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Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900.

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Dinge nun von ihrem Nützlichkeitswert zu ihrem Schönheitswert ist
ein Objektivationsprozess. Indem ich das Ding schön nenne, ist seine
Qualität und Bedeutung in ganz anderer Weise von den Dispositionen
und Bedürfnissen des Subjekts unabhängig, als wenn es bloss nützlich
ist. Solange die Dinge nur dies sind, sind sie fungibel, d. h. jedes
andere, das denselben Erfolg hat, kann jedes ersetzen. Sobald sie
schön sind, bekommen sie individuelles Fürsichsein, so dass der Wert,
den eines für uns hat, durchaus nicht durch ein anderes zu ersetzen
ist, das etwa in seiner Art ebenso schön ist. Wir brauchen die Genesis
des Ästhetischen nicht aus diesen dürftigen Andeutungen in die Fülle
ihrer Ausgestaltungen zu verfolgen, um zu erkennen: die Objektivierung
des Wertes entsteht in dem Verhältnis der Distanz, die sich zwischen
dem subjektiv-unmittelbaren Ursprung der Wertung des Objekts und
unserem momentanen Empfinden seiner bildet. Je weiter die Nütz-
lichkeit für die Gattung, die zuerst an den Gegenstand ein Interesse
und einen Wert knüpfen liess, zeitlich zurückliegt und als solche ver-
gessen ist, desto reiner ist die ästhetische Freude an der blossen Form
und Anschauung des Objekts, d. h. desto mehr steht es uns mit eigener
Würde gegenüber, desto mehr geben wir ihm eine Bedeutung, die nicht
in seinem zufälligen subjektiven Genossenwerden aufgeht, desto mehr
macht die Beziehung, in der wir die Dinge nur als Mittel für uns
werten, dem Gefühle ihres selbständigen Wertes Platz.

Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil die objektivierende Wirkung
dessen, was ich die Distanzierung nenne, an einem zeitlichen Abstand
besonders anschaulich wird. Der Vorgang ist natürlich ein intensiver
und qualitativer, so dass die quantitative Bezeichnung durch eine Distanz
eine bloss symbolische ist. Es kann deshalb der gleiche Effekt durch
eine Reihe andrer Momente hervorgerufen werden, wie es sich that-
sächlich schon gezeigt hat: durch die Seltenheit des Objekts, durch
die Schwierigkeit der Erlangung, durch die Notwendigkeit des Ver-
zichtes. Mag nun in diesen, für die Wirtschaft wesentlichen Fällen
die Bedeutsamkeit der Dinge immer eine Bedeutsamkeit für uns und
deshalb von unsrer Anerkennung abhängig bleiben -- die entscheidende
Wendung ist doch, dass sie uns nach diesen Entwicklungen wie Macht
zu Macht gegenüberstehen, eine Welt von Substanzen und Kräften,
die durch ihre Eigenschaften bestimmen, ob und inwieweit sie unsre
Begehrungen befriedigen, und die Kampf und Mühsal von uns fordern,
ehe sie sich uns ergeben. Erst wenn die Frage des Verzichtes auf-
taucht -- des Verzichtes auf eine Empfindung, auf die es doch
schliesslich ankommt -- ist Veranlassung, das Bewusstsein auf den
Gegenstand derselben zu richten. Die triviale Erfahrung, dass wir

Dinge nun von ihrem Nützlichkeitswert zu ihrem Schönheitswert ist
ein Objektivationsprozeſs. Indem ich das Ding schön nenne, ist seine
Qualität und Bedeutung in ganz anderer Weise von den Dispositionen
und Bedürfnissen des Subjekts unabhängig, als wenn es bloſs nützlich
ist. Solange die Dinge nur dies sind, sind sie fungibel, d. h. jedes
andere, das denselben Erfolg hat, kann jedes ersetzen. Sobald sie
schön sind, bekommen sie individuelles Fürsichsein, so daſs der Wert,
den eines für uns hat, durchaus nicht durch ein anderes zu ersetzen
ist, das etwa in seiner Art ebenso schön ist. Wir brauchen die Genesis
des Ästhetischen nicht aus diesen dürftigen Andeutungen in die Fülle
ihrer Ausgestaltungen zu verfolgen, um zu erkennen: die Objektivierung
des Wertes entsteht in dem Verhältnis der Distanz, die sich zwischen
dem subjektiv-unmittelbaren Ursprung der Wertung des Objekts und
unserem momentanen Empfinden seiner bildet. Je weiter die Nütz-
lichkeit für die Gattung, die zuerst an den Gegenstand ein Interesse
und einen Wert knüpfen lieſs, zeitlich zurückliegt und als solche ver-
gessen ist, desto reiner ist die ästhetische Freude an der bloſsen Form
und Anschauung des Objekts, d. h. desto mehr steht es uns mit eigener
Würde gegenüber, desto mehr geben wir ihm eine Bedeutung, die nicht
in seinem zufälligen subjektiven Genossenwerden aufgeht, desto mehr
macht die Beziehung, in der wir die Dinge nur als Mittel für uns
werten, dem Gefühle ihres selbständigen Wertes Platz.

Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil die objektivierende Wirkung
dessen, was ich die Distanzierung nenne, an einem zeitlichen Abstand
besonders anschaulich wird. Der Vorgang ist natürlich ein intensiver
und qualitativer, so daſs die quantitative Bezeichnung durch eine Distanz
eine bloſs symbolische ist. Es kann deshalb der gleiche Effekt durch
eine Reihe andrer Momente hervorgerufen werden, wie es sich that-
sächlich schon gezeigt hat: durch die Seltenheit des Objekts, durch
die Schwierigkeit der Erlangung, durch die Notwendigkeit des Ver-
zichtes. Mag nun in diesen, für die Wirtschaft wesentlichen Fällen
die Bedeutsamkeit der Dinge immer eine Bedeutsamkeit für uns und
deshalb von unsrer Anerkennung abhängig bleiben — die entscheidende
Wendung ist doch, daſs sie uns nach diesen Entwicklungen wie Macht
zu Macht gegenüberstehen, eine Welt von Substanzen und Kräften,
die durch ihre Eigenschaften bestimmen, ob und inwieweit sie unsre
Begehrungen befriedigen, und die Kampf und Mühsal von uns fordern,
ehe sie sich uns ergeben. Erst wenn die Frage des Verzichtes auf-
taucht — des Verzichtes auf eine Empfindung, auf die es doch
schlieſslich ankommt — ist Veranlassung, das Bewuſstsein auf den
Gegenstand derselben zu richten. Die triviale Erfahrung, daſs wir

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[25/0049] Dinge nun von ihrem Nützlichkeitswert zu ihrem Schönheitswert ist ein Objektivationsprozeſs. Indem ich das Ding schön nenne, ist seine Qualität und Bedeutung in ganz anderer Weise von den Dispositionen und Bedürfnissen des Subjekts unabhängig, als wenn es bloſs nützlich ist. Solange die Dinge nur dies sind, sind sie fungibel, d. h. jedes andere, das denselben Erfolg hat, kann jedes ersetzen. Sobald sie schön sind, bekommen sie individuelles Fürsichsein, so daſs der Wert, den eines für uns hat, durchaus nicht durch ein anderes zu ersetzen ist, das etwa in seiner Art ebenso schön ist. Wir brauchen die Genesis des Ästhetischen nicht aus diesen dürftigen Andeutungen in die Fülle ihrer Ausgestaltungen zu verfolgen, um zu erkennen: die Objektivierung des Wertes entsteht in dem Verhältnis der Distanz, die sich zwischen dem subjektiv-unmittelbaren Ursprung der Wertung des Objekts und unserem momentanen Empfinden seiner bildet. Je weiter die Nütz- lichkeit für die Gattung, die zuerst an den Gegenstand ein Interesse und einen Wert knüpfen lieſs, zeitlich zurückliegt und als solche ver- gessen ist, desto reiner ist die ästhetische Freude an der bloſsen Form und Anschauung des Objekts, d. h. desto mehr steht es uns mit eigener Würde gegenüber, desto mehr geben wir ihm eine Bedeutung, die nicht in seinem zufälligen subjektiven Genossenwerden aufgeht, desto mehr macht die Beziehung, in der wir die Dinge nur als Mittel für uns werten, dem Gefühle ihres selbständigen Wertes Platz. Ich habe dieses Beispiel gewählt, weil die objektivierende Wirkung dessen, was ich die Distanzierung nenne, an einem zeitlichen Abstand besonders anschaulich wird. Der Vorgang ist natürlich ein intensiver und qualitativer, so daſs die quantitative Bezeichnung durch eine Distanz eine bloſs symbolische ist. Es kann deshalb der gleiche Effekt durch eine Reihe andrer Momente hervorgerufen werden, wie es sich that- sächlich schon gezeigt hat: durch die Seltenheit des Objekts, durch die Schwierigkeit der Erlangung, durch die Notwendigkeit des Ver- zichtes. Mag nun in diesen, für die Wirtschaft wesentlichen Fällen die Bedeutsamkeit der Dinge immer eine Bedeutsamkeit für uns und deshalb von unsrer Anerkennung abhängig bleiben — die entscheidende Wendung ist doch, daſs sie uns nach diesen Entwicklungen wie Macht zu Macht gegenüberstehen, eine Welt von Substanzen und Kräften, die durch ihre Eigenschaften bestimmen, ob und inwieweit sie unsre Begehrungen befriedigen, und die Kampf und Mühsal von uns fordern, ehe sie sich uns ergeben. Erst wenn die Frage des Verzichtes auf- taucht — des Verzichtes auf eine Empfindung, auf die es doch schlieſslich ankommt — ist Veranlassung, das Bewuſstsein auf den Gegenstand derselben zu richten. Die triviale Erfahrung, daſs wir

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Zitationshilfe: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes. Leipzig, 1900, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/simmel_geld_1900/49>, abgerufen am 26.04.2024.