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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702.

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Das sechste Capitel.
SECTIO XXX.

Unsere zeiten der gerichte. Was prediger zu
thun/ wo die Papisten die oberhaud haben.
Elenchus.
Die beste verwahrung vor dem abfall. Die ins hertz
gedruckte liebe GOttes.

DEr zustand ihrer gegend liget mir w[o]l von grund der seelen an/ ich sehe aber
keine menschliche hülff/ darauff man nur die geringste gedancken sich zu ma-
chen hätte/ sondern von den HErrn muß sie allein folgen. Wo wir aber
recht die art unserer zeiten ansehen/ sorge ich sie bestehe darinnen/ daß die göttliche
gerichte in völligen ausbruch sind/ da er sein verdorben Jerusalem in die hände Ba-
bels übergebe/ damit dieses sein sünden maaß erfülle/ und damit sein gericht
über den halß ziehe/ welches gewiß geschehen und hoffentlich die zeit unserer
trangsal nicht auf lange bestimmet seyn wird/ doch möchte das wetter so viel schwerer
seyn/ als ihn kürtzere frist gesetzet ist. Wie aber sich zu verhalten/ bekenne/ daß
ich mir in vielen selbs nicht genug thue/ was ich vorschlagen solle/ und also getreue
brüder fast mehr allein dahin weisen muß/ daß sie den HERRN um seines Geistes
weißheit und rath/ dessen sie bedürfftig/ ohne unterlaß anruffen/ und alsdann ge-
trost das jenige thun/ was er ihnen vorkommen lässet/ als daß mich erklähren solte/
ihnen in solcher sache maaß vorzuschreiben. Jnsgemein bleibet wol die regel/ daß
man weder einer seits der warheit etwas begeben oder das blosser dings nothwendi-
ge unterlassen darff/ noch anderwerts nicht so wol ihn selbs als seiner kirchen keine
gefahr/ dero man noch entübriget seyn können/ zu ziehen solle.

Den Elenchum belangende/ kan das jenige/ was damit in bekräfftigung
der unsrigen gesucht wird (dann der wiedrigen bekehrung ist ohne das in gegenwär-
tigen zustand uns nicht müglich) damit ersetzet werden/ da man die thesin so viel
solider und deutlicher der gemeinde vorträget/ und was sonsten zur refutation
der antitheseos gehöret/ in jene confirmation einmischet. Hat man die gele-
genheit zur kinder lehr/ daß man mit der jugend handlet/ so dann wo man in privat
conversation
mit den zu hörern umgehet (die man zu der zeit jetzo mehr als zu an-
dern mahlen suchen muß) solte wol mehr freyheit gebrauchet werden dörffen/ als in
den offentlichen und von den Papisten besuchten predigten. Sonderlich aber/
was der prediger nicht sagen darff/ mag durch bücher ersetzet werden/ die
man unter die gemeine bringet/ daß sie ie einer den andern recommandi-
ret
und zubringt/ dero man dann nicht wenige findet/ welche hiezu bequem sind.
Nach dem aber der meiste abbruch uusrer kirche nicht so wol durch eigentliche ver-

füh-
Das ſechſte Capitel.
SECTIO XXX.

Unſere zeiten der gerichte. Was prediger zu
thun/ wo die Papiſten die oberhaud haben.
Elenchus.
Die beſte verwahrung vor dem abfall. Die ins hertz
gedruckte liebe GOttes.

DEr zuſtand ihrer gegend liget mir w[o]l von grund der ſeelen an/ ich ſehe aber
keine menſchliche huͤlff/ darauff man nur die geringſte gedancken ſich zu ma-
chen haͤtte/ ſondern von den HErrn muß ſie allein folgen. Wo wir aber
recht die art unſerer zeiten anſehen/ ſorge ich ſie beſtehe darinnen/ daß die goͤttliche
gerichte in voͤlligen ausbruch ſind/ da er ſein verdoꝛben Jeruſalem in die haͤnde Ba-
bels uͤbergebe/ damit dieſes ſein ſuͤnden maaß erfuͤlle/ und damit ſein gericht
uͤber den halß ziehe/ welches gewiß geſchehen und hoffentlich die zeit unſerer
trangſal nicht auf lange beſtimmet ſeyn wird/ doch moͤchte das wetter ſo viel ſchwerer
ſeyn/ als ihn kuͤrtzere friſt geſetzet iſt. Wie aber ſich zu verhalten/ bekenne/ daß
ich mir in vielen ſelbs nicht genug thue/ was ich vorſchlagen ſolle/ und alſo getreue
bruͤder faſt mehr allein dahin weiſen muß/ daß ſie den HERRN um ſeines Geiſtes
weißheit und rath/ deſſen ſie beduͤrfftig/ ohne unterlaß anruffen/ und alsdann ge-
troſt das jenige thun/ was er ihnen vorkommen laͤſſet/ als daß mich erklaͤhren ſolte/
ihnen in ſolcher ſache maaß vorzuſchreiben. Jnsgemein bleibet wol die regel/ daß
man weder einer ſeits der warheit etwas begeben oder das bloſſer dings nothwendi-
ge unterlaſſen darff/ noch anderwerts nicht ſo wol ihn ſelbs als ſeiner kirchen keine
gefahr/ dero man noch entuͤbriget ſeyn koͤnnen/ zu ziehen ſolle.

Den Elenchum belangende/ kan das jenige/ was damit in bekraͤfftigung
der unſrigen geſucht wird (dann der wiedrigen bekehrung iſt ohne das in gegenwaͤr-
tigen zuſtand uns nicht muͤglich) damit erſetzet werden/ da man die theſin ſo viel
ſolider und deutlicher der gemeinde vortraͤget/ und was ſonſten zur refutation
der antitheſeos gehoͤret/ in jene confirmation einmiſchet. Hat man die gele-
genheit zur kinder lehr/ daß man mit der jugend handlet/ ſo dann wo man in privat
converſation
mit den zu hoͤrern umgehet (die man zu der zeit jetzo mehr als zu an-
deꝛn mahlen ſuchen muß) ſolte wol mehr freyheit gebrauchet werden doͤrffen/ als in
den offentlichen und von den Papiſten beſuchten predigten. Sonderlich aber/
was der prediger nicht ſagen darff/ mag durch buͤcher erſetzet werden/ die
man unter die gemeine bringet/ daß ſie ie einer den andern recommandi-
ret
und zubringt/ dero man dann nicht wenige findet/ welche hiezu bequem ſind.
Nach dem aber der meiſte abbruch uuſrer kiꝛche nicht ſo wol durch eigentliche ver-

fuͤh-
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[608/0626] Das ſechſte Capitel. SECTIO XXX. Unſere zeiten der gerichte. Was prediger zu thun/ wo die Papiſten die oberhaud haben. Elenchus. Die beſte verwahrung vor dem abfall. Die ins hertz gedruckte liebe GOttes. DEr zuſtand ihrer gegend liget mir wol von grund der ſeelen an/ ich ſehe aber keine menſchliche huͤlff/ darauff man nur die geringſte gedancken ſich zu ma- chen haͤtte/ ſondern von den HErrn muß ſie allein folgen. Wo wir aber recht die art unſerer zeiten anſehen/ ſorge ich ſie beſtehe darinnen/ daß die goͤttliche gerichte in voͤlligen ausbruch ſind/ da er ſein verdoꝛben Jeruſalem in die haͤnde Ba- bels uͤbergebe/ damit dieſes ſein ſuͤnden maaß erfuͤlle/ und damit ſein gericht uͤber den halß ziehe/ welches gewiß geſchehen und hoffentlich die zeit unſerer trangſal nicht auf lange beſtimmet ſeyn wird/ doch moͤchte das wetter ſo viel ſchwerer ſeyn/ als ihn kuͤrtzere friſt geſetzet iſt. Wie aber ſich zu verhalten/ bekenne/ daß ich mir in vielen ſelbs nicht genug thue/ was ich vorſchlagen ſolle/ und alſo getreue bruͤder faſt mehr allein dahin weiſen muß/ daß ſie den HERRN um ſeines Geiſtes weißheit und rath/ deſſen ſie beduͤrfftig/ ohne unterlaß anruffen/ und alsdann ge- troſt das jenige thun/ was er ihnen vorkommen laͤſſet/ als daß mich erklaͤhren ſolte/ ihnen in ſolcher ſache maaß vorzuſchreiben. Jnsgemein bleibet wol die regel/ daß man weder einer ſeits der warheit etwas begeben oder das bloſſer dings nothwendi- ge unterlaſſen darff/ noch anderwerts nicht ſo wol ihn ſelbs als ſeiner kirchen keine gefahr/ dero man noch entuͤbriget ſeyn koͤnnen/ zu ziehen ſolle. Den Elenchum belangende/ kan das jenige/ was damit in bekraͤfftigung der unſrigen geſucht wird (dann der wiedrigen bekehrung iſt ohne das in gegenwaͤr- tigen zuſtand uns nicht muͤglich) damit erſetzet werden/ da man die theſin ſo viel ſolider und deutlicher der gemeinde vortraͤget/ und was ſonſten zur refutation der antitheſeos gehoͤret/ in jene confirmation einmiſchet. Hat man die gele- genheit zur kinder lehr/ daß man mit der jugend handlet/ ſo dann wo man in privat converſation mit den zu hoͤrern umgehet (die man zu der zeit jetzo mehr als zu an- deꝛn mahlen ſuchen muß) ſolte wol mehr freyheit gebrauchet werden doͤrffen/ als in den offentlichen und von den Papiſten beſuchten predigten. Sonderlich aber/ was der prediger nicht ſagen darff/ mag durch buͤcher erſetzet werden/ die man unter die gemeine bringet/ daß ſie ie einer den andern recommandi- ret und zubringt/ dero man dann nicht wenige findet/ welche hiezu bequem ſind. Nach dem aber der meiſte abbruch uuſrer kiꝛche nicht ſo wol durch eigentliche ver- fuͤh-

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 3. Halle (Saale), 1702, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken03_1702/626>, abgerufen am 26.04.2024.