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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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vorhanden, und ihre Zuständigkeit ist weder allgemein privilegirt, noch
allgemein dieselbe. Aber sie bilden ein wichtiges Element, und von
ihnen aus ist der auch jetzt noch vielfach in Deutschland -- wieder
nicht in England noch auch in Frankreich -- gültige Grundsatz ent-
standen, daß die Berufsgenossen und namentlich die Beamteten keine
Gemeindebürger sind. Nur das stehende Heer hat unbedingt keine
Gemeindezuständigkeit in irgend einem Lande der Welt.

Faßt man nun alle diese Verhältnisse, Grundsätze, Rechte und
Zustände zusammen, so gibt es bei aller Einfachheit des Princips ein
höchst buntes und verwirrtes Bild. Es gibt kein anderes Mittel, das-
selbe in feste Gestalt zu bringen, als daß man es lokalisirt. Denn in
jedem Land, in jeder Herrschaft, in jeder Stadt ist es etwas anders, hat
andre Namen, andre Modalitäten, andre Uebung, andre Vertheilung.
Daher haben die örtlichen Rechtsgeschichten dieser Zeit einen so hohen
Werth, und bilden gerade für diese Epoche die wahre Erhaltung der
inneren Geschichte. Für die Lehre der administrativen Ordnung der Be-
völkerung muß man, um hier zur Klarheit zu kommen, an drei großen
leitenden Grundsätzen festhalten: erstlich gibt es noch keine amtliche
Competenz und Zuständigkeit, sondern nur die Angehörigkeit an irgend
einen Selbstverwaltungskörper; -- zweitens ist die Gerichtsbarkeit
die Form, in der diese Angehörigkeit Ausdruck und die rechtliche Grenze
als Competenz und Zuständigkeit findet; -- und drittens existirt noch
weder Begriff, Recht noch Inhalt des Heimathswesens.

Wie sich das nun zum heutigen Zustande entwickelt hat, wird die
folgende Epoche zeigen.

3) Die Entstehung der eigentlichen Verwaltungsordnung
der Bevölkerung vom sechzehnten bis zum neunzehnten
Jahrhundert
.

(Die Bedeutung des Rechts des gerichtlichen Forums. Die Entstehung
der Oberaufsicht als amtliche Competenz. Das Heimathswesen als noch unbe-
stimmte Grundlage der Armenverwaltung.)

Es ist wohl einleuchtend, daß wir die bisherigen Systeme der An-
gehörigkeit nur im weiteren Sinne des Wortes als Verwaltungsordnung
der Bevölkerung bezeichnen können. Denn bis jetzt besteht eben noch gar
keine staatliche Verwaltung, noch ist die Selbstverwaltung die beinahe
ausschließliche Form der Verwaltung überhaupt. Von einer admini-
strativen Ordnung der Bevölkerung im engeren Sinne kann erst mit der
Entstehung der letzteren die Rede sein. Dieselbe entwickelt sich aber
nicht etwa organisch aus den bisher gegebenen Zuständen, sondern sie

Stein, die Verwaltungslehre. II. 21

vorhanden, und ihre Zuſtändigkeit iſt weder allgemein privilegirt, noch
allgemein dieſelbe. Aber ſie bilden ein wichtiges Element, und von
ihnen aus iſt der auch jetzt noch vielfach in Deutſchland — wieder
nicht in England noch auch in Frankreich — gültige Grundſatz ent-
ſtanden, daß die Berufsgenoſſen und namentlich die Beamteten keine
Gemeindebürger ſind. Nur das ſtehende Heer hat unbedingt keine
Gemeindezuſtändigkeit in irgend einem Lande der Welt.

Faßt man nun alle dieſe Verhältniſſe, Grundſätze, Rechte und
Zuſtände zuſammen, ſo gibt es bei aller Einfachheit des Princips ein
höchſt buntes und verwirrtes Bild. Es gibt kein anderes Mittel, das-
ſelbe in feſte Geſtalt zu bringen, als daß man es lokaliſirt. Denn in
jedem Land, in jeder Herrſchaft, in jeder Stadt iſt es etwas anders, hat
andre Namen, andre Modalitäten, andre Uebung, andre Vertheilung.
Daher haben die örtlichen Rechtsgeſchichten dieſer Zeit einen ſo hohen
Werth, und bilden gerade für dieſe Epoche die wahre Erhaltung der
inneren Geſchichte. Für die Lehre der adminiſtrativen Ordnung der Be-
völkerung muß man, um hier zur Klarheit zu kommen, an drei großen
leitenden Grundſätzen feſthalten: erſtlich gibt es noch keine amtliche
Competenz und Zuſtändigkeit, ſondern nur die Angehörigkeit an irgend
einen Selbſtverwaltungskörper; — zweitens iſt die Gerichtsbarkeit
die Form, in der dieſe Angehörigkeit Ausdruck und die rechtliche Grenze
als Competenz und Zuſtändigkeit findet; — und drittens exiſtirt noch
weder Begriff, Recht noch Inhalt des Heimathsweſens.

Wie ſich das nun zum heutigen Zuſtande entwickelt hat, wird die
folgende Epoche zeigen.

3) Die Entſtehung der eigentlichen Verwaltungsordnung
der Bevölkerung vom ſechzehnten bis zum neunzehnten
Jahrhundert
.

(Die Bedeutung des Rechts des gerichtlichen Forums. Die Entſtehung
der Oberaufſicht als amtliche Competenz. Das Heimathsweſen als noch unbe-
ſtimmte Grundlage der Armenverwaltung.)

Es iſt wohl einleuchtend, daß wir die bisherigen Syſteme der An-
gehörigkeit nur im weiteren Sinne des Wortes als Verwaltungsordnung
der Bevölkerung bezeichnen können. Denn bis jetzt beſteht eben noch gar
keine ſtaatliche Verwaltung, noch iſt die Selbſtverwaltung die beinahe
ausſchließliche Form der Verwaltung überhaupt. Von einer admini-
ſtrativen Ordnung der Bevölkerung im engeren Sinne kann erſt mit der
Entſtehung der letzteren die Rede ſein. Dieſelbe entwickelt ſich aber
nicht etwa organiſch aus den bisher gegebenen Zuſtänden, ſondern ſie

Stein, die Verwaltungslehre. II. 21
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[321/0343] vorhanden, und ihre Zuſtändigkeit iſt weder allgemein privilegirt, noch allgemein dieſelbe. Aber ſie bilden ein wichtiges Element, und von ihnen aus iſt der auch jetzt noch vielfach in Deutſchland — wieder nicht in England noch auch in Frankreich — gültige Grundſatz ent- ſtanden, daß die Berufsgenoſſen und namentlich die Beamteten keine Gemeindebürger ſind. Nur das ſtehende Heer hat unbedingt keine Gemeindezuſtändigkeit in irgend einem Lande der Welt. Faßt man nun alle dieſe Verhältniſſe, Grundſätze, Rechte und Zuſtände zuſammen, ſo gibt es bei aller Einfachheit des Princips ein höchſt buntes und verwirrtes Bild. Es gibt kein anderes Mittel, das- ſelbe in feſte Geſtalt zu bringen, als daß man es lokaliſirt. Denn in jedem Land, in jeder Herrſchaft, in jeder Stadt iſt es etwas anders, hat andre Namen, andre Modalitäten, andre Uebung, andre Vertheilung. Daher haben die örtlichen Rechtsgeſchichten dieſer Zeit einen ſo hohen Werth, und bilden gerade für dieſe Epoche die wahre Erhaltung der inneren Geſchichte. Für die Lehre der adminiſtrativen Ordnung der Be- völkerung muß man, um hier zur Klarheit zu kommen, an drei großen leitenden Grundſätzen feſthalten: erſtlich gibt es noch keine amtliche Competenz und Zuſtändigkeit, ſondern nur die Angehörigkeit an irgend einen Selbſtverwaltungskörper; — zweitens iſt die Gerichtsbarkeit die Form, in der dieſe Angehörigkeit Ausdruck und die rechtliche Grenze als Competenz und Zuſtändigkeit findet; — und drittens exiſtirt noch weder Begriff, Recht noch Inhalt des Heimathsweſens. Wie ſich das nun zum heutigen Zuſtande entwickelt hat, wird die folgende Epoche zeigen. 3) Die Entſtehung der eigentlichen Verwaltungsordnung der Bevölkerung vom ſechzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert. (Die Bedeutung des Rechts des gerichtlichen Forums. Die Entſtehung der Oberaufſicht als amtliche Competenz. Das Heimathsweſen als noch unbe- ſtimmte Grundlage der Armenverwaltung.) Es iſt wohl einleuchtend, daß wir die bisherigen Syſteme der An- gehörigkeit nur im weiteren Sinne des Wortes als Verwaltungsordnung der Bevölkerung bezeichnen können. Denn bis jetzt beſteht eben noch gar keine ſtaatliche Verwaltung, noch iſt die Selbſtverwaltung die beinahe ausſchließliche Form der Verwaltung überhaupt. Von einer admini- ſtrativen Ordnung der Bevölkerung im engeren Sinne kann erſt mit der Entſtehung der letzteren die Rede ſein. Dieſelbe entwickelt ſich aber nicht etwa organiſch aus den bisher gegebenen Zuſtänden, ſondern ſie Stein, die Verwaltungslehre. II. 21

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/343>, abgerufen am 19.03.2024.