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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Werthe, sondern in ihren thatsächlichen Verhältnissen untersuchen, denn
in der That würde eine eingehende Statistik hier ganz neue Ordnungen
der Lebensverhältnisse klar machen.

Zuerst ist es gewiß, daß sich nicht bloß die Zahl, sondern auch
die Arten und die Eintheilungen der Behörden vermehren, je
dichter die Bevölkerung ist, während andererseits die Trennung der
Funktionen in demselben Grade wächst, in welchem die Zahl zunimmt.
Das Umgekehrte ist der Fall bei der Abnahme der Dichtigkeit der Be-
völkerung. Daher hat namentlich die große Frage nach der Trennung
der Justiz von der Administration die größte Schwierigkeit der Lösung
nicht so sehr in der Sache selbst, als vielmehr in dem Mangel dieser
Dichtigkeit der Bevölkerung; was an sich ganz richtig ist, kann durch
dieses Element so unzweckmäßig in der Ausführung werden, daß es
dadurch unrichtig wird. Man hat daher bei der Verschmelzung der
beiden Gebiete der Verwaltung wohl zu unterscheiden zwischen der-
jenigen, welche auf den Grundlagen der ständischen Ordnung, und
derjenigen, welche auf den Bedingungen einer billigen und guten Ver-
waltung beruht.

Zweitens empfängt das System der Behörden durch die Ver-
theilung jener Bevölkerung auch seine äußere Gestalt. Die Grundlage
bildet hier den Unterschied zwischen Stadt und Land. Die Stadt ist
im Sinne der Verwaltung vor allen Dingen die stärkste Anhäufung
der Bevölkerung und damit die Concentrirung aller ihrer Lebensver-
hältnisse auf einem bestimmten Punkte, der zugleich das ganze wirth-
schaftliche und geistige Leben des Landes von sich abhängig macht. Es
folgt daraus zuerst, daß in den herrschenden Städten die Mittelpunkte
des Verwaltungsorganismus sich festsetzen, und damit den Begriff der
Hauptstadt bilden, ein Begriff, der nur einen administrativen Sinn
hat. Dann erzeugt die Stadt an und für sich ganz andere allgemeine
Lebensverhältnisse wie das flache Land, und damit auch Verwaltungs-
aufgaben und Organe, welche das Land nicht fordert; ein Verhältniß,
auf welchem der wesentliche Unterschied zwischen Stadt- und Land-
gemeindeordnung beruht. Daher die Regel, daß in einem Lande über-
haupt die Verwaltung und ihr Organismus -- im weitesten Sinne
genommen -- in dem Grade mehr ausgebildet sind, in welchem das
städtische Leben mehr vorherrscht. Daraus ergibt sich drittens, daß
die Stadt die Heimath der Bildung des eigentlichen Verwaltungs-
rechts
und der administrativen Theorie ist; denn das städtische Leben
zwingt die Verwaltung, die unendliche Verschiedenheit der einzelnen
Lebensbeziehungen zu combiniren und allgemeine Grundsätze aufzu-
stellen, die sich dann allmählig zur Wissenschaft der Verwaltung

Werthe, ſondern in ihren thatſächlichen Verhältniſſen unterſuchen, denn
in der That würde eine eingehende Statiſtik hier ganz neue Ordnungen
der Lebensverhältniſſe klar machen.

Zuerſt iſt es gewiß, daß ſich nicht bloß die Zahl, ſondern auch
die Arten und die Eintheilungen der Behörden vermehren, je
dichter die Bevölkerung iſt, während andererſeits die Trennung der
Funktionen in demſelben Grade wächst, in welchem die Zahl zunimmt.
Das Umgekehrte iſt der Fall bei der Abnahme der Dichtigkeit der Be-
völkerung. Daher hat namentlich die große Frage nach der Trennung
der Juſtiz von der Adminiſtration die größte Schwierigkeit der Löſung
nicht ſo ſehr in der Sache ſelbſt, als vielmehr in dem Mangel dieſer
Dichtigkeit der Bevölkerung; was an ſich ganz richtig iſt, kann durch
dieſes Element ſo unzweckmäßig in der Ausführung werden, daß es
dadurch unrichtig wird. Man hat daher bei der Verſchmelzung der
beiden Gebiete der Verwaltung wohl zu unterſcheiden zwiſchen der-
jenigen, welche auf den Grundlagen der ſtändiſchen Ordnung, und
derjenigen, welche auf den Bedingungen einer billigen und guten Ver-
waltung beruht.

Zweitens empfängt das Syſtem der Behörden durch die Ver-
theilung jener Bevölkerung auch ſeine äußere Geſtalt. Die Grundlage
bildet hier den Unterſchied zwiſchen Stadt und Land. Die Stadt iſt
im Sinne der Verwaltung vor allen Dingen die ſtärkſte Anhäufung
der Bevölkerung und damit die Concentrirung aller ihrer Lebensver-
hältniſſe auf einem beſtimmten Punkte, der zugleich das ganze wirth-
ſchaftliche und geiſtige Leben des Landes von ſich abhängig macht. Es
folgt daraus zuerſt, daß in den herrſchenden Städten die Mittelpunkte
des Verwaltungsorganismus ſich feſtſetzen, und damit den Begriff der
Hauptſtadt bilden, ein Begriff, der nur einen adminiſtrativen Sinn
hat. Dann erzeugt die Stadt an und für ſich ganz andere allgemeine
Lebensverhältniſſe wie das flache Land, und damit auch Verwaltungs-
aufgaben und Organe, welche das Land nicht fordert; ein Verhältniß,
auf welchem der weſentliche Unterſchied zwiſchen Stadt- und Land-
gemeindeordnung beruht. Daher die Regel, daß in einem Lande über-
haupt die Verwaltung und ihr Organismus — im weiteſten Sinne
genommen — in dem Grade mehr ausgebildet ſind, in welchem das
ſtädtiſche Leben mehr vorherrſcht. Daraus ergibt ſich drittens, daß
die Stadt die Heimath der Bildung des eigentlichen Verwaltungs-
rechts
und der adminiſtrativen Theorie iſt; denn das ſtädtiſche Leben
zwingt die Verwaltung, die unendliche Verſchiedenheit der einzelnen
Lebensbeziehungen zu combiniren und allgemeine Grundſätze aufzu-
ſtellen, die ſich dann allmählig zur Wiſſenſchaft der Verwaltung

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[338/0362] Werthe, ſondern in ihren thatſächlichen Verhältniſſen unterſuchen, denn in der That würde eine eingehende Statiſtik hier ganz neue Ordnungen der Lebensverhältniſſe klar machen. Zuerſt iſt es gewiß, daß ſich nicht bloß die Zahl, ſondern auch die Arten und die Eintheilungen der Behörden vermehren, je dichter die Bevölkerung iſt, während andererſeits die Trennung der Funktionen in demſelben Grade wächst, in welchem die Zahl zunimmt. Das Umgekehrte iſt der Fall bei der Abnahme der Dichtigkeit der Be- völkerung. Daher hat namentlich die große Frage nach der Trennung der Juſtiz von der Adminiſtration die größte Schwierigkeit der Löſung nicht ſo ſehr in der Sache ſelbſt, als vielmehr in dem Mangel dieſer Dichtigkeit der Bevölkerung; was an ſich ganz richtig iſt, kann durch dieſes Element ſo unzweckmäßig in der Ausführung werden, daß es dadurch unrichtig wird. Man hat daher bei der Verſchmelzung der beiden Gebiete der Verwaltung wohl zu unterſcheiden zwiſchen der- jenigen, welche auf den Grundlagen der ſtändiſchen Ordnung, und derjenigen, welche auf den Bedingungen einer billigen und guten Ver- waltung beruht. Zweitens empfängt das Syſtem der Behörden durch die Ver- theilung jener Bevölkerung auch ſeine äußere Geſtalt. Die Grundlage bildet hier den Unterſchied zwiſchen Stadt und Land. Die Stadt iſt im Sinne der Verwaltung vor allen Dingen die ſtärkſte Anhäufung der Bevölkerung und damit die Concentrirung aller ihrer Lebensver- hältniſſe auf einem beſtimmten Punkte, der zugleich das ganze wirth- ſchaftliche und geiſtige Leben des Landes von ſich abhängig macht. Es folgt daraus zuerſt, daß in den herrſchenden Städten die Mittelpunkte des Verwaltungsorganismus ſich feſtſetzen, und damit den Begriff der Hauptſtadt bilden, ein Begriff, der nur einen adminiſtrativen Sinn hat. Dann erzeugt die Stadt an und für ſich ganz andere allgemeine Lebensverhältniſſe wie das flache Land, und damit auch Verwaltungs- aufgaben und Organe, welche das Land nicht fordert; ein Verhältniß, auf welchem der weſentliche Unterſchied zwiſchen Stadt- und Land- gemeindeordnung beruht. Daher die Regel, daß in einem Lande über- haupt die Verwaltung und ihr Organismus — im weiteſten Sinne genommen — in dem Grade mehr ausgebildet ſind, in welchem das ſtädtiſche Leben mehr vorherrſcht. Daraus ergibt ſich drittens, daß die Stadt die Heimath der Bildung des eigentlichen Verwaltungs- rechts und der adminiſtrativen Theorie iſt; denn das ſtädtiſche Leben zwingt die Verwaltung, die unendliche Verſchiedenheit der einzelnen Lebensbeziehungen zu combiniren und allgemeine Grundſätze aufzu- ſtellen, die ſich dann allmählig zur Wiſſenſchaft der Verwaltung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/362>, abgerufen am 27.04.2024.