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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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ARTIC. IV. SECTIO XV.
SECTIO XV.
An eine fürstliche witwe. Göttlicher rath durch
solchen stand von der welt gantz abzuziehen. Was vor
prüfung darzu nöthig. Gesamter/ auch hoher
witwen pflicht.

DAß E. Hochfl. Durchl. sich so willig in den seligen abschied ihres geliebtesten
Herrn schicken/ zwar/ wie billig/ seine gedächtnüß hertzlich und mit vieler be-
wegung bey sich behalten/ aber dem göttlichen willen sich gehorsamlich un-
terwerffen (ist mir aus E. Hochfl. Durchl. neulichstem zu sonderlichen vergnügen
kund worden. Der himmlische Vater erhalte noch allezeit ein solches kindliches
gelassenes hertz/ in welchem ein grosses stück des würdigsten und vornehmsten got-
tesdienstes bestehet/ ja in welchem wir eine ruhe des gemüths um die zeit finden wer-
den/ wo sonsten die unruhe und widrigkeit desselben uns unglückseliger machen wür-
de/ als dasjenige selbsten/ was uns äusserlich betrübt. Es ist freylich also/ der
theure liebhaber ihrer seelen will E. Hochfl. Durchl. wie sie selbst schreibet/ gantz
von der welt abziehen. Ach lasset uns solchen seinem zug gehorsamlich folgen/
und ihm auch vor diese dem fleisch so unangenehme artzney dancken! wollen nun E.
Hochfl. Durchl. solches mit rechtem nutzen thun/ so wird das erste seyn/ eine ge-
naue und scharffe untersuchung/ worinn E. Hochfl. Durchl. hertz bis daher auf
eine kantliche oder verborgene art an der welt gehafftet habe: auf welche prüffung
und forschung sie ihre gegenwärtige trauer-zeit viel nützlicher als auf die stete vor-
stellung und erinnerung des bis dahin gehabten und nun von dem HErrn aus den
augen gerückten werthen gutes/ wenden mögen: denn diese/ wo sie ohne christli-
che maaß geschiehet/ verunruhiget nur und schmertzet ohne nutzen/ jene aber
ist eine heilsame übung/ und ob sie die seele in eine göttliche traurigkeit führen möch-
te/ wird sie doch die traurigkeit der welt so viel kräfftiger steuren. Es ist aber nöthig/
soll der rechte zweck erhalten werden/ in solcher untersuchung ihnen selbst nicht zu
schmeicheln/ sondern nach allen theilen unsers lebens und nach allen Dingen/ die
wir um uns haben/ oder womit mir umgehen/ uns zu examiniren/ wie fern un-
ser hertz an etwas hänge oder nicht; es seye nun dasselbe ehre in der welt/ mache
über andere/ zeitliche güter/ bequemlichkeit des lebens/ weltliche ergötzlichkeit/
kleider/ umgang mit andern/ oder wie es namen haben mag: denn keines unter
allen ist/ welches uns nicht gefangen nehmen/ und uns sehr an dem einigen noth-
wendigen hindern kan; Folglich wo der HErr uns von der welt abziehen will/ eine
verleugnung aller solcher dinge/ und denn noch vorher erkäntnüß/ wie unser hertz
vorhin dagegen gestanden/ nothwendig erfordert wird. Da zweiffele ich auch

nicht
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ARTIC. IV. SECTIO XV.
SECTIO XV.
An eine fuͤrſtliche witwe. Goͤttlicher rath durch
ſolchen ſtand von der welt gantz abzuziehen. Was vor
pruͤfung darzu noͤthig. Geſamter/ auch hoher
witwen pflicht.

DAß E. Hochfl. Durchl. ſich ſo willig in den ſeligen abſchied ihres geliebteſten
Herrn ſchicken/ zwar/ wie billig/ ſeine gedaͤchtnuͤß hertzlich und mit vieler be-
wegung bey ſich behalten/ aber dem goͤttlichen willen ſich gehorſamlich un-
terwerffen (iſt mir aus E. Hochfl. Durchl. neulichſtem zu ſonderlichen vergnuͤgen
kund worden. Der himmliſche Vater erhalte noch allezeit ein ſolches kindliches
gelaſſenes hertz/ in welchem ein groſſes ſtuͤck des wuͤrdigſten und vornehmſten got-
tesdienſtes beſtehet/ ja in welchem wir eine ruhe des gemuͤths um die zeit finden wer-
den/ wo ſonſten die unruhe und widrigkeit deſſelben uns ungluͤckſeliger machen wuͤr-
de/ als dasjenige ſelbſten/ was uns aͤuſſerlich betruͤbt. Es iſt freylich alſo/ der
theure liebhaber ihrer ſeelen will E. Hochfl. Durchl. wie ſie ſelbſt ſchreibet/ gantz
von der welt abziehen. Ach laſſet uns ſolchen ſeinem zug gehorſamlich folgen/
und ihm auch vor dieſe dem fleiſch ſo unangenehme artzney dancken! wollen nun E.
Hochfl. Durchl. ſolches mit rechtem nutzen thun/ ſo wird das erſte ſeyn/ eine ge-
naue und ſcharffe unterſuchung/ worinn E. Hochfl. Durchl. hertz bis daher auf
eine kantliche oder verborgene art an der welt gehafftet habe: auf welche pruͤffung
und forſchung ſie ihre gegenwaͤrtige trauer-zeit viel nuͤtzlicher als auf die ſtete vor-
ſtellung und erinnerung des bis dahin gehabten und nun von dem HErrn aus den
augen geruͤckten werthen gutes/ wenden moͤgen: denn dieſe/ wo ſie ohne chriſtli-
che maaß geſchiehet/ verunruhiget nur und ſchmertzet ohne nutzen/ jene aber
iſt eine heilſame uͤbung/ und ob ſie die ſeele in eine goͤttliche traurigkeit fuͤhren moͤch-
te/ wird ſie doch die traurigkeit der welt ſo viel kraͤfftiger ſteuren. Es iſt aber noͤthig/
ſoll der rechte zweck erhalten werden/ in ſolcher unterſuchung ihnen ſelbſt nicht zu
ſchmeicheln/ ſondern nach allen theilen unſers lebens und nach allen Dingen/ die
wir um uns haben/ oder womit mir umgehen/ uns zu examiniren/ wie fern un-
ſer hertz an etwas haͤnge oder nicht; es ſeye nun daſſelbe ehre in der welt/ mache
uͤber andere/ zeitliche guͤter/ bequemlichkeit des lebens/ weltliche ergoͤtzlichkeit/
kleider/ umgang mit andern/ oder wie es namen haben mag: denn keines unter
allen iſt/ welches uns nicht gefangen nehmen/ und uns ſehr an dem einigen noth-
wendigen hindern kan; Folglich wo der HErr uns von der welt abziehen will/ eine
verleugnung aller ſolcher dinge/ und denn noch vorher erkaͤntnuͤß/ wie unſer hertz
vorhin dagegen geſtanden/ nothwendig erfordert wird. Da zweiffele ich auch

nicht
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[451/0463] ARTIC. IV. SECTIO XV. SECTIO XV. An eine fuͤrſtliche witwe. Goͤttlicher rath durch ſolchen ſtand von der welt gantz abzuziehen. Was vor pruͤfung darzu noͤthig. Geſamter/ auch hoher witwen pflicht. DAß E. Hochfl. Durchl. ſich ſo willig in den ſeligen abſchied ihres geliebteſten Herrn ſchicken/ zwar/ wie billig/ ſeine gedaͤchtnuͤß hertzlich und mit vieler be- wegung bey ſich behalten/ aber dem goͤttlichen willen ſich gehorſamlich un- terwerffen (iſt mir aus E. Hochfl. Durchl. neulichſtem zu ſonderlichen vergnuͤgen kund worden. Der himmliſche Vater erhalte noch allezeit ein ſolches kindliches gelaſſenes hertz/ in welchem ein groſſes ſtuͤck des wuͤrdigſten und vornehmſten got- tesdienſtes beſtehet/ ja in welchem wir eine ruhe des gemuͤths um die zeit finden wer- den/ wo ſonſten die unruhe und widrigkeit deſſelben uns ungluͤckſeliger machen wuͤr- de/ als dasjenige ſelbſten/ was uns aͤuſſerlich betruͤbt. Es iſt freylich alſo/ der theure liebhaber ihrer ſeelen will E. Hochfl. Durchl. wie ſie ſelbſt ſchreibet/ gantz von der welt abziehen. Ach laſſet uns ſolchen ſeinem zug gehorſamlich folgen/ und ihm auch vor dieſe dem fleiſch ſo unangenehme artzney dancken! wollen nun E. Hochfl. Durchl. ſolches mit rechtem nutzen thun/ ſo wird das erſte ſeyn/ eine ge- naue und ſcharffe unterſuchung/ worinn E. Hochfl. Durchl. hertz bis daher auf eine kantliche oder verborgene art an der welt gehafftet habe: auf welche pruͤffung und forſchung ſie ihre gegenwaͤrtige trauer-zeit viel nuͤtzlicher als auf die ſtete vor- ſtellung und erinnerung des bis dahin gehabten und nun von dem HErrn aus den augen geruͤckten werthen gutes/ wenden moͤgen: denn dieſe/ wo ſie ohne chriſtli- che maaß geſchiehet/ verunruhiget nur und ſchmertzet ohne nutzen/ jene aber iſt eine heilſame uͤbung/ und ob ſie die ſeele in eine goͤttliche traurigkeit fuͤhren moͤch- te/ wird ſie doch die traurigkeit der welt ſo viel kraͤfftiger ſteuren. Es iſt aber noͤthig/ ſoll der rechte zweck erhalten werden/ in ſolcher unterſuchung ihnen ſelbſt nicht zu ſchmeicheln/ ſondern nach allen theilen unſers lebens und nach allen Dingen/ die wir um uns haben/ oder womit mir umgehen/ uns zu examiniren/ wie fern un- ſer hertz an etwas haͤnge oder nicht; es ſeye nun daſſelbe ehre in der welt/ mache uͤber andere/ zeitliche guͤter/ bequemlichkeit des lebens/ weltliche ergoͤtzlichkeit/ kleider/ umgang mit andern/ oder wie es namen haben mag: denn keines unter allen iſt/ welches uns nicht gefangen nehmen/ und uns ſehr an dem einigen noth- wendigen hindern kan; Folglich wo der HErr uns von der welt abziehen will/ eine verleugnung aller ſolcher dinge/ und denn noch vorher erkaͤntnuͤß/ wie unſer hertz vorhin dagegen geſtanden/ nothwendig erfordert wird. Da zweiffele ich auch nicht l l l 2

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/463>, abgerufen am 26.04.2024.