Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Töchterchen, das Loos deiner Schützlinge bleibt unver¬
rückt. Laviniums Mauern in Italien werden sich erhe¬
ben, in mächtigem Kriege wird Aeneas dort siegen,
trotzige Völker bändigen, Gesetz und Ordnung gründen.
Drei Jahre wird er in Latium herrschen, sein Sohn
Askanius oder Julius wird den Sitz der Herrschaft
von Lavinium nach Alba longa verlegen. Drei Jahr¬
hunderte wird dort das Geschlecht des Priamus auf
dem Throne sitzen, bis eine Priesterin der Vesta aus
dem Königshause dem Kriegsgott Zwillingsknaben gebiert.
Von diesen wird Romulus, von einer Wölfin gesäugt,
seinem Vater Mars neue Mauern bauen, und der
Stifter des Römervolks werden. Die Römer aber mache
ich zu Herren der Welt, und ihrer Herrschaft sey kein
Ziel gesetzt. Juno selbst, welche deinen Sohn jetzo quält,
wird sich mit diesen seinen Enkeln versöhnen, und sie
mit mir begünstigen, und der größte Römer wird ein
Nachkomme des Julus seyn und Julius heißen. Sein
Ruhm wird zu den Sternen sich erheben, er selbst, dein
Nachkomme, Tochter, wird in den Himmel unter die
Götter aufgenommen werden. Unter den Menschen aber
wird nach beendigten Kriegen der ewige Friede wohnen,
eiserne Riegel werden die Pforten der Zwietracht schließen,
die, mit hundert Ketten gefesselt, vergebens mit den
blutigen Zähnen knirschen wird."

So sprach Jupiter und sandte sofort seinen Sohn,
den Götterboten Merkur (Hermes) nach Karthago, um
dort den Trojanern gastliche Herberge zu bereiten. Dieses
Land war ein uralter Sitz phönizischer Pflanzer, und
Juno beschirmte das Reich mit besonderer Huld. Ihre
Rüstung, ihr Wagen waren dort aufbewahrt, und längst

Töchterchen, das Loos deiner Schützlinge bleibt unver¬
rückt. Laviniums Mauern in Italien werden ſich erhe¬
ben, in mächtigem Kriege wird Aeneas dort ſiegen,
trotzige Völker bändigen, Geſetz und Ordnung gründen.
Drei Jahre wird er in Latium herrſchen, ſein Sohn
Askanius oder Julius wird den Sitz der Herrſchaft
von Lavinium nach Alba longa verlegen. Drei Jahr¬
hunderte wird dort das Geſchlecht des Priamus auf
dem Throne ſitzen, bis eine Prieſterin der Veſta aus
dem Königshauſe dem Kriegsgott Zwillingsknaben gebiert.
Von dieſen wird Romulus, von einer Wölfin geſäugt,
ſeinem Vater Mars neue Mauern bauen, und der
Stifter des Römervolks werden. Die Römer aber mache
ich zu Herren der Welt, und ihrer Herrſchaft ſey kein
Ziel geſetzt. Juno ſelbſt, welche deinen Sohn jetzo quält,
wird ſich mit dieſen ſeinen Enkeln verſöhnen, und ſie
mit mir begünſtigen, und der größte Römer wird ein
Nachkomme des Julus ſeyn und Julius heißen. Sein
Ruhm wird zu den Sternen ſich erheben, er ſelbſt, dein
Nachkomme, Tochter, wird in den Himmel unter die
Götter aufgenommen werden. Unter den Menſchen aber
wird nach beendigten Kriegen der ewige Friede wohnen,
eiſerne Riegel werden die Pforten der Zwietracht ſchließen,
die, mit hundert Ketten gefeſſelt, vergebens mit den
blutigen Zähnen knirſchen wird.“

So ſprach Jupiter und ſandte ſofort ſeinen Sohn,
den Götterboten Merkur (Hermes) nach Karthago, um
dort den Trojanern gaſtliche Herberge zu bereiten. Dieſes
Land war ein uralter Sitz phöniziſcher Pflanzer, und
Juno beſchirmte das Reich mit beſonderer Huld. Ihre
Rüſtung, ihr Wagen waren dort aufbewahrt, und längſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0339" n="317"/>
Töchterchen, das Loos deiner Schützlinge bleibt unver¬<lb/>
rückt. Laviniums Mauern in Italien werden &#x017F;ich erhe¬<lb/>
ben, in mächtigem Kriege wird Aeneas dort &#x017F;iegen,<lb/>
trotzige Völker bändigen, Ge&#x017F;etz und Ordnung gründen.<lb/>
Drei Jahre wird er in Latium herr&#x017F;chen, &#x017F;ein Sohn<lb/>
Askanius oder Julius wird den Sitz der Herr&#x017F;chaft<lb/>
von Lavinium nach Alba longa verlegen. Drei Jahr¬<lb/>
hunderte wird dort das Ge&#x017F;chlecht des Priamus auf<lb/>
dem Throne &#x017F;itzen, bis eine Prie&#x017F;terin der Ve&#x017F;ta aus<lb/>
dem Königshau&#x017F;e dem Kriegsgott Zwillingsknaben gebiert.<lb/>
Von die&#x017F;en wird Romulus, von einer Wölfin ge&#x017F;äugt,<lb/>
&#x017F;einem Vater Mars neue Mauern bauen, und der<lb/>
Stifter des Römervolks werden. Die Römer aber mache<lb/>
ich zu Herren der Welt, und ihrer Herr&#x017F;chaft &#x017F;ey kein<lb/>
Ziel ge&#x017F;etzt. Juno &#x017F;elb&#x017F;t, welche deinen Sohn jetzo quält,<lb/>
wird &#x017F;ich mit die&#x017F;en &#x017F;einen Enkeln ver&#x017F;öhnen, und &#x017F;ie<lb/>
mit mir begün&#x017F;tigen, und der größte Römer wird ein<lb/>
Nachkomme des Julus &#x017F;eyn und Julius heißen. Sein<lb/>
Ruhm wird zu den Sternen &#x017F;ich erheben, er &#x017F;elb&#x017F;t, dein<lb/>
Nachkomme, Tochter, wird in den Himmel unter die<lb/>
Götter aufgenommen werden. Unter den Men&#x017F;chen aber<lb/>
wird nach beendigten Kriegen der ewige Friede wohnen,<lb/>
ei&#x017F;erne Riegel werden die Pforten der Zwietracht &#x017F;chließen,<lb/>
die, mit hundert Ketten gefe&#x017F;&#x017F;elt, vergebens mit den<lb/>
blutigen Zähnen knir&#x017F;chen wird.&#x201C;</p><lb/>
            <p>So &#x017F;prach Jupiter und &#x017F;andte &#x017F;ofort &#x017F;einen Sohn,<lb/>
den Götterboten Merkur (Hermes) nach Karthago, um<lb/>
dort den Trojanern ga&#x017F;tliche Herberge zu bereiten. Die&#x017F;es<lb/>
Land war ein uralter Sitz phönizi&#x017F;cher Pflanzer, und<lb/>
Juno be&#x017F;chirmte das Reich mit be&#x017F;onderer Huld. Ihre<lb/>&#x017F;tung, ihr Wagen waren dort aufbewahrt, und läng&#x017F;t<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0339] Töchterchen, das Loos deiner Schützlinge bleibt unver¬ rückt. Laviniums Mauern in Italien werden ſich erhe¬ ben, in mächtigem Kriege wird Aeneas dort ſiegen, trotzige Völker bändigen, Geſetz und Ordnung gründen. Drei Jahre wird er in Latium herrſchen, ſein Sohn Askanius oder Julius wird den Sitz der Herrſchaft von Lavinium nach Alba longa verlegen. Drei Jahr¬ hunderte wird dort das Geſchlecht des Priamus auf dem Throne ſitzen, bis eine Prieſterin der Veſta aus dem Königshauſe dem Kriegsgott Zwillingsknaben gebiert. Von dieſen wird Romulus, von einer Wölfin geſäugt, ſeinem Vater Mars neue Mauern bauen, und der Stifter des Römervolks werden. Die Römer aber mache ich zu Herren der Welt, und ihrer Herrſchaft ſey kein Ziel geſetzt. Juno ſelbſt, welche deinen Sohn jetzo quält, wird ſich mit dieſen ſeinen Enkeln verſöhnen, und ſie mit mir begünſtigen, und der größte Römer wird ein Nachkomme des Julus ſeyn und Julius heißen. Sein Ruhm wird zu den Sternen ſich erheben, er ſelbſt, dein Nachkomme, Tochter, wird in den Himmel unter die Götter aufgenommen werden. Unter den Menſchen aber wird nach beendigten Kriegen der ewige Friede wohnen, eiſerne Riegel werden die Pforten der Zwietracht ſchließen, die, mit hundert Ketten gefeſſelt, vergebens mit den blutigen Zähnen knirſchen wird.“ So ſprach Jupiter und ſandte ſofort ſeinen Sohn, den Götterboten Merkur (Hermes) nach Karthago, um dort den Trojanern gaſtliche Herberge zu bereiten. Dieſes Land war ein uralter Sitz phöniziſcher Pflanzer, und Juno beſchirmte das Reich mit beſonderer Huld. Ihre Rüſtung, ihr Wagen waren dort aufbewahrt, und längſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/339
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/339>, abgerufen am 27.04.2024.