Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

Bild:
<< vorherige Seite

Das erste Capitel.
und himmlische gnaden-schätze/ also recht vor augen gelegt werden/ daß es
die vortrefligkeit deroselben recht verstehen lernete; So läßt sichs nachmah-
len mit leichter mühe auff deroselben beliebung/ und hingegen verlassung der
andern/ welche gegen diesen nichts zu seyn erhellen/ leiten. Es ist aber auch
sehr gefährlich der andere fehler/ wo wir nicht trachten/ mit grosser sorgfalt
auch dasjenige zu zeigen/ woran die menschen ihren glauben kennen mögen/
und denselben von der so vielen gemeinen sicherheit recht unterscheiden. Dann
geschihet dieses nicht/ so fällt der grosse hauff dahin/ wie Lutherus redet in
der vorrede über die Epistel an die Römer/ wenn sie das Evangelium hö-
ren/ machen sie ihnen aus eignen kräfften einen gedancken im her-
tzen/ der spricht/ ich glaube/ das halten sie dann vor einen rechten
glauben/ aber wie es ein menschlich gedicht und gedancken ist/ daß
des hertzens grund nimmer erfähret/ also thut er auch nichts und
folget keine besserung hernach.
Man wird dergleichen offt mit betrüb-
nüß in der erfahrung sehen/ wie ich selbs wahrgenommen habe/ wie solche
spinnen aus den alleredelsten blumen den allerärgesten gifft saugen. Daher
ich mir ernstlich lasse angelegen seyn/ vermittelst göttlicher gnade/ die herrli-
che gnaden-schätze des Evangelii und was wir in Christo haben/ welche selig-
keit den zuhörern des mißbrauchs wegen nicht verborgen werden muß/ nach
vermögen vorzulegen/ aber auch so bald dabey anzuzeigen/ wie solche allein
mit den glaubens-händen gefasset werden/ und wie ohne diese nicht müglich
seye zu einer wircklichen genüß zu kommen/ so dann wie solcher glaube das
hertz einnehme/ erneuere und ändere/ damit ein gantz anderes leben daraus
entstehe. Wie nicht müglig seye/ daß in einem solchen hertzen der glaube
wohnen könte/ welches sich in die lüste dieser welt und dero güter also verlie-
be/ daß es um derselben willen seines Heylandes reguln zuwider lebete: Wie
nicht müglich seye daß der jenige das unschuldige leben und leiden seines Je-
su mit wahrem glauben gefasset habe/ der nicht auch auff dem wege/ den er
ihme vorgegangen/ nachzufolgen trachte: Wie nicht müglich seye/ daß der
jenige von grund der seelen glaube/ daß er von der sünden und der welt dienst
erlöset seye/ welcher denselben so angelegenlich annoch dienet/ und also insge-
samt wie in Christo JEsu eine neue creatur und ein rechtschaffen wesen seye.
Daher treib ich gern den hertzlichen eiffer der wahren gottseligkeit/ nicht ei-
gentlich mit den blossen geboten oder trotzen/ sondern erweißthum/ wie solche
aus dem seligmachenden glauben fliessen müsse.

SECTIO

Das erſte Capitel.
und himmliſche gnaden-ſchaͤtze/ alſo recht vor augen gelegt werden/ daß es
die vortrefligkeit deroſelben recht verſtehen lernete; So laͤßt ſichs nachmah-
len mit leichter muͤhe auff deroſelben beliebung/ und hingegen verlaſſung der
andern/ welche gegen dieſen nichts zu ſeyn erhellen/ leiten. Es iſt aber auch
ſehr gefaͤhrlich der andere fehler/ wo wir nicht trachten/ mit groſſer ſorgfalt
auch dasjenige zu zeigen/ woran die menſchen ihren glauben kennen moͤgen/
und denſelben von der ſo vielen gemeinen ſicherheit recht unterſcheiden. Dann
geſchihet dieſes nicht/ ſo faͤllt der groſſe hauff dahin/ wie Lutherus redet in
der vorrede uͤber die Epiſtel an die Roͤmer/ wenn ſie das Evangelium hoͤ-
ren/ machen ſie ihnen aus eignen kraͤfften einen gedancken im her-
tzen/ der ſpricht/ ich glaube/ das halten ſie dann vor einen rechten
glauben/ aber wie es ein menſchlich gedicht und gedancken iſt/ daß
des hertzens grund nimmer erfaͤhret/ alſo thut er auch nichts und
folget keine beſſerung hernach.
Man wird dergleichen offt mit betruͤb-
nuͤß in der erfahrung ſehen/ wie ich ſelbs wahrgenommen habe/ wie ſolche
ſpinnen aus den alleredelſten blumen den alleraͤrgeſten gifft ſaugen. Daher
ich mir ernſtlich laſſe angelegen ſeyn/ vermittelſt goͤttlicher gnade/ die herrli-
che gnaden-ſchaͤtze des Evangelii und was wir in Chriſto haben/ welche ſelig-
keit den zuhoͤrern des mißbrauchs wegen nicht verborgen werden muß/ nach
vermoͤgen vorzulegen/ aber auch ſo bald dabey anzuzeigen/ wie ſolche allein
mit den glaubens-haͤnden gefaſſet werden/ und wie ohne dieſe nicht muͤglich
ſeye zu einer wircklichen genuͤß zu kommen/ ſo dann wie ſolcher glaube das
hertz einnehme/ erneuere und aͤndere/ damit ein gantz anderes leben daraus
entſtehe. Wie nicht muͤglig ſeye/ daß in einem ſolchen hertzen der glaube
wohnen koͤnte/ welches ſich in die luͤſte dieſer welt und dero guͤter alſo verlie-
be/ daß es um derſelben willen ſeines Heylandes reguln zuwider lebete: Wie
nicht muͤglich ſeye daß der jenige das unſchuldige leben und leiden ſeines Je-
ſu mit wahrem glauben gefaſſet habe/ der nicht auch auff dem wege/ den er
ihme vorgegangen/ nachzufolgen trachte: Wie nicht muͤglich ſeye/ daß der
jenige von grund der ſeelen glaube/ daß er von der ſuͤnden und der welt dienſt
erloͤſet ſeye/ welcher denſelben ſo angelegenlich annoch dienet/ und alſo insge-
ſamt wie in Chriſto JEſu eine neue creatur und ein rechtſchaffen weſen ſeye.
Daher treib ich gern den hertzlichen eiffer der wahren gottſeligkeit/ nicht ei-
gentlich mit den bloſſen geboten oder trotzen/ ſondern erweißthum/ wie ſolche
aus dem ſeligmachenden glauben flieſſen muͤſſe.

SECTIO
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0350" n="334"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das er&#x017F;te Capitel.</hi></fw><lb/>
und himmli&#x017F;che gnaden-&#x017F;cha&#x0364;tze/ al&#x017F;o recht vor augen gelegt werden/ daß es<lb/>
die vortrefligkeit dero&#x017F;elben recht ver&#x017F;tehen lernete; So la&#x0364;ßt &#x017F;ichs nachmah-<lb/>
len mit leichter mu&#x0364;he auff dero&#x017F;elben beliebung/ und hingegen verla&#x017F;&#x017F;ung der<lb/>
andern/ welche gegen die&#x017F;en nichts zu &#x017F;eyn erhellen/ leiten. Es i&#x017F;t aber auch<lb/>
&#x017F;ehr gefa&#x0364;hrlich der andere fehler/ wo wir nicht trachten/ mit gro&#x017F;&#x017F;er &#x017F;orgfalt<lb/>
auch dasjenige zu zeigen/ woran die men&#x017F;chen ihren glauben kennen mo&#x0364;gen/<lb/>
und den&#x017F;elben von der &#x017F;o vielen gemeinen &#x017F;icherheit recht unter&#x017F;cheiden. Dann<lb/>
ge&#x017F;chihet die&#x017F;es nicht/ &#x017F;o fa&#x0364;llt der gro&#x017F;&#x017F;e hauff dahin/ wie Lutherus redet in<lb/>
der vorrede u&#x0364;ber die Epi&#x017F;tel an die Ro&#x0364;mer/ <hi rendition="#fr">wenn &#x017F;ie das Evangelium ho&#x0364;-<lb/>
ren/ machen &#x017F;ie ihnen aus eignen kra&#x0364;fften einen gedancken im her-<lb/>
tzen/ der &#x017F;pricht/ ich glaube/ das halten &#x017F;ie dann vor einen rechten<lb/>
glauben/ aber wie es ein men&#x017F;chlich gedicht und gedancken i&#x017F;t/ daß<lb/>
des hertzens grund nimmer erfa&#x0364;hret/ al&#x017F;o thut er auch nichts und<lb/>
folget keine be&#x017F;&#x017F;erung hernach.</hi> Man wird dergleichen offt mit betru&#x0364;b-<lb/>
nu&#x0364;ß in der erfahrung &#x017F;ehen/ wie ich &#x017F;elbs wahrgenommen habe/ wie &#x017F;olche<lb/>
&#x017F;pinnen aus den alleredel&#x017F;ten blumen den allera&#x0364;rge&#x017F;ten gifft &#x017F;augen. Daher<lb/>
ich mir ern&#x017F;tlich la&#x017F;&#x017F;e angelegen &#x017F;eyn/ vermittel&#x017F;t go&#x0364;ttlicher gnade/ die herrli-<lb/>
che gnaden-&#x017F;cha&#x0364;tze des Evangelii und was wir in Chri&#x017F;to haben/ welche &#x017F;elig-<lb/>
keit den zuho&#x0364;rern des mißbrauchs wegen nicht verborgen werden muß/ nach<lb/>
vermo&#x0364;gen vorzulegen/ aber auch &#x017F;o bald dabey anzuzeigen/ wie &#x017F;olche allein<lb/>
mit den glaubens-ha&#x0364;nden gefa&#x017F;&#x017F;et werden/ und wie ohne die&#x017F;e nicht mu&#x0364;glich<lb/>
&#x017F;eye zu einer wircklichen genu&#x0364;ß zu kommen/ &#x017F;o dann wie &#x017F;olcher glaube das<lb/>
hertz einnehme/ erneuere und a&#x0364;ndere/ damit ein gantz anderes leben daraus<lb/>
ent&#x017F;tehe. Wie nicht mu&#x0364;glig &#x017F;eye/ daß in einem &#x017F;olchen hertzen der glaube<lb/>
wohnen ko&#x0364;nte/ welches &#x017F;ich in die lu&#x0364;&#x017F;te die&#x017F;er welt und dero gu&#x0364;ter al&#x017F;o verlie-<lb/>
be/ daß es um der&#x017F;elben willen &#x017F;eines Heylandes reguln zuwider lebete: Wie<lb/>
nicht mu&#x0364;glich &#x017F;eye daß der jenige das un&#x017F;chuldige leben und leiden &#x017F;eines Je-<lb/>
&#x017F;u mit wahrem glauben gefa&#x017F;&#x017F;et habe/ der nicht auch auff dem wege/ den er<lb/>
ihme vorgegangen/ nachzufolgen trachte: Wie nicht mu&#x0364;glich &#x017F;eye/ daß der<lb/>
jenige von grund der &#x017F;eelen glaube/ daß er von der &#x017F;u&#x0364;nden und der welt dien&#x017F;t<lb/>
erlo&#x0364;&#x017F;et &#x017F;eye/ welcher den&#x017F;elben &#x017F;o angelegenlich annoch dienet/ und al&#x017F;o insge-<lb/>
&#x017F;amt wie in Chri&#x017F;to JE&#x017F;u eine neue creatur und ein recht&#x017F;chaffen we&#x017F;en &#x017F;eye.<lb/>
Daher treib ich gern den hertzlichen eiffer der wahren gott&#x017F;eligkeit/ nicht ei-<lb/>
gentlich mit den blo&#x017F;&#x017F;en geboten oder trotzen/ &#x017F;ondern erweißthum/ wie &#x017F;olche<lb/>
aus dem &#x017F;eligmachenden glauben flie&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p>
        </div><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq">SECTIO</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0350] Das erſte Capitel. und himmliſche gnaden-ſchaͤtze/ alſo recht vor augen gelegt werden/ daß es die vortrefligkeit deroſelben recht verſtehen lernete; So laͤßt ſichs nachmah- len mit leichter muͤhe auff deroſelben beliebung/ und hingegen verlaſſung der andern/ welche gegen dieſen nichts zu ſeyn erhellen/ leiten. Es iſt aber auch ſehr gefaͤhrlich der andere fehler/ wo wir nicht trachten/ mit groſſer ſorgfalt auch dasjenige zu zeigen/ woran die menſchen ihren glauben kennen moͤgen/ und denſelben von der ſo vielen gemeinen ſicherheit recht unterſcheiden. Dann geſchihet dieſes nicht/ ſo faͤllt der groſſe hauff dahin/ wie Lutherus redet in der vorrede uͤber die Epiſtel an die Roͤmer/ wenn ſie das Evangelium hoͤ- ren/ machen ſie ihnen aus eignen kraͤfften einen gedancken im her- tzen/ der ſpricht/ ich glaube/ das halten ſie dann vor einen rechten glauben/ aber wie es ein menſchlich gedicht und gedancken iſt/ daß des hertzens grund nimmer erfaͤhret/ alſo thut er auch nichts und folget keine beſſerung hernach. Man wird dergleichen offt mit betruͤb- nuͤß in der erfahrung ſehen/ wie ich ſelbs wahrgenommen habe/ wie ſolche ſpinnen aus den alleredelſten blumen den alleraͤrgeſten gifft ſaugen. Daher ich mir ernſtlich laſſe angelegen ſeyn/ vermittelſt goͤttlicher gnade/ die herrli- che gnaden-ſchaͤtze des Evangelii und was wir in Chriſto haben/ welche ſelig- keit den zuhoͤrern des mißbrauchs wegen nicht verborgen werden muß/ nach vermoͤgen vorzulegen/ aber auch ſo bald dabey anzuzeigen/ wie ſolche allein mit den glaubens-haͤnden gefaſſet werden/ und wie ohne dieſe nicht muͤglich ſeye zu einer wircklichen genuͤß zu kommen/ ſo dann wie ſolcher glaube das hertz einnehme/ erneuere und aͤndere/ damit ein gantz anderes leben daraus entſtehe. Wie nicht muͤglig ſeye/ daß in einem ſolchen hertzen der glaube wohnen koͤnte/ welches ſich in die luͤſte dieſer welt und dero guͤter alſo verlie- be/ daß es um derſelben willen ſeines Heylandes reguln zuwider lebete: Wie nicht muͤglich ſeye daß der jenige das unſchuldige leben und leiden ſeines Je- ſu mit wahrem glauben gefaſſet habe/ der nicht auch auff dem wege/ den er ihme vorgegangen/ nachzufolgen trachte: Wie nicht muͤglich ſeye/ daß der jenige von grund der ſeelen glaube/ daß er von der ſuͤnden und der welt dienſt erloͤſet ſeye/ welcher denſelben ſo angelegenlich annoch dienet/ und alſo insge- ſamt wie in Chriſto JEſu eine neue creatur und ein rechtſchaffen weſen ſeye. Daher treib ich gern den hertzlichen eiffer der wahren gottſeligkeit/ nicht ei- gentlich mit den bloſſen geboten oder trotzen/ ſondern erweißthum/ wie ſolche aus dem ſeligmachenden glauben flieſſen muͤſſe. SECTIO

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/350
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/350>, abgerufen am 26.04.2024.