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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Dritte Abtheilung.
Das Polizeirecht. (Das Zwangsrecht.)
I. Begriff und Natur des Zwangsrechts.

Die dritte Form der Regierungsgewalt ist die Polizeigewalt. Wir
haben sie bezeichnet als diejenige Gewalt, vermöge deren die einzelne
Persönlichkeit gezwungen ist, dem Willen des Staats sich im einzelnen
Falle gemäß zu verhalten. Die Polizei erscheint daher in ihren einzelnen
Thätigkeiten als Zwang gegen den Einzelnen. Der Zwang ist aber
ein äußerliches Bestimmen der Sphäre einer persönlichen Selbständigkeit.
Er tritt daher in Gegensatz zur freien Selbstbestimmung, und dieß Ver-
hältniß, als ein auf den höheren organischen Gründen des Gesammt-
lebens beruhendes, erscheint als ein Recht der Regierungsgewalt; dieß
Recht ist das Zwangsrecht.

Es ist nun durchaus nicht nothwendig, ein eigenes Organ für die
Ausübung der Polizeigewalt, Polizeiministerium oder Polizeidiener zu
denken, um zum Begriffe der Polizeigewalt und des Polizeirechts zu
gelangen. Jedes Organ der Regierung hat eine gewisse Polizeigewalt
und ein gewisses Zwangsrecht. Um so nothwendiger ist es, das letztere
als einen wesentlichen Theil der vollziehenden Gewalt überhaupt seinem
allgemeinen Inhalt nach zu bestimmen.

Der Zwang ist zunächst ein Akt, der äußerlich in das Leben des
Einzelnen eingreift. Er erscheint daher auf den ersten Blick als die
einfache und rohe Negation des Rechts. Es ist deßhalb ferner natürlich,
daß man ihn nicht bloß fürchtet, sondern auch geneigt ist, in ihm den
Gegner der freien Selbstbestimmung überhaupt zu sehen. Die Polizei
als Trägerin des Zwangsrechts ist daher, namentlich in den unent-
wickelten und unklaren Zuständen des deutschen öffentlichen Rechts, fast
immer als Feind der öffentlichen Freiheit erschienen. Der historische
Grund dafür ist leicht erkennbar. In der Zeit, wo es keine verfassungs-
mäßige Gesetzgebung gab, sondern gesetzgebende und vollziehende Gewalt
in Einem individuellen Willen vereint waren, mußte jedes Recht dem
einfachen Akte der vollziehenden Gewalt sich unterwerfen, womit der
Wille derselben eben durch jene Verschmelzung zugleich Gesetz und Recht
war. Es genügte daher für jede Gewalt und jeden Zwang, nachzu-
weisen, daß sie im Namen der Staatsgewalt auftraten, um vollkommen
berechtigt zu sein, jedes Rechtsverhältniß zu vernichten. Die Polizei-
gewalt erschien daher nicht bloß als über jedes gesetzliche Recht erhaben
und ohne innere und äußere Gränzen, sondern sie war es auch rechtlich

Dritte Abtheilung.
Das Polizeirecht. (Das Zwangsrecht.)
I. Begriff und Natur des Zwangsrechts.

Die dritte Form der Regierungsgewalt iſt die Polizeigewalt. Wir
haben ſie bezeichnet als diejenige Gewalt, vermöge deren die einzelne
Perſönlichkeit gezwungen iſt, dem Willen des Staats ſich im einzelnen
Falle gemäß zu verhalten. Die Polizei erſcheint daher in ihren einzelnen
Thätigkeiten als Zwang gegen den Einzelnen. Der Zwang iſt aber
ein äußerliches Beſtimmen der Sphäre einer perſönlichen Selbſtändigkeit.
Er tritt daher in Gegenſatz zur freien Selbſtbeſtimmung, und dieß Ver-
hältniß, als ein auf den höheren organiſchen Gründen des Geſammt-
lebens beruhendes, erſcheint als ein Recht der Regierungsgewalt; dieß
Recht iſt das Zwangsrecht.

Es iſt nun durchaus nicht nothwendig, ein eigenes Organ für die
Ausübung der Polizeigewalt, Polizeiminiſterium oder Polizeidiener zu
denken, um zum Begriffe der Polizeigewalt und des Polizeirechts zu
gelangen. Jedes Organ der Regierung hat eine gewiſſe Polizeigewalt
und ein gewiſſes Zwangsrecht. Um ſo nothwendiger iſt es, das letztere
als einen weſentlichen Theil der vollziehenden Gewalt überhaupt ſeinem
allgemeinen Inhalt nach zu beſtimmen.

Der Zwang iſt zunächſt ein Akt, der äußerlich in das Leben des
Einzelnen eingreift. Er erſcheint daher auf den erſten Blick als die
einfache und rohe Negation des Rechts. Es iſt deßhalb ferner natürlich,
daß man ihn nicht bloß fürchtet, ſondern auch geneigt iſt, in ihm den
Gegner der freien Selbſtbeſtimmung überhaupt zu ſehen. Die Polizei
als Trägerin des Zwangsrechts iſt daher, namentlich in den unent-
wickelten und unklaren Zuſtänden des deutſchen öffentlichen Rechts, faſt
immer als Feind der öffentlichen Freiheit erſchienen. Der hiſtoriſche
Grund dafür iſt leicht erkennbar. In der Zeit, wo es keine verfaſſungs-
mäßige Geſetzgebung gab, ſondern geſetzgebende und vollziehende Gewalt
in Einem individuellen Willen vereint waren, mußte jedes Recht dem
einfachen Akte der vollziehenden Gewalt ſich unterwerfen, womit der
Wille derſelben eben durch jene Verſchmelzung zugleich Geſetz und Recht
war. Es genügte daher für jede Gewalt und jeden Zwang, nachzu-
weiſen, daß ſie im Namen der Staatsgewalt auftraten, um vollkommen
berechtigt zu ſein, jedes Rechtsverhältniß zu vernichten. Die Polizei-
gewalt erſchien daher nicht bloß als über jedes geſetzliche Recht erhaben
und ohne innere und äußere Gränzen, ſondern ſie war es auch rechtlich

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[196/0220] Dritte Abtheilung. Das Polizeirecht. (Das Zwangsrecht.) I. Begriff und Natur des Zwangsrechts. Die dritte Form der Regierungsgewalt iſt die Polizeigewalt. Wir haben ſie bezeichnet als diejenige Gewalt, vermöge deren die einzelne Perſönlichkeit gezwungen iſt, dem Willen des Staats ſich im einzelnen Falle gemäß zu verhalten. Die Polizei erſcheint daher in ihren einzelnen Thätigkeiten als Zwang gegen den Einzelnen. Der Zwang iſt aber ein äußerliches Beſtimmen der Sphäre einer perſönlichen Selbſtändigkeit. Er tritt daher in Gegenſatz zur freien Selbſtbeſtimmung, und dieß Ver- hältniß, als ein auf den höheren organiſchen Gründen des Geſammt- lebens beruhendes, erſcheint als ein Recht der Regierungsgewalt; dieß Recht iſt das Zwangsrecht. Es iſt nun durchaus nicht nothwendig, ein eigenes Organ für die Ausübung der Polizeigewalt, Polizeiminiſterium oder Polizeidiener zu denken, um zum Begriffe der Polizeigewalt und des Polizeirechts zu gelangen. Jedes Organ der Regierung hat eine gewiſſe Polizeigewalt und ein gewiſſes Zwangsrecht. Um ſo nothwendiger iſt es, das letztere als einen weſentlichen Theil der vollziehenden Gewalt überhaupt ſeinem allgemeinen Inhalt nach zu beſtimmen. Der Zwang iſt zunächſt ein Akt, der äußerlich in das Leben des Einzelnen eingreift. Er erſcheint daher auf den erſten Blick als die einfache und rohe Negation des Rechts. Es iſt deßhalb ferner natürlich, daß man ihn nicht bloß fürchtet, ſondern auch geneigt iſt, in ihm den Gegner der freien Selbſtbeſtimmung überhaupt zu ſehen. Die Polizei als Trägerin des Zwangsrechts iſt daher, namentlich in den unent- wickelten und unklaren Zuſtänden des deutſchen öffentlichen Rechts, faſt immer als Feind der öffentlichen Freiheit erſchienen. Der hiſtoriſche Grund dafür iſt leicht erkennbar. In der Zeit, wo es keine verfaſſungs- mäßige Geſetzgebung gab, ſondern geſetzgebende und vollziehende Gewalt in Einem individuellen Willen vereint waren, mußte jedes Recht dem einfachen Akte der vollziehenden Gewalt ſich unterwerfen, womit der Wille derſelben eben durch jene Verſchmelzung zugleich Geſetz und Recht war. Es genügte daher für jede Gewalt und jeden Zwang, nachzu- weiſen, daß ſie im Namen der Staatsgewalt auftraten, um vollkommen berechtigt zu ſein, jedes Rechtsverhältniß zu vernichten. Die Polizei- gewalt erſchien daher nicht bloß als über jedes geſetzliche Recht erhaben und ohne innere und äußere Gränzen, ſondern ſie war es auch rechtlich

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/220>, abgerufen am 27.04.2024.