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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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des Geistes. Sie ist daher eine gewaltige Macht; denn sie ist die
Macht des Werdenden und Zukünftigen über das Gegenwärtige.

Eben darum entwickelt sie sich mit der höheren Gesittung, und
nimmt alle Formen an, in denen die geistige Arbeit zu dem geistig
Arbeitenden redet. Diese Formen entstehen mit ihr, dasselbe und doch
verschieden. Sie sind das Buch, die Zeitschrift, die Flugschrift
und die Tagespresse, an welche sich die Zeichnung anschließt.
Jede dieser Formen wirkt in ihrer Weise; keine vermag die andere ganz
zu ersetzen. Aber eben deßhalb haben sie auch auf Grundlage des ge-
meinsam für sie geltenden Princips ein besonderes Recht, das jedoch
erst mit der Entwicklung der Tagespresse seine feste Gestalt empfängt.

Das Recht nun geht einerseits aus dem Wesen der Presse an sich
hervor, andererseits aus der Natur der gesellschaftlichen und staatlichen
Zustände, in denen sie thätig ist.

Die Presse nämlich erscheint stets zuerst als eine große und zu-
gleich unbestimmte Gewalt eines Einzelnen über Alle, und damit als
eine öffentliche Gefahr. Diese Gefahr verschwindet, wo die Ueber-
zeugungen Aller über Staat und Gesellschaft in der Hauptsache fest-
stehen; sie wächst in dem Grade, in welchem die Elemente beider in
Gegensatz treten. Die Presse aber ist zweitens ein Mittel, um durch
sie Verbrechen zu versuchen, oder geradezu zu begehen. Aus dem ersten
Verhältniß geht die Preßpolizei hervor, aus dem zweiten das Preß-
strafrecht
.

Es hat nun Jahrhunderte gedauert, bis man sich über das Ver-
halten beider zu einander klar geworden ist, wie man erst nach Jahr-
hunderten über Polizei und Strafrecht überhaupt klar ward. Denn das
Preßrecht hat bis auf die neueste Zeit den Standpunkt festgehalten,
daß das Gefährliche strafbar sei. Dieser Gedanke beruhte aller-
dings auf der Thatsache, daß die Presse der mächtigste Hebel für jede
neue Gesellschafts- und Rechtsbildung und damit an und für sich
ein Gegner des Bestehenden wird. Aus dieser Auffassung sind die großen
Grundformen des Preßrechts hervorgegangen.

Die erste nennen wir das Prohibitivsystem. Sein Princip
ist, die Gefahren der Presse durch die Erlaubniß der Veröffent-
lichung
zu beseitigen. Seine beiden Consequenzen sind, daß jede
nicht erlaubte Veröffentlichung an und für sich ein Vergehen enthalte,
während die erlaubte gegen kein Recht verstoßen konnte. Der Name
dieses Systems ist die Censur. Ihr Organ ist in der ständischen
Epoche die Corporation, in der polizeilichen die Censurbehörde. Ihr
Erfolg war von jeher, den Umfang der Wirksamkeit der Presse aller-
dings zu vermindern, die Intensivität derselben aber zu erhöhen. Als die

des Geiſtes. Sie iſt daher eine gewaltige Macht; denn ſie iſt die
Macht des Werdenden und Zukünftigen über das Gegenwärtige.

Eben darum entwickelt ſie ſich mit der höheren Geſittung, und
nimmt alle Formen an, in denen die geiſtige Arbeit zu dem geiſtig
Arbeitenden redet. Dieſe Formen entſtehen mit ihr, daſſelbe und doch
verſchieden. Sie ſind das Buch, die Zeitſchrift, die Flugſchrift
und die Tagespreſſe, an welche ſich die Zeichnung anſchließt.
Jede dieſer Formen wirkt in ihrer Weiſe; keine vermag die andere ganz
zu erſetzen. Aber eben deßhalb haben ſie auch auf Grundlage des ge-
meinſam für ſie geltenden Princips ein beſonderes Recht, das jedoch
erſt mit der Entwicklung der Tagespreſſe ſeine feſte Geſtalt empfängt.

Das Recht nun geht einerſeits aus dem Weſen der Preſſe an ſich
hervor, andererſeits aus der Natur der geſellſchaftlichen und ſtaatlichen
Zuſtände, in denen ſie thätig iſt.

Die Preſſe nämlich erſcheint ſtets zuerſt als eine große und zu-
gleich unbeſtimmte Gewalt eines Einzelnen über Alle, und damit als
eine öffentliche Gefahr. Dieſe Gefahr verſchwindet, wo die Ueber-
zeugungen Aller über Staat und Geſellſchaft in der Hauptſache feſt-
ſtehen; ſie wächst in dem Grade, in welchem die Elemente beider in
Gegenſatz treten. Die Preſſe aber iſt zweitens ein Mittel, um durch
ſie Verbrechen zu verſuchen, oder geradezu zu begehen. Aus dem erſten
Verhältniß geht die Preßpolizei hervor, aus dem zweiten das Preß-
ſtrafrecht
.

Es hat nun Jahrhunderte gedauert, bis man ſich über das Ver-
halten beider zu einander klar geworden iſt, wie man erſt nach Jahr-
hunderten über Polizei und Strafrecht überhaupt klar ward. Denn das
Preßrecht hat bis auf die neueſte Zeit den Standpunkt feſtgehalten,
daß das Gefährliche ſtrafbar ſei. Dieſer Gedanke beruhte aller-
dings auf der Thatſache, daß die Preſſe der mächtigſte Hebel für jede
neue Geſellſchafts- und Rechtsbildung und damit an und für ſich
ein Gegner des Beſtehenden wird. Aus dieſer Auffaſſung ſind die großen
Grundformen des Preßrechts hervorgegangen.

Die erſte nennen wir das Prohibitivſyſtem. Sein Princip
iſt, die Gefahren der Preſſe durch die Erlaubniß der Veröffent-
lichung
zu beſeitigen. Seine beiden Conſequenzen ſind, daß jede
nicht erlaubte Veröffentlichung an und für ſich ein Vergehen enthalte,
während die erlaubte gegen kein Recht verſtoßen konnte. Der Name
dieſes Syſtems iſt die Cenſur. Ihr Organ iſt in der ſtändiſchen
Epoche die Corporation, in der polizeilichen die Cenſurbehörde. Ihr
Erfolg war von jeher, den Umfang der Wirkſamkeit der Preſſe aller-
dings zu vermindern, die Intenſivität derſelben aber zu erhöhen. Als die

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[137/0161] des Geiſtes. Sie iſt daher eine gewaltige Macht; denn ſie iſt die Macht des Werdenden und Zukünftigen über das Gegenwärtige. Eben darum entwickelt ſie ſich mit der höheren Geſittung, und nimmt alle Formen an, in denen die geiſtige Arbeit zu dem geiſtig Arbeitenden redet. Dieſe Formen entſtehen mit ihr, daſſelbe und doch verſchieden. Sie ſind das Buch, die Zeitſchrift, die Flugſchrift und die Tagespreſſe, an welche ſich die Zeichnung anſchließt. Jede dieſer Formen wirkt in ihrer Weiſe; keine vermag die andere ganz zu erſetzen. Aber eben deßhalb haben ſie auch auf Grundlage des ge- meinſam für ſie geltenden Princips ein beſonderes Recht, das jedoch erſt mit der Entwicklung der Tagespreſſe ſeine feſte Geſtalt empfängt. Das Recht nun geht einerſeits aus dem Weſen der Preſſe an ſich hervor, andererſeits aus der Natur der geſellſchaftlichen und ſtaatlichen Zuſtände, in denen ſie thätig iſt. Die Preſſe nämlich erſcheint ſtets zuerſt als eine große und zu- gleich unbeſtimmte Gewalt eines Einzelnen über Alle, und damit als eine öffentliche Gefahr. Dieſe Gefahr verſchwindet, wo die Ueber- zeugungen Aller über Staat und Geſellſchaft in der Hauptſache feſt- ſtehen; ſie wächst in dem Grade, in welchem die Elemente beider in Gegenſatz treten. Die Preſſe aber iſt zweitens ein Mittel, um durch ſie Verbrechen zu verſuchen, oder geradezu zu begehen. Aus dem erſten Verhältniß geht die Preßpolizei hervor, aus dem zweiten das Preß- ſtrafrecht. Es hat nun Jahrhunderte gedauert, bis man ſich über das Ver- halten beider zu einander klar geworden iſt, wie man erſt nach Jahr- hunderten über Polizei und Strafrecht überhaupt klar ward. Denn das Preßrecht hat bis auf die neueſte Zeit den Standpunkt feſtgehalten, daß das Gefährliche ſtrafbar ſei. Dieſer Gedanke beruhte aller- dings auf der Thatſache, daß die Preſſe der mächtigſte Hebel für jede neue Geſellſchafts- und Rechtsbildung und damit an und für ſich ein Gegner des Beſtehenden wird. Aus dieſer Auffaſſung ſind die großen Grundformen des Preßrechts hervorgegangen. Die erſte nennen wir das Prohibitivſyſtem. Sein Princip iſt, die Gefahren der Preſſe durch die Erlaubniß der Veröffent- lichung zu beſeitigen. Seine beiden Conſequenzen ſind, daß jede nicht erlaubte Veröffentlichung an und für ſich ein Vergehen enthalte, während die erlaubte gegen kein Recht verſtoßen konnte. Der Name dieſes Syſtems iſt die Cenſur. Ihr Organ iſt in der ſtändiſchen Epoche die Corporation, in der polizeilichen die Cenſurbehörde. Ihr Erfolg war von jeher, den Umfang der Wirkſamkeit der Preſſe aller- dings zu vermindern, die Intenſivität derſelben aber zu erhöhen. Als die

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/161>, abgerufen am 26.04.2024.