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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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und Verbotsrecht muß daher auf die gesellschaftliche Grundlage zurück-
geführt und durch sie erklärt werden; denn der Staat ist wesentlich der
persönliche Vertreter der gesellschaftlichen Organisation. Man wird bei
genauerer Betrachtung sogar finden, daß jede Gesellschaftsordnung
nicht bloß ihre eigenthümliche rechtliche, sondern auch ihre eigen-
thümlich ethische Auffassung der Ehe hat, die, durch das Unwandel-
bare im Wesen der Persönlichkeit an sich unwandelbar gegeben, den-
noch stets den Ausdruck des Geistes der Gesellschaftsordnung in einem
hochwichtigen Punkte bildet. Und somit wird es denn auch wohl nicht
bezweifelt werden, daß endlich auch die Geschichte des Eherechts im
Allgemeinen und die Geschichte des öffentlichen Eherechts im Be-
sondern nur auf der historischen Entwicklung der Gesellschaftsordnung
beruhen kann.

Dies nun ist unser Standpunkt. Wir müssen die bisherige Be-
handlung des Gegenstandes deßhalb für eine einseitige halten. Das
Folgende soll den Versuch machen, die organische Auffassung an die
Stelle der kritisch-administrativen zu setzen, wie sie gegenwärtig noch
vorliegt.

Wir haben den obigen Standpunkt hervorgehoben, weil für die bisherige
Behandlung des öffentlichen Eherechts zwei Dinge charakteristisch sind; zuerst
der Mangel einer historischen Auffassung, und dann die höchst einseitige Behand-
lung des Rechts der Eheconsense. Das was die historische Behandlung vertritt,
besteht in dem einfachen Anführen historischer Beispiele, namentlich aus dem
römischen Recht, mit dem Montesquieu voranging, das aber schon bei Süß-
milch
wieder in den Hintergrund tritt, bei Justi ganz verschwunden ist. Die
spätere, gegenwärtig namentlich bei Roscher vorhandene Form bloßer Samm-
lungsnotizen hat natürlich wenig wissenschaftlichen Werth. -- Den Grund daher,
daß man das ganze so wichtige Gebiet der Eheconsense, das ja doch unzweifel-
haft hieher und weder in das Privatrecht noch in die Polizei gehört, so einseitig
behandelt hat, weiß ich nur darin zu suchen, daß man überhaupt unter Be-
völkerungspolitik vermöge des ganzen Ganges ihrer theoretischen Entwicklung
eben nur die polizeilichen Maßregeln zur Vermehrung der Bevölkerung gesehen,
und daß die auf den Durchschnittsrechnungen beruhende neuere Bevölkerungslehre
überhaupt keinen Anlaß gefunden hat, sich mit dieser, dem positiven Recht an-
gehörigen Seite der Frage zu beschäftigen. Man kann daher sagen, daß schon
seit Justi die ganze Lehre von den Eheconsensen nur als Darstellung der Hei-
rathsverbote
auftritt, und daher mit den letztern verschwinden würde, ob-
wohl das Recht der Eheconsense bestehen bleibt. Es kommt mithin darauf an,
dem letztern seine dauernde Stellung zu sichern. Dieß kann aber nur auf
Grundlage historischer Auffassung geschehen.

und Verbotsrecht muß daher auf die geſellſchaftliche Grundlage zurück-
geführt und durch ſie erklärt werden; denn der Staat iſt weſentlich der
perſönliche Vertreter der geſellſchaftlichen Organiſation. Man wird bei
genauerer Betrachtung ſogar finden, daß jede Geſellſchaftsordnung
nicht bloß ihre eigenthümliche rechtliche, ſondern auch ihre eigen-
thümlich ethiſche Auffaſſung der Ehe hat, die, durch das Unwandel-
bare im Weſen der Perſönlichkeit an ſich unwandelbar gegeben, den-
noch ſtets den Ausdruck des Geiſtes der Geſellſchaftsordnung in einem
hochwichtigen Punkte bildet. Und ſomit wird es denn auch wohl nicht
bezweifelt werden, daß endlich auch die Geſchichte des Eherechts im
Allgemeinen und die Geſchichte des öffentlichen Eherechts im Be-
ſondern nur auf der hiſtoriſchen Entwicklung der Geſellſchaftsordnung
beruhen kann.

Dies nun iſt unſer Standpunkt. Wir müſſen die bisherige Be-
handlung des Gegenſtandes deßhalb für eine einſeitige halten. Das
Folgende ſoll den Verſuch machen, die organiſche Auffaſſung an die
Stelle der kritiſch-adminiſtrativen zu ſetzen, wie ſie gegenwärtig noch
vorliegt.

Wir haben den obigen Standpunkt hervorgehoben, weil für die bisherige
Behandlung des öffentlichen Eherechts zwei Dinge charakteriſtiſch ſind; zuerſt
der Mangel einer hiſtoriſchen Auffaſſung, und dann die höchſt einſeitige Behand-
lung des Rechts der Eheconſenſe. Das was die hiſtoriſche Behandlung vertritt,
beſteht in dem einfachen Anführen hiſtoriſcher Beiſpiele, namentlich aus dem
römiſchen Recht, mit dem Montesquieu voranging, das aber ſchon bei Süß-
milch
wieder in den Hintergrund tritt, bei Juſti ganz verſchwunden iſt. Die
ſpätere, gegenwärtig namentlich bei Roſcher vorhandene Form bloßer Samm-
lungsnotizen hat natürlich wenig wiſſenſchaftlichen Werth. — Den Grund daher,
daß man das ganze ſo wichtige Gebiet der Eheconſenſe, das ja doch unzweifel-
haft hieher und weder in das Privatrecht noch in die Polizei gehört, ſo einſeitig
behandelt hat, weiß ich nur darin zu ſuchen, daß man überhaupt unter Be-
völkerungspolitik vermöge des ganzen Ganges ihrer theoretiſchen Entwicklung
eben nur die polizeilichen Maßregeln zur Vermehrung der Bevölkerung geſehen,
und daß die auf den Durchſchnittsrechnungen beruhende neuere Bevölkerungslehre
überhaupt keinen Anlaß gefunden hat, ſich mit dieſer, dem poſitiven Recht an-
gehörigen Seite der Frage zu beſchäftigen. Man kann daher ſagen, daß ſchon
ſeit Juſti die ganze Lehre von den Eheconſenſen nur als Darſtellung der Hei-
rathsverbote
auftritt, und daher mit den letztern verſchwinden würde, ob-
wohl das Recht der Eheconſenſe beſtehen bleibt. Es kommt mithin darauf an,
dem letztern ſeine dauernde Stellung zu ſichern. Dieß kann aber nur auf
Grundlage hiſtoriſcher Auffaſſung geſchehen.

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[127/0149] und Verbotsrecht muß daher auf die geſellſchaftliche Grundlage zurück- geführt und durch ſie erklärt werden; denn der Staat iſt weſentlich der perſönliche Vertreter der geſellſchaftlichen Organiſation. Man wird bei genauerer Betrachtung ſogar finden, daß jede Geſellſchaftsordnung nicht bloß ihre eigenthümliche rechtliche, ſondern auch ihre eigen- thümlich ethiſche Auffaſſung der Ehe hat, die, durch das Unwandel- bare im Weſen der Perſönlichkeit an ſich unwandelbar gegeben, den- noch ſtets den Ausdruck des Geiſtes der Geſellſchaftsordnung in einem hochwichtigen Punkte bildet. Und ſomit wird es denn auch wohl nicht bezweifelt werden, daß endlich auch die Geſchichte des Eherechts im Allgemeinen und die Geſchichte des öffentlichen Eherechts im Be- ſondern nur auf der hiſtoriſchen Entwicklung der Geſellſchaftsordnung beruhen kann. Dies nun iſt unſer Standpunkt. Wir müſſen die bisherige Be- handlung des Gegenſtandes deßhalb für eine einſeitige halten. Das Folgende ſoll den Verſuch machen, die organiſche Auffaſſung an die Stelle der kritiſch-adminiſtrativen zu ſetzen, wie ſie gegenwärtig noch vorliegt. Wir haben den obigen Standpunkt hervorgehoben, weil für die bisherige Behandlung des öffentlichen Eherechts zwei Dinge charakteriſtiſch ſind; zuerſt der Mangel einer hiſtoriſchen Auffaſſung, und dann die höchſt einſeitige Behand- lung des Rechts der Eheconſenſe. Das was die hiſtoriſche Behandlung vertritt, beſteht in dem einfachen Anführen hiſtoriſcher Beiſpiele, namentlich aus dem römiſchen Recht, mit dem Montesquieu voranging, das aber ſchon bei Süß- milch wieder in den Hintergrund tritt, bei Juſti ganz verſchwunden iſt. Die ſpätere, gegenwärtig namentlich bei Roſcher vorhandene Form bloßer Samm- lungsnotizen hat natürlich wenig wiſſenſchaftlichen Werth. — Den Grund daher, daß man das ganze ſo wichtige Gebiet der Eheconſenſe, das ja doch unzweifel- haft hieher und weder in das Privatrecht noch in die Polizei gehört, ſo einſeitig behandelt hat, weiß ich nur darin zu ſuchen, daß man überhaupt unter Be- völkerungspolitik vermöge des ganzen Ganges ihrer theoretiſchen Entwicklung eben nur die polizeilichen Maßregeln zur Vermehrung der Bevölkerung geſehen, und daß die auf den Durchſchnittsrechnungen beruhende neuere Bevölkerungslehre überhaupt keinen Anlaß gefunden hat, ſich mit dieſer, dem poſitiven Recht an- gehörigen Seite der Frage zu beſchäftigen. Man kann daher ſagen, daß ſchon ſeit Juſti die ganze Lehre von den Eheconſenſen nur als Darſtellung der Hei- rathsverbote auftritt, und daher mit den letztern verſchwinden würde, ob- wohl das Recht der Eheconſenſe beſtehen bleibt. Es kommt mithin darauf an, dem letztern ſeine dauernde Stellung zu ſichern. Dieß kann aber nur auf Grundlage hiſtoriſcher Auffaſſung geſchehen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/149>, abgerufen am 26.04.2024.