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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Prüfung, und nur mit Genehmigung in einzelnen Fällen. -- Frankreich:
älteste Ordnung Livre des metiers von Boileau 1260 (1. Thl. Statut von
hundert Gewerben; 2. Thl. Ordnung der Wegeabgaben und Zölle; 3. Thl. die
gewerbliche Gerichtsbarkeit in Paris); 1467 L. XI.: militärische Errichtung der
Zünfte (61 bannieres). Erster Versuch einer Gewerbeordnung (Edikt von
1581 in ganz Frankreich); dann Einführung des Concessionswesens als System
der "Offices" gegen Abgaben; der tiers Etat von 1714 bittet schon um größere
Freiheit, jedoch vergeblich. Dann erste Gewerbefreiheit: Edikt Turgots von
1776 (droit au travail), Zurücknahme desselben, bis die Ass. constit. 1791
die volle Gewerbefreiheit unter völliger Beseitigung aller Zünfte einführt. Dar-
nach noch eine Reihe von Gesetzen über das innere und das polizeiliche Recht
der Gewerbe (s. unten). -- England hatte gar kein Zunftwesen in seinen
Städten, wohl aber eine Fortsetzung der alten Gilden und eine Reihe meist
unwichtiger polizeilicher Bestimmungen (Kleinschrod, Engl. Gewerbegesetz-
gebung; Gneist, Engl. Verwaltungsrecht I. §. 38; Princip des Rechts: System
von Popularklagen, s. unten).

System des Gewerberechts.

Geht man nun davon aus, daß die Gewerbefreiheit das allein
richtige Princip für das öffentliche Recht der Gewerbe ist, so erscheint
das System des Gewerberechts als die Gesammtheit von denjenigen
öffentlich rechtlichen Grundsätzen, welche die öffentlichen Interessen gegen-
über dieser Freiheit zur Geltung bringen, während das Gewerberecht,
insofern es nur noch diese Freiheit herstellt, fast allenthalben als eine
bloß historische Thatsache angesehen werden muß.

Dieses System hat auch hier die drei Gebiete der Organisation
des allgemeinen und des besonderen Theiles der Gewerbever-
waltung.

Bei der Behandlung dieses Gegenstandes muß man sich vor allem hüten,
die "Gewerbeordnungen" zum Grunde zu legen. Sie sind selbst mit ihrem
ganzen Inhalt nur ein Theil und eine Consequenz des Princips des Gewerbe-
wesens. Eben so sollte alles noch bestehende Recht der Unfreiheit der Gewerbe
aus dem System der Verwaltung des Gewerbewesens beseitigt, und in die
Geschichte verwiesen werden.

a) Organisation des Gewerbewesens.

Die Organisation des Gewerbewesens hat die drei Grundformen
aller Verwaltung.

Die amtliche Organisation enthält das Recht und die Competenz
der Behörden, in die Gewerbepflege einzugreifen. Die Aufgaben sind
der Regel nach örtlicher Natur; so wie sie weiter greifen, umfassen sie
Handel, Industrie und Landwirthschaft zugleich. Je freier das Gewerbe,

Prüfung, und nur mit Genehmigung in einzelnen Fällen. — Frankreich:
älteſte Ordnung Livre des metiers von Boileau 1260 (1. Thl. Statut von
hundert Gewerben; 2. Thl. Ordnung der Wegeabgaben und Zölle; 3. Thl. die
gewerbliche Gerichtsbarkeit in Paris); 1467 L. XI.: militäriſche Errichtung der
Zünfte (61 bannières). Erſter Verſuch einer Gewerbeordnung (Edikt von
1581 in ganz Frankreich); dann Einführung des Conceſſionsweſens als Syſtem
der „Offices“ gegen Abgaben; der tiers Etat von 1714 bittet ſchon um größere
Freiheit, jedoch vergeblich. Dann erſte Gewerbefreiheit: Edikt Turgots von
1776 (droit au travail), Zurücknahme deſſelben, bis die Ass. constit. 1791
die volle Gewerbefreiheit unter völliger Beſeitigung aller Zünfte einführt. Dar-
nach noch eine Reihe von Geſetzen über das innere und das polizeiliche Recht
der Gewerbe (ſ. unten). — England hatte gar kein Zunftweſen in ſeinen
Städten, wohl aber eine Fortſetzung der alten Gilden und eine Reihe meiſt
unwichtiger polizeilicher Beſtimmungen (Kleinſchrod, Engl. Gewerbegeſetz-
gebung; Gneiſt, Engl. Verwaltungsrecht I. §. 38; Princip des Rechts: Syſtem
von Popularklagen, ſ. unten).

Syſtem des Gewerberechts.

Geht man nun davon aus, daß die Gewerbefreiheit das allein
richtige Princip für das öffentliche Recht der Gewerbe iſt, ſo erſcheint
das Syſtem des Gewerberechts als die Geſammtheit von denjenigen
öffentlich rechtlichen Grundſätzen, welche die öffentlichen Intereſſen gegen-
über dieſer Freiheit zur Geltung bringen, während das Gewerberecht,
inſofern es nur noch dieſe Freiheit herſtellt, faſt allenthalben als eine
bloß hiſtoriſche Thatſache angeſehen werden muß.

Dieſes Syſtem hat auch hier die drei Gebiete der Organiſation
des allgemeinen und des beſonderen Theiles der Gewerbever-
waltung.

Bei der Behandlung dieſes Gegenſtandes muß man ſich vor allem hüten,
die „Gewerbeordnungen“ zum Grunde zu legen. Sie ſind ſelbſt mit ihrem
ganzen Inhalt nur ein Theil und eine Conſequenz des Princips des Gewerbe-
weſens. Eben ſo ſollte alles noch beſtehende Recht der Unfreiheit der Gewerbe
aus dem Syſtem der Verwaltung des Gewerbeweſens beſeitigt, und in die
Geſchichte verwieſen werden.

a) Organiſation des Gewerbeweſens.

Die Organiſation des Gewerbeweſens hat die drei Grundformen
aller Verwaltung.

Die amtliche Organiſation enthält das Recht und die Competenz
der Behörden, in die Gewerbepflege einzugreifen. Die Aufgaben ſind
der Regel nach örtlicher Natur; ſo wie ſie weiter greifen, umfaſſen ſie
Handel, Induſtrie und Landwirthſchaft zugleich. Je freier das Gewerbe,

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[344/0368] Prüfung, und nur mit Genehmigung in einzelnen Fällen. — Frankreich: älteſte Ordnung Livre des metiers von Boileau 1260 (1. Thl. Statut von hundert Gewerben; 2. Thl. Ordnung der Wegeabgaben und Zölle; 3. Thl. die gewerbliche Gerichtsbarkeit in Paris); 1467 L. XI.: militäriſche Errichtung der Zünfte (61 bannières). Erſter Verſuch einer Gewerbeordnung (Edikt von 1581 in ganz Frankreich); dann Einführung des Conceſſionsweſens als Syſtem der „Offices“ gegen Abgaben; der tiers Etat von 1714 bittet ſchon um größere Freiheit, jedoch vergeblich. Dann erſte Gewerbefreiheit: Edikt Turgots von 1776 (droit au travail), Zurücknahme deſſelben, bis die Ass. constit. 1791 die volle Gewerbefreiheit unter völliger Beſeitigung aller Zünfte einführt. Dar- nach noch eine Reihe von Geſetzen über das innere und das polizeiliche Recht der Gewerbe (ſ. unten). — England hatte gar kein Zunftweſen in ſeinen Städten, wohl aber eine Fortſetzung der alten Gilden und eine Reihe meiſt unwichtiger polizeilicher Beſtimmungen (Kleinſchrod, Engl. Gewerbegeſetz- gebung; Gneiſt, Engl. Verwaltungsrecht I. §. 38; Princip des Rechts: Syſtem von Popularklagen, ſ. unten). Syſtem des Gewerberechts. Geht man nun davon aus, daß die Gewerbefreiheit das allein richtige Princip für das öffentliche Recht der Gewerbe iſt, ſo erſcheint das Syſtem des Gewerberechts als die Geſammtheit von denjenigen öffentlich rechtlichen Grundſätzen, welche die öffentlichen Intereſſen gegen- über dieſer Freiheit zur Geltung bringen, während das Gewerberecht, inſofern es nur noch dieſe Freiheit herſtellt, faſt allenthalben als eine bloß hiſtoriſche Thatſache angeſehen werden muß. Dieſes Syſtem hat auch hier die drei Gebiete der Organiſation des allgemeinen und des beſonderen Theiles der Gewerbever- waltung. Bei der Behandlung dieſes Gegenſtandes muß man ſich vor allem hüten, die „Gewerbeordnungen“ zum Grunde zu legen. Sie ſind ſelbſt mit ihrem ganzen Inhalt nur ein Theil und eine Conſequenz des Princips des Gewerbe- weſens. Eben ſo ſollte alles noch beſtehende Recht der Unfreiheit der Gewerbe aus dem Syſtem der Verwaltung des Gewerbeweſens beſeitigt, und in die Geſchichte verwieſen werden. a) Organiſation des Gewerbeweſens. Die Organiſation des Gewerbeweſens hat die drei Grundformen aller Verwaltung. Die amtliche Organiſation enthält das Recht und die Competenz der Behörden, in die Gewerbepflege einzugreifen. Die Aufgaben ſind der Regel nach örtlicher Natur; ſo wie ſie weiter greifen, umfaſſen ſie Handel, Induſtrie und Landwirthſchaft zugleich. Je freier das Gewerbe,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/368>, abgerufen am 26.04.2024.