetzt die Erwartungen, die
dein Vater von dir hegt. Zeige dich in der Schlacht
da, wo die tapfersten Männer fechten, und mache dei¬
nem Stamm Ehre, der sich von jeher durch Tapferkeit
und Muth unter allen Sterblichen ausgezeichnet hat."
"Kannst du nach der Schlacht mit den Freiern an mei¬
ner Kampflust noch zweifeln, Vater?" erwiederte Tele¬
mach. "Du wirst sehen, daß ich deinen Stamm nicht
schände!" Solcher Worte freute sich Laertes, der Vater
und Großvater. "Welch ein Tag ist dieß, ihr Götter,"
rief er, "wie frohlockt mein Herz! Einen Wettkampf

den Söhnen des Dolius auf und ging, ſeinem Worte
gehorſam, über die Schwelle des Hauſes. Er brauchte
ſich nicht weiter von der Wohnung zu entfernen, denn
er ſah einen gewaltigen Heerhaufen im vollem Anmarſche
begriffen. Erſchrocken kehrte er zu den verſammelten Freun¬
den in den Saal des Hauſes zurück und rief: „Sie
kommen, Odyſſeus, ſie kommen, ſie ſind ganz in der
Nähe! Werft euch eilig in die Rüſtungen.“ Da fuh¬
ren die Tafelnden vom Tiſche auf, und hüllten ſich
augenblicklich in ihre Waffen. Es waren Odyſſeus, ſein
Sohn und die Hirten zu vieren, und ſechs Söhne des
Dolius, endlich, ſo grauköpfig ſie waren, Dolius und
Laertes ſelbſt. Auch ſie hatten ſich gerüſtet und gegürtet.
Odyſſeus ſtellte ſich an die Spitze, und der kleine Trupp
trat aus der Pforte des Hauſes hervor.

Kaum waren ſie im Freien, als ſich in Mentors
Geſtalt der gewaltigſte Bundesgenoſſe zu ihnen geſellte,
die erhabene Göttin Pallas Athene. Dieſer Anblick er¬
füllte den Helden Odyſſeus, der ſie auf der Stelle er¬
kannte, mit der freudigſten Hoffnung. „Telemach,“ ſprach
er zu ſeinem Sohn, „erfülle jetzt die Erwartungen, die
dein Vater von dir hegt. Zeige dich in der Schlacht
da, wo die tapferſten Männer fechten, und mache dei¬
nem Stamm Ehre, der ſich von jeher durch Tapferkeit
und Muth unter allen Sterblichen ausgezeichnet hat.“
„Kannſt du nach der Schlacht mit den Freiern an mei¬
ner Kampfluſt noch zweifeln, Vater?“ erwiederte Tele¬
mach. „Du wirſt ſehen, daß ich deinen Stamm nicht
ſchände!“ Solcher Worte freute ſich Laertes, der Vater
und Großvater. „Welch ein Tag iſt dieß, ihr Götter,“
rief er, „wie frohlockt mein Herz! Einen Wettkampf

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[287/0309] den Söhnen des Dolius auf und ging, ſeinem Worte gehorſam, über die Schwelle des Hauſes. Er brauchte ſich nicht weiter von der Wohnung zu entfernen, denn er ſah einen gewaltigen Heerhaufen im vollem Anmarſche begriffen. Erſchrocken kehrte er zu den verſammelten Freun¬ den in den Saal des Hauſes zurück und rief: „Sie kommen, Odyſſeus, ſie kommen, ſie ſind ganz in der Nähe! Werft euch eilig in die Rüſtungen.“ Da fuh¬ ren die Tafelnden vom Tiſche auf, und hüllten ſich augenblicklich in ihre Waffen. Es waren Odyſſeus, ſein Sohn und die Hirten zu vieren, und ſechs Söhne des Dolius, endlich, ſo grauköpfig ſie waren, Dolius und Laertes ſelbſt. Auch ſie hatten ſich gerüſtet und gegürtet. Odyſſeus ſtellte ſich an die Spitze, und der kleine Trupp trat aus der Pforte des Hauſes hervor. Kaum waren ſie im Freien, als ſich in Mentors Geſtalt der gewaltigſte Bundesgenoſſe zu ihnen geſellte, die erhabene Göttin Pallas Athene. Dieſer Anblick er¬ füllte den Helden Odyſſeus, der ſie auf der Stelle er¬ kannte, mit der freudigſten Hoffnung. „Telemach,“ ſprach er zu ſeinem Sohn, „erfülle jetzt die Erwartungen, die dein Vater von dir hegt. Zeige dich in der Schlacht da, wo die tapferſten Männer fechten, und mache dei¬ nem Stamm Ehre, der ſich von jeher durch Tapferkeit und Muth unter allen Sterblichen ausgezeichnet hat.“ „Kannſt du nach der Schlacht mit den Freiern an mei¬ ner Kampfluſt noch zweifeln, Vater?“ erwiederte Tele¬ mach. „Du wirſt ſehen, daß ich deinen Stamm nicht ſchände!“ Solcher Worte freute ſich Laertes, der Vater und Großvater. „Welch ein Tag iſt dieß, ihr Götter,“ rief er, „wie frohlockt mein Herz! Einen Wettkampf

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/309>, abgerufen am 05.05.2024.