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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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Das andere Capitel.
antreffen/ bleiben/ und uns davon in nichts abwendig oder andere meinun-
gen/ unter was schein es seyn möchte/ beybringen lassen/ so dann wo wir in
dem leben der heiligkeit in den amts-verrichtungen eines auff GOttes ehre
allein wahrhafftig ohne eigen gesuch abzweckenden mit liebe vermischten eiffers
und Christlicher klugheit befleissen/ auch den HErren um solche gnade vor al-
len dingen anruffen. Mein geliebter bruder halte mir meine freyheit zu gut/
und erkenne auch hieraus meine auffrichtige liebe/ daß ich in solcher sache eine
sorge vor desselben bestes trage. Er bezeugt in seinem brieffe/ daß er unterschied-
lichen/ wegen allzuscharff urgirenden Christenthums/ auch lesung seltzamer
bücher bereits sehr verdächtig worden: nun weiß ich zwahr wohl/ wie des
teuffels kunst und steter fleiß dahin gehet/ daß er auch die rechtschaffenste und
vorsichtigste verdächtig zumachen sich bemühet/ und heisset bey ihm alle wahr-
hafftige und auffs weißlichste anstellende einschärffung des Christenthums
etwas suspectes, so will er auch gern allen den schrifften gleichen kleck anhan-
gen/ die doch mit der orthodoxia vollkommen übereinstimmen/ die sein
reich etwas empfindlicher angreiffen: und da müssen wir ihm zugefallen von
unserem eyffer nicht ab- oder uns dermassen überwinden lassen. Jedoch ha-
ben wir/ so uns dergleichen verleumdungen begegnen/ so bald zu unter suchen/
und desto fleißiger unsere art und methodum, wie und aus was principiis
wir das Christenthum treiben/ zu prüffen/ ob alles ohne fehl mit der göttli-
chen reinen wahrheit übereinkomme/ damit wo wir solches finden/ wir dabey
so viel getroster beharren/ oder wo in einigen stücken der ordnung gefehlet
worden/ dasselbe wieder suchen zuverbessern. Was aber sonderlich die bücher
anlangt/ so ist mir nicht wissend/ welche mein werther bruder zulesen pflege/
und ihm zum verdacht gezogen werden: jedoch bitte brüderlich/ die sache
gleichwohl in der furcht des HErren zu überlegen. Die schrifft bleibt billich
an und vor sich selbs unser haupt-buch und was wir aus derselben lernen/ ist
ohn widerspruch göttlich. Wollen wir ausser derselben einige weitere Christli-
cher leute wercke gebrauchen/ so ist uns solches unverwehrt/ und mögen uns
sonderlich die jenigen/ so von unsern rechtgläubigen lehrern geschrieben wor-
den und in einer völligen übereinstimmung mit unserer glaubens-lehr stehen/
von niemand verdacht werden/ wie starck sie auch der leute alten Adam an-
greiffen/ und also der welt haß erregen. Was aber andere von solchen leu-
ten/ so der rechten lehr nicht zugethan noch kundig gewesen/ geschriebene bü-
cher anlangt/ so leugne nicht/ daß auch manchmahl in denselben viel gutes und
erbauliches sich finden lässet/ so zu nützlichem gebrauch angewendet werden

kan/

Das andere Capitel.
antreffen/ bleiben/ und uns davon in nichts abwendig oder andere meinun-
gen/ unter was ſchein es ſeyn moͤchte/ beybringen laſſen/ ſo dann wo wir in
dem leben der heiligkeit in den amts-verrichtungen eines auff GOttes ehre
allein wahrhafftig ohne eigen geſuch abzweckenden mit liebe vermiſchten eiffers
und Chriſtlicher klugheit befleiſſen/ auch den HErren um ſolche gnade vor al-
len dingen anruffen. Mein geliebter bruder halte mir meine freyheit zu gut/
und erkenne auch hieraus meine auffrichtige liebe/ daß ich in ſolcher ſache eine
ſorge vor deſſelben beſtes trage. Er bezeugt in ſeinem brieffe/ daß er unterſchied-
lichen/ wegen allzuſcharff urgirenden Chriſtenthums/ auch leſung ſeltzamer
buͤcher bereits ſehr verdaͤchtig worden: nun weiß ich zwahr wohl/ wie des
teuffels kunſt und ſteter fleiß dahin gehet/ daß er auch die rechtſchaffenſte und
vorſichtigſte verdaͤchtig zumachen ſich bemuͤhet/ und heiſſet bey ihm alle wahr-
hafftige und auffs weißlichſte anſtellende einſchaͤrffung des Chriſtenthums
etwas ſuſpectes, ſo will er auch gern allen den ſchrifften gleichen kleck anhan-
gen/ die doch mit der orthodoxia vollkommen uͤbereinſtimmen/ die ſein
reich etwas empfindlicher angreiffen: und da muͤſſen wir ihm zugefallen von
unſerem eyffer nicht ab- oder uns dermaſſen uͤberwinden laſſen. Jedoch ha-
ben wir/ ſo uns dergleichen verleumdungen begegnen/ ſo bald zu unter ſuchen/
und deſto fleißiger unſere art und methodum, wie und aus was principiis
wir das Chriſtenthum treiben/ zu pruͤffen/ ob alles ohne fehl mit der goͤttli-
chen reinen wahrheit uͤbereinkomme/ damit wo wir ſolches finden/ wir dabey
ſo viel getroſter beharren/ oder wo in einigen ſtuͤcken der ordnung gefehlet
worden/ daſſelbe wieder ſuchen zuverbeſſern. Was aber ſonderlich die buͤcher
anlangt/ ſo iſt mir nicht wiſſend/ welche mein werther bruder zuleſen pflege/
und ihm zum verdacht gezogen werden: jedoch bitte bruͤderlich/ die ſache
gleichwohl in der furcht des HErren zu uͤberlegen. Die ſchrifft bleibt billich
an und vor ſich ſelbs unſer haupt-buch und was wir aus derſelben lernen/ iſt
ohn widerſpruch goͤttlich. Wollen wir auſſer derſelben einige weitere Chriſtli-
cher leute wercke gebrauchen/ ſo iſt uns ſolches unverwehrt/ und moͤgen uns
ſonderlich die jenigen/ ſo von unſern rechtglaͤubigen lehrern geſchrieben wor-
den und in einer voͤlligen uͤbereinſtimmung mit unſerer glaubens-lehr ſtehen/
von niemand verdacht werden/ wie ſtarck ſie auch der leute alten Adam an-
greiffen/ und alſo der welt haß erregen. Was aber andere von ſolchen leu-
ten/ ſo der rechten lehr nicht zugethan noch kundig geweſen/ geſchriebene buͤ-
cher anlangt/ ſo leugne nicht/ daß auch manchmahl in denſelben viel gutes und
erbauliches ſich finden laͤſſet/ ſo zu nuͤtzlichem gebrauch angewendet werden

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[726/0742] Das andere Capitel. antreffen/ bleiben/ und uns davon in nichts abwendig oder andere meinun- gen/ unter was ſchein es ſeyn moͤchte/ beybringen laſſen/ ſo dann wo wir in dem leben der heiligkeit in den amts-verrichtungen eines auff GOttes ehre allein wahrhafftig ohne eigen geſuch abzweckenden mit liebe vermiſchten eiffers und Chriſtlicher klugheit befleiſſen/ auch den HErren um ſolche gnade vor al- len dingen anruffen. Mein geliebter bruder halte mir meine freyheit zu gut/ und erkenne auch hieraus meine auffrichtige liebe/ daß ich in ſolcher ſache eine ſorge vor deſſelben beſtes trage. Er bezeugt in ſeinem brieffe/ daß er unterſchied- lichen/ wegen allzuſcharff urgirenden Chriſtenthums/ auch leſung ſeltzamer buͤcher bereits ſehr verdaͤchtig worden: nun weiß ich zwahr wohl/ wie des teuffels kunſt und ſteter fleiß dahin gehet/ daß er auch die rechtſchaffenſte und vorſichtigſte verdaͤchtig zumachen ſich bemuͤhet/ und heiſſet bey ihm alle wahr- hafftige und auffs weißlichſte anſtellende einſchaͤrffung des Chriſtenthums etwas ſuſpectes, ſo will er auch gern allen den ſchrifften gleichen kleck anhan- gen/ die doch mit der orthodoxia vollkommen uͤbereinſtimmen/ die ſein reich etwas empfindlicher angreiffen: und da muͤſſen wir ihm zugefallen von unſerem eyffer nicht ab- oder uns dermaſſen uͤberwinden laſſen. Jedoch ha- ben wir/ ſo uns dergleichen verleumdungen begegnen/ ſo bald zu unter ſuchen/ und deſto fleißiger unſere art und methodum, wie und aus was principiis wir das Chriſtenthum treiben/ zu pruͤffen/ ob alles ohne fehl mit der goͤttli- chen reinen wahrheit uͤbereinkomme/ damit wo wir ſolches finden/ wir dabey ſo viel getroſter beharren/ oder wo in einigen ſtuͤcken der ordnung gefehlet worden/ daſſelbe wieder ſuchen zuverbeſſern. Was aber ſonderlich die buͤcher anlangt/ ſo iſt mir nicht wiſſend/ welche mein werther bruder zuleſen pflege/ und ihm zum verdacht gezogen werden: jedoch bitte bruͤderlich/ die ſache gleichwohl in der furcht des HErren zu uͤberlegen. Die ſchrifft bleibt billich an und vor ſich ſelbs unſer haupt-buch und was wir aus derſelben lernen/ iſt ohn widerſpruch goͤttlich. Wollen wir auſſer derſelben einige weitere Chriſtli- cher leute wercke gebrauchen/ ſo iſt uns ſolches unverwehrt/ und moͤgen uns ſonderlich die jenigen/ ſo von unſern rechtglaͤubigen lehrern geſchrieben wor- den und in einer voͤlligen uͤbereinſtimmung mit unſerer glaubens-lehr ſtehen/ von niemand verdacht werden/ wie ſtarck ſie auch der leute alten Adam an- greiffen/ und alſo der welt haß erregen. Was aber andere von ſolchen leu- ten/ ſo der rechten lehr nicht zugethan noch kundig geweſen/ geſchriebene buͤ- cher anlangt/ ſo leugne nicht/ daß auch manchmahl in denſelben viel gutes und erbauliches ſich finden laͤſſet/ ſo zu nuͤtzlichem gebrauch angewendet werden kan/

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 726. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/742>, abgerufen am 26.04.2024.