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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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des kühlsten Schattens, wo, nach langen Stürmen und
Meerfahrten, die Phönizier oder Pöner zuerst ein
Glückszeichen, das ihnen Juno sandte, ausgegraben hatten,
ein Pferdshaupt, wodurch ihnen Kriegsglück und Nah¬
rung vorbedeutet ward. Hier baute die Königin Dido
der Juno einen prächtigen Tempel; Stufen, Thorpfosten
und Thürflügel, Alles war von Erz. In diesem Haine
faßte sich der Held Aeneas erst wieder einen getrosten
Muth, und gab sich in seiner verzweifelten Lage kühneren
Gedanken der Hoffnung hin. Denn während er sich
in dem herrlichen Tempel umschaute und über die präch¬
tigen Kunstwerke, die sich darin befanden, staunte, stieß
er auf eine Reihe von Wandgemälden, in welchen die
Schlachten Troja's dargestellt waren. Priamus, die
Atriden, Achilles, Rhesus und Diomed, fliehende Grie¬
chen, und wieder Trojaner, der Knabe Troilus, von
seinen Pferden geschleift, Trojanerinnen mit fliegen¬
dem Haar im Tempel der Pallas, Hektors geschleppte
Leiche, Pentesilea mit ihren Amazonen, Alles erkannte
der Held Aeneas, ja am Ende entdeckte er auch sich
selbst, wie er von der Mauer herab den ungeheuren
Stein auf die Feinde schleudert.

Während er dieses Alles unter Schmerz und Lust
mit Verwunderung sich beschaute, nahte die Königin
Dido selbst, im höchsten Glanze jugendlicher Schönheit,
von einem großen Gefolge tyrischer Jünglinge umgeben,
dem Tempel. Unter der Wölbung des Portales setzte
sie sich, von Bewaffneten umringt, auf einen hohen
Thron, und theilte dem Volke, das sich um sie versam¬
melte, theils nach billiger Schätzung, theils durch's Loos
die Arbeiten in der neuen Stadt aus, sprach Recht,

des kühlſten Schattens, wo, nach langen Stürmen und
Meerfahrten, die Phönizier oder Pöner zuerſt ein
Glückszeichen, das ihnen Juno ſandte, ausgegraben hatten,
ein Pferdshaupt, wodurch ihnen Kriegsglück und Nah¬
rung vorbedeutet ward. Hier baute die Königin Dido
der Juno einen prächtigen Tempel; Stufen, Thorpfoſten
und Thürflügel, Alles war von Erz. In dieſem Haine
faßte ſich der Held Aeneas erſt wieder einen getroſten
Muth, und gab ſich in ſeiner verzweifelten Lage kühneren
Gedanken der Hoffnung hin. Denn während er ſich
in dem herrlichen Tempel umſchaute und über die präch¬
tigen Kunſtwerke, die ſich darin befanden, ſtaunte, ſtieß
er auf eine Reihe von Wandgemälden, in welchen die
Schlachten Troja's dargeſtellt waren. Priamus, die
Atriden, Achilles, Rheſus und Diomed, fliehende Grie¬
chen, und wieder Trojaner, der Knabe Troilus, von
ſeinen Pferden geſchleift, Trojanerinnen mit fliegen¬
dem Haar im Tempel der Pallas, Hektors geſchleppte
Leiche, Penteſilea mit ihren Amazonen, Alles erkannte
der Held Aeneas, ja am Ende entdeckte er auch ſich
ſelbſt, wie er von der Mauer herab den ungeheuren
Stein auf die Feinde ſchleudert.

Während er dieſes Alles unter Schmerz und Luſt
mit Verwunderung ſich beſchaute, nahte die Königin
Dido ſelbſt, im höchſten Glanze jugendlicher Schönheit,
von einem großen Gefolge tyriſcher Jünglinge umgeben,
dem Tempel. Unter der Wölbung des Portales ſetzte
ſie ſich, von Bewaffneten umringt, auf einen hohen
Thron, und theilte dem Volke, das ſich um ſie verſam¬
melte, theils nach billiger Schätzung, theils durch's Loos
die Arbeiten in der neuen Stadt aus, ſprach Recht,

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[322/0344] des kühlſten Schattens, wo, nach langen Stürmen und Meerfahrten, die Phönizier oder Pöner zuerſt ein Glückszeichen, das ihnen Juno ſandte, ausgegraben hatten, ein Pferdshaupt, wodurch ihnen Kriegsglück und Nah¬ rung vorbedeutet ward. Hier baute die Königin Dido der Juno einen prächtigen Tempel; Stufen, Thorpfoſten und Thürflügel, Alles war von Erz. In dieſem Haine faßte ſich der Held Aeneas erſt wieder einen getroſten Muth, und gab ſich in ſeiner verzweifelten Lage kühneren Gedanken der Hoffnung hin. Denn während er ſich in dem herrlichen Tempel umſchaute und über die präch¬ tigen Kunſtwerke, die ſich darin befanden, ſtaunte, ſtieß er auf eine Reihe von Wandgemälden, in welchen die Schlachten Troja's dargeſtellt waren. Priamus, die Atriden, Achilles, Rheſus und Diomed, fliehende Grie¬ chen, und wieder Trojaner, der Knabe Troilus, von ſeinen Pferden geſchleift, Trojanerinnen mit fliegen¬ dem Haar im Tempel der Pallas, Hektors geſchleppte Leiche, Penteſilea mit ihren Amazonen, Alles erkannte der Held Aeneas, ja am Ende entdeckte er auch ſich ſelbſt, wie er von der Mauer herab den ungeheuren Stein auf die Feinde ſchleudert. Während er dieſes Alles unter Schmerz und Luſt mit Verwunderung ſich beſchaute, nahte die Königin Dido ſelbſt, im höchſten Glanze jugendlicher Schönheit, von einem großen Gefolge tyriſcher Jünglinge umgeben, dem Tempel. Unter der Wölbung des Portales ſetzte ſie ſich, von Bewaffneten umringt, auf einen hohen Thron, und theilte dem Volke, das ſich um ſie verſam¬ melte, theils nach billiger Schätzung, theils durch's Loos die Arbeiten in der neuen Stadt aus, ſprach Recht,

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/344>, abgerufen am 26.04.2024.