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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Das Rechtsprincip der allgemeinen Bildung ist die Freiheit,
welche die Beschränkung der Verwaltungsthätigkeit auf die Verhinde-
rung und Bestrafung der Rechtsverletzungen fordert, die das geistige
Leben erzeugen kann.

Es ist demnach nicht möglich, von einem einfachen und gleichen
Rechtsprincip, und demgemäß von einer einheitlichen Gesetz-
gebung
für das ganze Gebiet zu reden. Denn es ist nicht die Auf-
gabe der Verwaltung, ihre Thätigkeit oder ihr Recht an die Stelle der
freien Thätigkeit des Einzelnen zu setzen, sondern nur das Maß und
diejenige Ordnung derselben zu bestimmen, welche als Bedingung der
Gesammtentwicklung angesehen werden müssen. Selbst der größte Versuch,
der je den Bildungsproceß des gesammten Volkslebens der Verwaltung
ausschließlich unterordnen wollte, die französische Gesetzgebung Napo-
leons I., hat das nicht vermocht. Das Bildungswesen fordert daher
für jedes seiner drei Gebiete mit dem selbständigen System derselben auch
ein eignes Bildungsrecht; die drei Gebiete sind aber ein Ganzes in der
gemeinsamen Idee der Verwaltung des geistigen Lebens der Gesammtheit.

Den ersten Ausdruck dieser Auffassung der Einheit des Ganzen und der
Selbständigkeit der Theile auf Grundlage der Idee der (polizeilichen) Staats-
verwaltung mit der Polizeiwissenschaft des vorigen Jahrhunderts, fortgesetzt in
der heutigen. Die positiven Bestimmungen in den Lehrbüchern des Staatsrechts
jedoch höchst ungleichmäßig behandelt, und nicht als Einheit aufgefaßt, sondern
jeder Theil für sich dargestellt. Das beste Material in Schmid, Encyclopädie.

3) Principien des Organismus des Bildungswesens.

Der Organismus des Bildungswesens enthält formell die Organe
und ihre Competenz, durch welche die Gemeinschaft ihre Thätigkeit für
das Bildungswesen ausübt.

Es liegt in der Natur der Geschichte des letzteren, daß dieser Or-
ganismus in den verschiedenen Zeiten ein sehr verschiedener war, und
daß jedes Land sich seine Gestalt desselben selbständig herausbildete.
Dennoch ist in ganz Europa ein durchgreifender Grundzug unverkenn-
bar; und dieser beruht wieder auf dem Wesen der drei Gebiete der
Bildung, ihrem besonderen Inhalt und ihrer schließlichen organischen
Einheit. Man muß denselben aber kennen, um unsre Gegenwart zu
beurtheilen.

Während in der Geschlechterordnung noch gar kein Organ für das
Bildungswesen existirt, und in der Ständeordnung die Körperschaften
allein die Verwaltung desselben haben, tritt mit dem polizeilichen Staat
des achtzehnten Jahrhunderts zuerst der Gedanke einer einheitlichen
Leitung der gesammten Bildung auf, die dann im neunzehnten Jahr-

Das Rechtsprincip der allgemeinen Bildung iſt die Freiheit,
welche die Beſchränkung der Verwaltungsthätigkeit auf die Verhinde-
rung und Beſtrafung der Rechtsverletzungen fordert, die das geiſtige
Leben erzeugen kann.

Es iſt demnach nicht möglich, von einem einfachen und gleichen
Rechtsprincip, und demgemäß von einer einheitlichen Geſetz-
gebung
für das ganze Gebiet zu reden. Denn es iſt nicht die Auf-
gabe der Verwaltung, ihre Thätigkeit oder ihr Recht an die Stelle der
freien Thätigkeit des Einzelnen zu ſetzen, ſondern nur das Maß und
diejenige Ordnung derſelben zu beſtimmen, welche als Bedingung der
Geſammtentwicklung angeſehen werden müſſen. Selbſt der größte Verſuch,
der je den Bildungsproceß des geſammten Volkslebens der Verwaltung
ausſchließlich unterordnen wollte, die franzöſiſche Geſetzgebung Napo-
leons I., hat das nicht vermocht. Das Bildungsweſen fordert daher
für jedes ſeiner drei Gebiete mit dem ſelbſtändigen Syſtem derſelben auch
ein eignes Bildungsrecht; die drei Gebiete ſind aber ein Ganzes in der
gemeinſamen Idee der Verwaltung des geiſtigen Lebens der Geſammtheit.

Den erſten Ausdruck dieſer Auffaſſung der Einheit des Ganzen und der
Selbſtändigkeit der Theile auf Grundlage der Idee der (polizeilichen) Staats-
verwaltung mit der Polizeiwiſſenſchaft des vorigen Jahrhunderts, fortgeſetzt in
der heutigen. Die poſitiven Beſtimmungen in den Lehrbüchern des Staatsrechts
jedoch höchſt ungleichmäßig behandelt, und nicht als Einheit aufgefaßt, ſondern
jeder Theil für ſich dargeſtellt. Das beſte Material in Schmid, Encyclopädie.

3) Principien des Organismus des Bildungsweſens.

Der Organismus des Bildungsweſens enthält formell die Organe
und ihre Competenz, durch welche die Gemeinſchaft ihre Thätigkeit für
das Bildungsweſen ausübt.

Es liegt in der Natur der Geſchichte des letzteren, daß dieſer Or-
ganismus in den verſchiedenen Zeiten ein ſehr verſchiedener war, und
daß jedes Land ſich ſeine Geſtalt deſſelben ſelbſtändig herausbildete.
Dennoch iſt in ganz Europa ein durchgreifender Grundzug unverkenn-
bar; und dieſer beruht wieder auf dem Weſen der drei Gebiete der
Bildung, ihrem beſonderen Inhalt und ihrer ſchließlichen organiſchen
Einheit. Man muß denſelben aber kennen, um unſre Gegenwart zu
beurtheilen.

Während in der Geſchlechterordnung noch gar kein Organ für das
Bildungsweſen exiſtirt, und in der Ständeordnung die Körperſchaften
allein die Verwaltung deſſelben haben, tritt mit dem polizeilichen Staat
des achtzehnten Jahrhunderts zuerſt der Gedanke einer einheitlichen
Leitung der geſammten Bildung auf, die dann im neunzehnten Jahr-

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[114/0138] Das Rechtsprincip der allgemeinen Bildung iſt die Freiheit, welche die Beſchränkung der Verwaltungsthätigkeit auf die Verhinde- rung und Beſtrafung der Rechtsverletzungen fordert, die das geiſtige Leben erzeugen kann. Es iſt demnach nicht möglich, von einem einfachen und gleichen Rechtsprincip, und demgemäß von einer einheitlichen Geſetz- gebung für das ganze Gebiet zu reden. Denn es iſt nicht die Auf- gabe der Verwaltung, ihre Thätigkeit oder ihr Recht an die Stelle der freien Thätigkeit des Einzelnen zu ſetzen, ſondern nur das Maß und diejenige Ordnung derſelben zu beſtimmen, welche als Bedingung der Geſammtentwicklung angeſehen werden müſſen. Selbſt der größte Verſuch, der je den Bildungsproceß des geſammten Volkslebens der Verwaltung ausſchließlich unterordnen wollte, die franzöſiſche Geſetzgebung Napo- leons I., hat das nicht vermocht. Das Bildungsweſen fordert daher für jedes ſeiner drei Gebiete mit dem ſelbſtändigen Syſtem derſelben auch ein eignes Bildungsrecht; die drei Gebiete ſind aber ein Ganzes in der gemeinſamen Idee der Verwaltung des geiſtigen Lebens der Geſammtheit. Den erſten Ausdruck dieſer Auffaſſung der Einheit des Ganzen und der Selbſtändigkeit der Theile auf Grundlage der Idee der (polizeilichen) Staats- verwaltung mit der Polizeiwiſſenſchaft des vorigen Jahrhunderts, fortgeſetzt in der heutigen. Die poſitiven Beſtimmungen in den Lehrbüchern des Staatsrechts jedoch höchſt ungleichmäßig behandelt, und nicht als Einheit aufgefaßt, ſondern jeder Theil für ſich dargeſtellt. Das beſte Material in Schmid, Encyclopädie. 3) Principien des Organismus des Bildungsweſens. Der Organismus des Bildungsweſens enthält formell die Organe und ihre Competenz, durch welche die Gemeinſchaft ihre Thätigkeit für das Bildungsweſen ausübt. Es liegt in der Natur der Geſchichte des letzteren, daß dieſer Or- ganismus in den verſchiedenen Zeiten ein ſehr verſchiedener war, und daß jedes Land ſich ſeine Geſtalt deſſelben ſelbſtändig herausbildete. Dennoch iſt in ganz Europa ein durchgreifender Grundzug unverkenn- bar; und dieſer beruht wieder auf dem Weſen der drei Gebiete der Bildung, ihrem beſonderen Inhalt und ihrer ſchließlichen organiſchen Einheit. Man muß denſelben aber kennen, um unſre Gegenwart zu beurtheilen. Während in der Geſchlechterordnung noch gar kein Organ für das Bildungsweſen exiſtirt, und in der Ständeordnung die Körperſchaften allein die Verwaltung deſſelben haben, tritt mit dem polizeilichen Staat des achtzehnten Jahrhunderts zuerſt der Gedanke einer einheitlichen Leitung der geſammten Bildung auf, die dann im neunzehnten Jahr-

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/138>, abgerufen am 26.04.2024.