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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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berechtigt und bestimmt, thätig zu sein, jeder nach seiner Natur und
seiner Stellung. Die Gesammtheit aller dieser Thätigkeiten aber fassen
wir nun zusammen, indem wir die innere Verwaltung als den für
die höchste Entwicklung jedes Einzelnen arbeitenden organischen Staat
bezeichnen.

Die Gränze dieser Arbeit des Staates ergibt nun das Princip
der inneren Verwaltung, das im inneren Verwaltungsrecht seine
feste Gestalt empfängt, in der Geschichte der Elemente seine Entwicklung
zeigt, in der Vergleichung das Leben Europa's umfaßt, und im
Systeme sich zu einem organischen Ganzen entwickelt.

Das Princip der inneren Verwaltung.

Das Princip der inneren Verwaltung beruht darauf, daß auch in
der Gemeinschaft jeder Einzelne eine selbständige Persönlichkeit bleibt.
Es folgt, daß nur dasjenige für sie eine wahre Entwicklung enthält, was
sie sich selbst durch eigene Thätigkeit gewannen. Die Gränze für die
Aufgabe des Staates in seiner inneren Verwaltung ist mithin dadurch
gegeben, daß die Gemeinschaft dem Einzelnen nie darbieten darf, was
er durch eigene Kraft sich erwerben kann; nicht die persönliche Ent-
wickelung, geistige, physische, wirthschaftliche oder sociale, sondern nur
die Bedingungen derselben soll die Verwaltung geben. Jede Ver-
waltung, die mehr gibt, verdirbt den Fortschritt des Volks; jede, die
weniger gibt, hindert denselben. Das höchste Verständniß aller inneren
Verwaltung besteht darin, das richtige Maß zunächst an sich, dann in
der Wirklichkeit den gegebenen und wechselnden Verhältnissen entsprechend,
zu finden und festzuhalten. Und das ist keineswegs eine leichte Aufgabe.

Thut sie das aber, so erzeugt sie das höchste Gut, die wirkliche
Freiheit. Die Freiheit der Verfassung besteht in dem Recht der Ange-
hörigen des Staates, an seinem Willen Theil zu nehmen; die Freiheit
der Vollziehung in ihrem Rechte, in Selbstverwaltung und Verein an
der vollziehenden Gewalt mitzuarbeiten; die wirkliche Freiheit aber be-
steht in dem Besitz der Bedingungen der individuellen Selbständigkeit.
Für diese aber sorgt die innere Verwaltung; sie ist das wahre Lebens-
princip derselben. Und so wird die innere Verwaltung die Arbeit des
Staats für die höchsten Bedingungen der persönlichen Freiheit. Es ist
ein hoher Grad von Verständniß des Gesammtlebens erforderlich, um
dieß zu bethätigen. Die Geschichte hat Jahrtausende gebraucht, um
jenes absolute Gesetz zum Ausdruck zu bringen. Wir sind in dem
Beginn der Epoche, wo die Staaten dieß erkennen; wir sind im Ueber-
gange von der Zeit der verfassungsmäßigen zur persönlichen Freiheit,

berechtigt und beſtimmt, thätig zu ſein, jeder nach ſeiner Natur und
ſeiner Stellung. Die Geſammtheit aller dieſer Thätigkeiten aber faſſen
wir nun zuſammen, indem wir die innere Verwaltung als den für
die höchſte Entwicklung jedes Einzelnen arbeitenden organiſchen Staat
bezeichnen.

Die Gränze dieſer Arbeit des Staates ergibt nun das Princip
der inneren Verwaltung, das im inneren Verwaltungsrecht ſeine
feſte Geſtalt empfängt, in der Geſchichte der Elemente ſeine Entwicklung
zeigt, in der Vergleichung das Leben Europa’s umfaßt, und im
Syſteme ſich zu einem organiſchen Ganzen entwickelt.

Das Princip der inneren Verwaltung.

Das Princip der inneren Verwaltung beruht darauf, daß auch in
der Gemeinſchaft jeder Einzelne eine ſelbſtändige Perſönlichkeit bleibt.
Es folgt, daß nur dasjenige für ſie eine wahre Entwicklung enthält, was
ſie ſich ſelbſt durch eigene Thätigkeit gewannen. Die Gränze für die
Aufgabe des Staates in ſeiner inneren Verwaltung iſt mithin dadurch
gegeben, daß die Gemeinſchaft dem Einzelnen nie darbieten darf, was
er durch eigene Kraft ſich erwerben kann; nicht die perſönliche Ent-
wickelung, geiſtige, phyſiſche, wirthſchaftliche oder ſociale, ſondern nur
die Bedingungen derſelben ſoll die Verwaltung geben. Jede Ver-
waltung, die mehr gibt, verdirbt den Fortſchritt des Volks; jede, die
weniger gibt, hindert denſelben. Das höchſte Verſtändniß aller inneren
Verwaltung beſteht darin, das richtige Maß zunächſt an ſich, dann in
der Wirklichkeit den gegebenen und wechſelnden Verhältniſſen entſprechend,
zu finden und feſtzuhalten. Und das iſt keineswegs eine leichte Aufgabe.

Thut ſie das aber, ſo erzeugt ſie das höchſte Gut, die wirkliche
Freiheit. Die Freiheit der Verfaſſung beſteht in dem Recht der Ange-
hörigen des Staates, an ſeinem Willen Theil zu nehmen; die Freiheit
der Vollziehung in ihrem Rechte, in Selbſtverwaltung und Verein an
der vollziehenden Gewalt mitzuarbeiten; die wirkliche Freiheit aber be-
ſteht in dem Beſitz der Bedingungen der individuellen Selbſtändigkeit.
Für dieſe aber ſorgt die innere Verwaltung; ſie iſt das wahre Lebens-
princip derſelben. Und ſo wird die innere Verwaltung die Arbeit des
Staats für die höchſten Bedingungen der perſönlichen Freiheit. Es iſt
ein hoher Grad von Verſtändniß des Geſammtlebens erforderlich, um
dieß zu bethätigen. Die Geſchichte hat Jahrtauſende gebraucht, um
jenes abſolute Geſetz zum Ausdruck zu bringen. Wir ſind in dem
Beginn der Epoche, wo die Staaten dieß erkennen; wir ſind im Ueber-
gange von der Zeit der verfaſſungsmäßigen zur perſönlichen Freiheit,

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[44/0068] berechtigt und beſtimmt, thätig zu ſein, jeder nach ſeiner Natur und ſeiner Stellung. Die Geſammtheit aller dieſer Thätigkeiten aber faſſen wir nun zuſammen, indem wir die innere Verwaltung als den für die höchſte Entwicklung jedes Einzelnen arbeitenden organiſchen Staat bezeichnen. Die Gränze dieſer Arbeit des Staates ergibt nun das Princip der inneren Verwaltung, das im inneren Verwaltungsrecht ſeine feſte Geſtalt empfängt, in der Geſchichte der Elemente ſeine Entwicklung zeigt, in der Vergleichung das Leben Europa’s umfaßt, und im Syſteme ſich zu einem organiſchen Ganzen entwickelt. Das Princip der inneren Verwaltung. Das Princip der inneren Verwaltung beruht darauf, daß auch in der Gemeinſchaft jeder Einzelne eine ſelbſtändige Perſönlichkeit bleibt. Es folgt, daß nur dasjenige für ſie eine wahre Entwicklung enthält, was ſie ſich ſelbſt durch eigene Thätigkeit gewannen. Die Gränze für die Aufgabe des Staates in ſeiner inneren Verwaltung iſt mithin dadurch gegeben, daß die Gemeinſchaft dem Einzelnen nie darbieten darf, was er durch eigene Kraft ſich erwerben kann; nicht die perſönliche Ent- wickelung, geiſtige, phyſiſche, wirthſchaftliche oder ſociale, ſondern nur die Bedingungen derſelben ſoll die Verwaltung geben. Jede Ver- waltung, die mehr gibt, verdirbt den Fortſchritt des Volks; jede, die weniger gibt, hindert denſelben. Das höchſte Verſtändniß aller inneren Verwaltung beſteht darin, das richtige Maß zunächſt an ſich, dann in der Wirklichkeit den gegebenen und wechſelnden Verhältniſſen entſprechend, zu finden und feſtzuhalten. Und das iſt keineswegs eine leichte Aufgabe. Thut ſie das aber, ſo erzeugt ſie das höchſte Gut, die wirkliche Freiheit. Die Freiheit der Verfaſſung beſteht in dem Recht der Ange- hörigen des Staates, an ſeinem Willen Theil zu nehmen; die Freiheit der Vollziehung in ihrem Rechte, in Selbſtverwaltung und Verein an der vollziehenden Gewalt mitzuarbeiten; die wirkliche Freiheit aber be- ſteht in dem Beſitz der Bedingungen der individuellen Selbſtändigkeit. Für dieſe aber ſorgt die innere Verwaltung; ſie iſt das wahre Lebens- princip derſelben. Und ſo wird die innere Verwaltung die Arbeit des Staats für die höchſten Bedingungen der perſönlichen Freiheit. Es iſt ein hoher Grad von Verſtändniß des Geſammtlebens erforderlich, um dieß zu bethätigen. Die Geſchichte hat Jahrtauſende gebraucht, um jenes abſolute Geſetz zum Ausdruck zu bringen. Wir ſind in dem Beginn der Epoche, wo die Staaten dieß erkennen; wir ſind im Ueber- gange von der Zeit der verfaſſungsmäßigen zur perſönlichen Freiheit,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/68>, abgerufen am 26.04.2024.