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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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Zuerst muß die Aufhebung des Eigenthums als nothwendige
Bedingung der öffentlichen Verkehrs- und Betriebsfreiheit von der Re-
gierung anerkannt werden. Die Formen, in denen dieß geschieht,
bilden das eigentliche Enteignungsverfahren. Dasselbe beginnt mit
der Genehmigung des Enteignungsplanes, als deren Voraussetzung je
nach Umständen die Genehmigung der Unternehmung selbst voraufgehen
muß, wie bei Eisenbahnen, und enthält die genaue Bezeichnung der
Objekte der Enteignung auf Grundlage der Erklärung, daß die Ent-
eignung selbst ein öffentliches Bedürfniß (cause d'utilite publique) sei.
Das Entschädigungsverfahren hat dann die Aufgabe, dem Ent-
eigneten den Werth des enteigneten Gutes zu bestimmen und zurück-
zugeben. Dasselbe beginnt mit der Schätzung, welche gleich nach der
Genehmigung eintreten kann; wenn auf diese Weise die letztere das
Objekt und die erstere den Werth der Enteignung festgestellt hat, so
tritt der Enteignungsspruch ein, der auf Grundlage beider den
rechtlichen Uebergang des Eigenthums und die Zahlungspflicht ausspricht
und den immer das Gericht erlassen sollte; hier herrscht namentlich
in der deutschen Gesetzgebung noch viel Unklarheit. Den Schluß bildet
dann die Einweisung in den Besitz, bedingt durch die wirkliche Aus-
zahlung
, für welche nicht das privatrechtliche Zahlungsrecht, sondern
das behördliche Auszahlungsverfahren eintritt und haftet.

Ueber die Anklänge im Röm. Recht sehr gut G. Meyer, Recht der Ex-
propriation 1868. Früheres deutsches Recht: Stein S. 301--303. (Verhält-
niß zum Dominium und Jus eminens.) Zusammenfassung dieser Anfänge in
der französischen Decl. des droits art. 17. Von da übergegangen in der
Form eines allgemeinen Grundsatzes in die neuesten deutschen Verfassungen
(Stein S. 314). Die eigentliche Entwicklung aber findet die Enteignung erst
durch das Eisenbahnwesen; daraus geht zunächst das französische Expro-
priationsgesetz von 1841 hervor, das der übrigen europäischen Gesetzgebung
zum Grunde liegt (Stein S. 312, 313). Deutschland gelangt zu einer
eigenen und selbständigen Gesetzgebung nicht; bis auf die letzte Zeit vielfache
Verwechslung mit dem Nothverordnungs- und Staatsnothrecht (Bischof in
Linde's Archiv III. 3). Die Anwendung auf Eisenbahnwesen am besten bei Koch,
Deutschlands Eisenbahnen I. S. 8--133. Eigene Literatur im Grunde ganz
neu: Thiel, das Expropriationsrecht und Expropriationsverfahren 1866 und
G. Meyer (s. oben). Einzelne Andeutungen ohne Entwicklung in den Ver-
waltungsrechten Stein S. 318, so wie einzelne Abhandlungen ebend. S. 317.
Wendt, Expropriationscodex (Nürnberg nur bis 1837). Das englische
Recht hat die Expropriation gleichfalls erst bei Gelegenheit der Bahnbauten
gesetzlich, und zwar in allem Wesentlichen nach den französischen Principien
geordnet in der Lands Clauses Act Vict. 18. (1845); Stein S. 309--312.

Zuerſt muß die Aufhebung des Eigenthums als nothwendige
Bedingung der öffentlichen Verkehrs- und Betriebsfreiheit von der Re-
gierung anerkannt werden. Die Formen, in denen dieß geſchieht,
bilden das eigentliche Enteignungsverfahren. Daſſelbe beginnt mit
der Genehmigung des Enteignungsplanes, als deren Vorausſetzung je
nach Umſtänden die Genehmigung der Unternehmung ſelbſt voraufgehen
muß, wie bei Eiſenbahnen, und enthält die genaue Bezeichnung der
Objekte der Enteignung auf Grundlage der Erklärung, daß die Ent-
eignung ſelbſt ein öffentliches Bedürfniß (cause d’utilité publique) ſei.
Das Entſchädigungsverfahren hat dann die Aufgabe, dem Ent-
eigneten den Werth des enteigneten Gutes zu beſtimmen und zurück-
zugeben. Daſſelbe beginnt mit der Schätzung, welche gleich nach der
Genehmigung eintreten kann; wenn auf dieſe Weiſe die letztere das
Objekt und die erſtere den Werth der Enteignung feſtgeſtellt hat, ſo
tritt der Enteignungsſpruch ein, der auf Grundlage beider den
rechtlichen Uebergang des Eigenthums und die Zahlungspflicht ausſpricht
und den immer das Gericht erlaſſen ſollte; hier herrſcht namentlich
in der deutſchen Geſetzgebung noch viel Unklarheit. Den Schluß bildet
dann die Einweiſung in den Beſitz, bedingt durch die wirkliche Aus-
zahlung
, für welche nicht das privatrechtliche Zahlungsrecht, ſondern
das behördliche Auszahlungsverfahren eintritt und haftet.

Ueber die Anklänge im Röm. Recht ſehr gut G. Meyer, Recht der Ex-
propriation 1868. Früheres deutſches Recht: Stein S. 301—303. (Verhält-
niß zum Dominium und Jus eminens.) Zuſammenfaſſung dieſer Anfänge in
der franzöſiſchen Decl. des droits art. 17. Von da übergegangen in der
Form eines allgemeinen Grundſatzes in die neueſten deutſchen Verfaſſungen
(Stein S. 314). Die eigentliche Entwicklung aber findet die Enteignung erſt
durch das Eiſenbahnweſen; daraus geht zunächſt das franzöſiſche Expro-
priationsgeſetz von 1841 hervor, das der übrigen europäiſchen Geſetzgebung
zum Grunde liegt (Stein S. 312, 313). Deutſchland gelangt zu einer
eigenen und ſelbſtändigen Geſetzgebung nicht; bis auf die letzte Zeit vielfache
Verwechslung mit dem Nothverordnungs- und Staatsnothrecht (Biſchof in
Linde’s Archiv III. 3). Die Anwendung auf Eiſenbahnweſen am beſten bei Koch,
Deutſchlands Eiſenbahnen I. S. 8—133. Eigene Literatur im Grunde ganz
neu: Thiel, das Expropriationsrecht und Expropriationsverfahren 1866 und
G. Meyer (ſ. oben). Einzelne Andeutungen ohne Entwicklung in den Ver-
waltungsrechten Stein S. 318, ſo wie einzelne Abhandlungen ebend. S. 317.
Wendt, Expropriationscodex (Nürnberg nur bis 1837). Das engliſche
Recht hat die Expropriation gleichfalls erſt bei Gelegenheit der Bahnbauten
geſetzlich, und zwar in allem Weſentlichen nach den franzöſiſchen Principien
geordnet in der Lands Clauses Act Vict. 18. (1845); Stein S. 309—312.

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[149/0173] Zuerſt muß die Aufhebung des Eigenthums als nothwendige Bedingung der öffentlichen Verkehrs- und Betriebsfreiheit von der Re- gierung anerkannt werden. Die Formen, in denen dieß geſchieht, bilden das eigentliche Enteignungsverfahren. Daſſelbe beginnt mit der Genehmigung des Enteignungsplanes, als deren Vorausſetzung je nach Umſtänden die Genehmigung der Unternehmung ſelbſt voraufgehen muß, wie bei Eiſenbahnen, und enthält die genaue Bezeichnung der Objekte der Enteignung auf Grundlage der Erklärung, daß die Ent- eignung ſelbſt ein öffentliches Bedürfniß (cause d’utilité publique) ſei. Das Entſchädigungsverfahren hat dann die Aufgabe, dem Ent- eigneten den Werth des enteigneten Gutes zu beſtimmen und zurück- zugeben. Daſſelbe beginnt mit der Schätzung, welche gleich nach der Genehmigung eintreten kann; wenn auf dieſe Weiſe die letztere das Objekt und die erſtere den Werth der Enteignung feſtgeſtellt hat, ſo tritt der Enteignungsſpruch ein, der auf Grundlage beider den rechtlichen Uebergang des Eigenthums und die Zahlungspflicht ausſpricht und den immer das Gericht erlaſſen ſollte; hier herrſcht namentlich in der deutſchen Geſetzgebung noch viel Unklarheit. Den Schluß bildet dann die Einweiſung in den Beſitz, bedingt durch die wirkliche Aus- zahlung, für welche nicht das privatrechtliche Zahlungsrecht, ſondern das behördliche Auszahlungsverfahren eintritt und haftet. Ueber die Anklänge im Röm. Recht ſehr gut G. Meyer, Recht der Ex- propriation 1868. Früheres deutſches Recht: Stein S. 301—303. (Verhält- niß zum Dominium und Jus eminens.) Zuſammenfaſſung dieſer Anfänge in der franzöſiſchen Decl. des droits art. 17. Von da übergegangen in der Form eines allgemeinen Grundſatzes in die neueſten deutſchen Verfaſſungen (Stein S. 314). Die eigentliche Entwicklung aber findet die Enteignung erſt durch das Eiſenbahnweſen; daraus geht zunächſt das franzöſiſche Expro- priationsgeſetz von 1841 hervor, das der übrigen europäiſchen Geſetzgebung zum Grunde liegt (Stein S. 312, 313). Deutſchland gelangt zu einer eigenen und ſelbſtändigen Geſetzgebung nicht; bis auf die letzte Zeit vielfache Verwechslung mit dem Nothverordnungs- und Staatsnothrecht (Biſchof in Linde’s Archiv III. 3). Die Anwendung auf Eiſenbahnweſen am beſten bei Koch, Deutſchlands Eiſenbahnen I. S. 8—133. Eigene Literatur im Grunde ganz neu: Thiel, das Expropriationsrecht und Expropriationsverfahren 1866 und G. Meyer (ſ. oben). Einzelne Andeutungen ohne Entwicklung in den Ver- waltungsrechten Stein S. 318, ſo wie einzelne Abhandlungen ebend. S. 317. Wendt, Expropriationscodex (Nürnberg nur bis 1837). Das engliſche Recht hat die Expropriation gleichfalls erſt bei Gelegenheit der Bahnbauten geſetzlich, und zwar in allem Weſentlichen nach den franzöſiſchen Principien geordnet in der Lands Clauses Act Vict. 18. (1845); Stein S. 309—312.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/173>, abgerufen am 26.04.2024.