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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

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Das siebende Capitel.
und erkennen, daß durch seinen sündlichen umgang mit Livia, deswegen er sich zwar
auch noch nach erlangter vergebung vor GOtt stets zu demüthigen hat, sein band
mit Lucretia nicht aufgelöset noch sündlich gemachet worden seye. Die bisher
aber darüber durch die scrupel ausgestandene angst hat er, wie auch Lucretia ih-
ren kummer über seine unbeständigkeit, also anzusehen, daß sie GOtt damit auch
ihrer unreinigkeit wegen heimgesuchet, darüber sie auch seine gerechtigkeit an sich
selbst zu preisen haben.

Q. II.
Jm fall die betastung pro incestu zu halten, und Titius Lucretiam nicht
heyrathen könte, wie er sich bey den eltern, von denen er viele liebe
genossen, der
Lucretia selbs, und vielen andern, denen ihre verlo-
bung kund, sich wegen der loßtrennung zu entschuldigen und zu
verhalten, weil es sich nicht schicken will, die mit
Liuia gepflogene
unreine betastung zu offenbaren, nicht um seinet willen, sondern zu
verschonung erwehnter
Liuiae.

Diese frage fället durch die vorige beantwortung von sich selbs dahin, weil
das band mit Lucretia fest bleibet. Jndessen 1. gegen die eltern, denen ohne
zweiffel die beobachtete kaltsinnigkeit mag kummer gemacht haben, hat er sich desto
freundlicher zu bezeugen, um ihre vorige betrübnüß wieder mit freuden zu ersetzen.
2. Lucretiam hat er neben sich zu hertzlicher buß über das vorgegangene zu leiten,
aber was mit Livia vorgegangen, vor ihr zu verbergen, damit auch nicht sie in
schwere anfechtung drüber falle. Er ist ihr auch schuldig so wol jetzt auf ziemliche
weise als auch künfftig, wo sie der HERR zusammen bringen wird, mit desto be-
ständiger liebe zu begegnen, als er sie bisher betrübet hat. 3. Liviae aber ist er
schuldig in geheim die an ihr begangene schuld abzubeten, und hingegen dahin an-
zuweisen, daß auch sie, wo es noch nicht geschehen, zu ernstlicher busse komme. Und
also GOTT den zweck seiner gnade an ihnen erhalte, die offt bey einigen gewisse
sündenfälle verhänget, sie zu desto gründlicher busse, da sie ihr verderbnüß recht ge-
wahr werden, eben dadurch zu führen.

Q. III.
Wo hierinnen keine hinderung, ob Titius, der unbedächtlichen ver-
lobung ungeachtet, in seinem gewissen freyheit habe,
Lucretiam,
die er insonderheit wegen ihres aufrichtigen sinnes und wan-
dels vor GOTT
aestimiret, aus erkäntnüß des vortheils der
ledigen im lauf des Christenthums allein zu sorgen, was

des

Das ſiebende Capitel.
und erkennen, daß durch ſeinen ſuͤndlichen umgang mit Livia, deswegen er ſich zwar
auch noch nach erlangter vergebung vor GOtt ſtets zu demuͤthigen hat, ſein band
mit Lucretia nicht aufgeloͤſet noch ſuͤndlich gemachet worden ſeye. Die bisher
aber daruͤber durch die ſcrupel ausgeſtandene angſt hat er, wie auch Lucretia ih-
ren kummer uͤber ſeine unbeſtaͤndigkeit, alſo anzuſehen, daß ſie GOtt damit auch
ihrer unreinigkeit wegen heimgeſuchet, daruͤber ſie auch ſeine gerechtigkeit an ſich
ſelbſt zu preiſen haben.

Q. II.
Jm fall die betaſtung pro inceſtu zu halten, und Titius Lucretiam nicht
heyrathen koͤnte, wie er ſich bey den eltern, von denen er viele liebe
genoſſen, der
Lucretia ſelbs, und vielen andern, denen ihre verlo-
bung kund, ſich wegen der loßtrennung zu entſchuldigen und zu
verhalten, weil es ſich nicht ſchicken will, die mit
Liuia gepflogene
unreine betaſtung zu offenbaren, nicht um ſeinet willen, ſondern zu
verſchonung erwehnter
Liuiæ.

Dieſe frage faͤllet durch die vorige beantwortung von ſich ſelbs dahin, weil
das band mit Lucretia feſt bleibet. Jndeſſen 1. gegen die eltern, denen ohne
zweiffel die beobachtete kaltſinnigkeit mag kummer gemacht haben, hat er ſich deſto
freundlicher zu bezeugen, um ihre vorige betruͤbnuͤß wieder mit freuden zu erſetzen.
2. Lucretiam hat er neben ſich zu hertzlicher buß uͤber das vorgegangene zu leiten,
aber was mit Livia vorgegangen, vor ihr zu verbergen, damit auch nicht ſie in
ſchwere anfechtung druͤber falle. Er iſt ihr auch ſchuldig ſo wol jetzt auf ziemliche
weiſe als auch kuͤnfftig, wo ſie der HERR zuſammen bringen wird, mit deſto be-
ſtaͤndiger liebe zu begegnen, als er ſie bisher betruͤbet hat. 3. Liviæ aber iſt er
ſchuldig in geheim die an ihr begangene ſchuld abzubeten, und hingegen dahin an-
zuweiſen, daß auch ſie, wo es noch nicht geſchehen, zu ernſtlicher buſſe komme. Und
alſo GOTT den zweck ſeiner gnade an ihnen erhalte, die offt bey einigen gewiſſe
ſuͤndenfaͤlle verhaͤnget, ſie zu deſto gruͤndlicher buſſe, da ſie ihr verderbnuͤß recht ge-
wahr werden, eben dadurch zu fuͤhren.

Q. III.
Wo hierinnen keine hinderung, ob Titius, der unbedaͤchtlichen ver-
lobung ungeachtet, in ſeinem gewiſſen freyheit habe,
Lucretiam,
die er inſonderheit wegen ihres aufrichtigen ſinnes und wan-
dels vor GOTT
æſtimiret, aus erkaͤntnuͤß des vortheils der
ledigen im lauf des Chriſtenthums allein zu ſorgen, was

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[714/0726] Das ſiebende Capitel. und erkennen, daß durch ſeinen ſuͤndlichen umgang mit Livia, deswegen er ſich zwar auch noch nach erlangter vergebung vor GOtt ſtets zu demuͤthigen hat, ſein band mit Lucretia nicht aufgeloͤſet noch ſuͤndlich gemachet worden ſeye. Die bisher aber daruͤber durch die ſcrupel ausgeſtandene angſt hat er, wie auch Lucretia ih- ren kummer uͤber ſeine unbeſtaͤndigkeit, alſo anzuſehen, daß ſie GOtt damit auch ihrer unreinigkeit wegen heimgeſuchet, daruͤber ſie auch ſeine gerechtigkeit an ſich ſelbſt zu preiſen haben. Q. II. Jm fall die betaſtung pro inceſtu zu halten, und Titius Lucretiam nicht heyrathen koͤnte, wie er ſich bey den eltern, von denen er viele liebe genoſſen, der Lucretia ſelbs, und vielen andern, denen ihre verlo- bung kund, ſich wegen der loßtrennung zu entſchuldigen und zu verhalten, weil es ſich nicht ſchicken will, die mit Liuia gepflogene unreine betaſtung zu offenbaren, nicht um ſeinet willen, ſondern zu verſchonung erwehnter Liuiæ. Dieſe frage faͤllet durch die vorige beantwortung von ſich ſelbs dahin, weil das band mit Lucretia feſt bleibet. Jndeſſen 1. gegen die eltern, denen ohne zweiffel die beobachtete kaltſinnigkeit mag kummer gemacht haben, hat er ſich deſto freundlicher zu bezeugen, um ihre vorige betruͤbnuͤß wieder mit freuden zu erſetzen. 2. Lucretiam hat er neben ſich zu hertzlicher buß uͤber das vorgegangene zu leiten, aber was mit Livia vorgegangen, vor ihr zu verbergen, damit auch nicht ſie in ſchwere anfechtung druͤber falle. Er iſt ihr auch ſchuldig ſo wol jetzt auf ziemliche weiſe als auch kuͤnfftig, wo ſie der HERR zuſammen bringen wird, mit deſto be- ſtaͤndiger liebe zu begegnen, als er ſie bisher betruͤbet hat. 3. Liviæ aber iſt er ſchuldig in geheim die an ihr begangene ſchuld abzubeten, und hingegen dahin an- zuweiſen, daß auch ſie, wo es noch nicht geſchehen, zu ernſtlicher buſſe komme. Und alſo GOTT den zweck ſeiner gnade an ihnen erhalte, die offt bey einigen gewiſſe ſuͤndenfaͤlle verhaͤnget, ſie zu deſto gruͤndlicher buſſe, da ſie ihr verderbnuͤß recht ge- wahr werden, eben dadurch zu fuͤhren. Q. III. Wo hierinnen keine hinderung, ob Titius, der unbedaͤchtlichen ver- lobung ungeachtet, in ſeinem gewiſſen freyheit habe, Lucretiam, die er inſonderheit wegen ihres aufrichtigen ſinnes und wan- dels vor GOTT æſtimiret, aus erkaͤntnuͤß des vortheils der ledigen im lauf des Chriſtenthums allein zu ſorgen, was des

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 714. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/726>, abgerufen am 01.05.2024.