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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das erste Capitel.
1. Jst GOtt ein so unermeßlich als auch allgegenwärtiges wesen/ der
himmel und erden erfüllet/ Jer.
23/ 24. und solches nicht abwesend
durch eine gewisse krafft/ sondern daß er selbst in allen dingen gegenwärtig
ist: wie denn ausser ihm oder ohn ihn nichts einen augenblick bestehen oder er-
halten werden könte/ sondern in ihm leben/ weben und sind wir. Apost.
Gesch.
17/ 28. Diese gegenwart bey allen seinen geschöpffen kan auch
Christo nicht abgesprochen werden/ sondern wie derselbe in dem gnaden-
reich alles mit seiner gnaden-gegenwart erfüllet/ so erfüllet er auch alles in
seinem macht-reich mit seiner allgegenwart. Wovon nicht gezweiffelt wer-
den kan.
2. Ob wohl das göttliche ebenbild durch den fall leider verlohren ist/
daß an statt des anerschaffenen liechts und weißheit/ in dero der mensch
GOtt und alles göttliche klar und ohne irrthum erkant haben würde/ jetzt
nichts als finsternüß/ die in unwissenheit und irrthum bestehet/ in der mensch-
lichen seelen leider anzutreffen ist/ so findet sich dennoch in allen seelen zwey-
erley: einmahl eine erkäntnüß daß ein GOTT und göttliches wesen sey/
ewig/ weiß/ gütig/ allmächtig/ gerecht/ u. s. f. welche ihnen tieff eingetrucket
ist Rom. 1/ 19. obwohl die menschliche boßheit zuweilen solches liecht-
lein auff eine zeit auslöschen kan: darnach findet sich auch das gewissen/ und
des gesetzes werck geschrieben in ihren hertzen. Rom. 2/ 15. das ist/ daß
der mensch nicht nur von natur weiß/ was die gröbere dinge anlangt/ ob
etwas recht oder nicht recht seye/ sondern er fühlet auch zuweilen einen trieb/
oder vielmehr stachel/ daß er dieses oder jenes billig thun solle/ ob ihn wohl
hinwieder seine boßheit davon zuruckezeucht/ und eine bestraffung/ wo er
etwas böses vorgenommen oder es begangen hat. Welche stücke so zu re-
den als übrige funcken sind von dem grossen liecht und feuer des göttlichen
ebenbilds oder wie von einem herrlichen palast/ wann er verstöhret worden/
einige steine oder gemäure übrig bleiben. Jndessen ist solche natürliche erkänt-
nüß und auch das gewissen bey weitem nicht genug/ uns den weg des heils zu
zeigen/ oder uns darauff zu bringen/ es geschihet auch eigentlich aus dem-
selben der anfang der bekehrung nicht/ sondern es muß derselbe von aussen
aus dem göttlichen wort herkommen/ welches zwahr es mit dem gewissen
des menschen zu thun bekommt/ dasselbe und durch dasselbe den menschen
anzugreiffen/ also daß sich GOtt dannoch auch desselben zu seinem werck
nutzlichen gebraucht.
3. Unser liebe Heiland JEsus CHristus/ als das selbständige wort
des vaters/ ja als GOtt und mensch/ wohnet wesentlich/ das ist/ nicht
nur nach seiner gnade/ sondern auch nach seinem wesen selbst/ in der glaubi-
gen
Das erſte Capitel.
1. Jſt GOtt ein ſo unermeßlich als auch allgegenwaͤrtiges weſen/ der
himmel und erden erfuͤllet/ Jer.
23/ 24. und ſolches nicht abweſend
durch eine gewiſſe krafft/ ſondern daß er ſelbſt in allen dingen gegenwaͤrtig
iſt: wie denn auſſer ihm oder ohn ihn nichts einen augenblick beſtehen oder er-
halten werden koͤnte/ ſondern in ihm leben/ weben und ſind wir. Apoſt.
Geſch.
17/ 28. Dieſe gegenwart bey allen ſeinen geſchoͤpffen kan auch
Chriſto nicht abgeſprochen werden/ ſondern wie derſelbe in dem gnaden-
reich alles mit ſeiner gnaden-gegenwart erfuͤllet/ ſo erfuͤllet er auch alles in
ſeinem macht-reich mit ſeiner allgegenwart. Wovon nicht gezweiffelt wer-
den kan.
2. Ob wohl das goͤttliche ebenbild durch den fall leider verlohren iſt/
daß an ſtatt des anerſchaffenen liechts und weißheit/ in dero der menſch
GOtt und alles goͤttliche klar und ohne irrthum erkant haben wuͤrde/ jetzt
nichts als finſternuͤß/ die in unwiſſenheit und irrthum beſtehet/ in der menſch-
lichen ſeelen leider anzutreffen iſt/ ſo findet ſich dennoch in allen ſeelen zwey-
erley: einmahl eine erkaͤntnuͤß daß ein GOTT und goͤttliches weſen ſey/
ewig/ weiß/ guͤtig/ allmaͤchtig/ gerecht/ u. ſ. f. welche ihnen tieff eingetrucket
iſt Rom. 1/ 19. obwohl die menſchliche boßheit zuweilen ſolches liecht-
lein auff eine zeit ausloͤſchen kan: darnach findet ſich auch das gewiſſen/ und
des geſetzes werck geſchrieben in ihren hertzen. Rom. 2/ 15. das iſt/ daß
der menſch nicht nur von natur weiß/ was die groͤbere dinge anlangt/ ob
etwas recht oder nicht recht ſeye/ ſondern er fuͤhlet auch zuweilen einen trieb/
oder vielmehr ſtachel/ daß er dieſes oder jenes billig thun ſolle/ ob ihn wohl
hinwieder ſeine boßheit davon zuruckezeucht/ und eine beſtraffung/ wo er
etwas boͤſes vorgenommen oder es begangen hat. Welche ſtuͤcke ſo zu re-
den als uͤbrige funcken ſind von dem groſſen liecht und feuer des goͤttlichen
ebenbilds oder wie von einem herrlichen palaſt/ wann er verſtoͤhret worden/
einige ſteine oder gemaͤure uͤbrig bleiben. Jndeſſen iſt ſolche natuͤrliche erkaͤnt-
nuͤß und auch das gewiſſen bey weitem nicht genug/ uns den weg des heils zu
zeigen/ oder uns darauff zu bringen/ es geſchihet auch eigentlich aus dem-
ſelben der anfang der bekehrung nicht/ ſondern es muß derſelbe von auſſen
aus dem goͤttlichen wort herkommen/ welches zwahr es mit dem gewiſſen
des menſchen zu thun bekommt/ daſſelbe und durch daſſelbe den menſchen
anzugreiffen/ alſo daß ſich GOtt dannoch auch deſſelben zu ſeinem werck
nutzlichen gebraucht.
3. Unſer liebe Heiland JEſus CHriſtus/ als das ſelbſtaͤndige wort
des vaters/ ja als GOtt und menſch/ wohnet weſentlich/ das iſt/ nicht
nur nach ſeiner gnade/ ſondern auch nach ſeinem weſen ſelbſt/ in der glaubi-
gen
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[152/0168] Das erſte Capitel. 1. Jſt GOtt ein ſo unermeßlich als auch allgegenwaͤrtiges weſen/ der himmel und erden erfuͤllet/ Jer. 23/ 24. und ſolches nicht abweſend durch eine gewiſſe krafft/ ſondern daß er ſelbſt in allen dingen gegenwaͤrtig iſt: wie denn auſſer ihm oder ohn ihn nichts einen augenblick beſtehen oder er- halten werden koͤnte/ ſondern in ihm leben/ weben und ſind wir. Apoſt. Geſch. 17/ 28. Dieſe gegenwart bey allen ſeinen geſchoͤpffen kan auch Chriſto nicht abgeſprochen werden/ ſondern wie derſelbe in dem gnaden- reich alles mit ſeiner gnaden-gegenwart erfuͤllet/ ſo erfuͤllet er auch alles in ſeinem macht-reich mit ſeiner allgegenwart. Wovon nicht gezweiffelt wer- den kan. 2. Ob wohl das goͤttliche ebenbild durch den fall leider verlohren iſt/ daß an ſtatt des anerſchaffenen liechts und weißheit/ in dero der menſch GOtt und alles goͤttliche klar und ohne irrthum erkant haben wuͤrde/ jetzt nichts als finſternuͤß/ die in unwiſſenheit und irrthum beſtehet/ in der menſch- lichen ſeelen leider anzutreffen iſt/ ſo findet ſich dennoch in allen ſeelen zwey- erley: einmahl eine erkaͤntnuͤß daß ein GOTT und goͤttliches weſen ſey/ ewig/ weiß/ guͤtig/ allmaͤchtig/ gerecht/ u. ſ. f. welche ihnen tieff eingetrucket iſt Rom. 1/ 19. obwohl die menſchliche boßheit zuweilen ſolches liecht- lein auff eine zeit ausloͤſchen kan: darnach findet ſich auch das gewiſſen/ und des geſetzes werck geſchrieben in ihren hertzen. Rom. 2/ 15. das iſt/ daß der menſch nicht nur von natur weiß/ was die groͤbere dinge anlangt/ ob etwas recht oder nicht recht ſeye/ ſondern er fuͤhlet auch zuweilen einen trieb/ oder vielmehr ſtachel/ daß er dieſes oder jenes billig thun ſolle/ ob ihn wohl hinwieder ſeine boßheit davon zuruckezeucht/ und eine beſtraffung/ wo er etwas boͤſes vorgenommen oder es begangen hat. Welche ſtuͤcke ſo zu re- den als uͤbrige funcken ſind von dem groſſen liecht und feuer des goͤttlichen ebenbilds oder wie von einem herrlichen palaſt/ wann er verſtoͤhret worden/ einige ſteine oder gemaͤure uͤbrig bleiben. Jndeſſen iſt ſolche natuͤrliche erkaͤnt- nuͤß und auch das gewiſſen bey weitem nicht genug/ uns den weg des heils zu zeigen/ oder uns darauff zu bringen/ es geſchihet auch eigentlich aus dem- ſelben der anfang der bekehrung nicht/ ſondern es muß derſelbe von auſſen aus dem goͤttlichen wort herkommen/ welches zwahr es mit dem gewiſſen des menſchen zu thun bekommt/ daſſelbe und durch daſſelbe den menſchen anzugreiffen/ alſo daß ſich GOtt dannoch auch deſſelben zu ſeinem werck nutzlichen gebraucht. 3. Unſer liebe Heiland JEſus CHriſtus/ als das ſelbſtaͤndige wort des vaters/ ja als GOtt und menſch/ wohnet weſentlich/ das iſt/ nicht nur nach ſeiner gnade/ ſondern auch nach ſeinem weſen ſelbſt/ in der glaubi- gen

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/168>, abgerufen am 26.04.2024.