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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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übrigen Staaten die einzelnen Gebiete vorzugsweise durch förmliche Ge-
setze geregelt werden, an welche sich die Verordnungen anschloßen, wäh-
rend in Deutschland die Gesetze fast gänzlich mangelten, und bis zur
neuesten Zeit meist nur Verordnungen existiren.

I. Polizei der Nahrungsmittel.

Die Polizei der Nahrungsmittel hat zwei Hauptseiten. Die eigent-
liche Gesetzgebung beschäftigt sich mit der Produktion derselben vom
sanitären Standpunkt; die Aufgabe der örtlichen Verwaltung, nament-
lich der Gemeinde, ist es dann, die Gesundheitspolizei im Einzelver-
kehr
auszuüben. Die erstere geht ursprünglich gegen direkte Fälschung,
die letztere schützt vielmehr vor dem Verkauf verdorbener Gegen-
stände; die erstere verbindet sich daher naturgemäß mit der Gewerbe-
gesetzgebung
, die letztere vielmehr mit der Marktpolizei. Eine
äußere Scheidung ist nicht thunlich. Die Wissenschaft hat zur Auf-
gabe, einerseits die gesundheitsgefährlichen Elemente zu bestimmen und
dann die Mittel ihrer leichten Entdeckung anzugeben. Die Ausführung
ist meist Sache der örtlichen Organe. Die einzelnen Nahrungsmittel
haben wieder ihr eigenes Recht, und dieß wieder seine eigene Geschichte.
Das ganze Gebiet ist ein außerordentlich reiches, und jeder Theil ver-
dient eine Darstellung für sich. Hauptpunkte sind Brod, Fleisch,
Getränke, Gewürze
. Die Wichtigkeit und naturgemäß auch die
Ausbildung dieses ganzen Gebietes steigen mit der Dichtigkeit der Be-
völkerung; daher ist der Ursprung derselben stets eine städtische
Polizei, die erst mit dem vorigen Jahrhundert sich zu allgemein aner-
kannten Principien erhebt. Der Charakter des Polizeirechts der Nah-
rungsmittel in unserem Jahrhundert enthält nun aber wesentlich ver-
schiedene Elemente von denen der früheren Zeit. Es hat sich dasselbe
nämlich jetzt in die zwei Theile gespalten, welche früher verschmolzen
waren, und hier hat die französische Gesetzgebung den Anlaß zu Bil-
dung des gegenwärtigen Systems gegeben. Jedes Unrecht, das mit Nah-
rungsmitteln geschieht, kann entweder ein bloßer Betrug sein (Fäl-
schung der Nahrungsmittel) oder es kann zugleich eine sanitäre Ge-
fahr
enthalten. So lange die Polizei der Nahrungsmittel noch den
städtischen Behörden allein blieb, waren beide vermengt. Allein mit
dem Entstehen der neuen Strafgesetzgebungen wird es Grundsatz,
die Fälschung von der sanitären Gefährdung zu scheiden, beide mit
speziellen Strafbestimmungen in die Strafgesetzbücher aufzunehmen,
den Ortsbehörden nur die Entdeckung dieser Vergehen, dem Gerichte
dagegen ihre Bestrafung zu überlassen. Nur wenige Staaten haben

übrigen Staaten die einzelnen Gebiete vorzugsweiſe durch förmliche Ge-
ſetze geregelt werden, an welche ſich die Verordnungen anſchloßen, wäh-
rend in Deutſchland die Geſetze faſt gänzlich mangelten, und bis zur
neueſten Zeit meiſt nur Verordnungen exiſtiren.

I. Polizei der Nahrungsmittel.

Die Polizei der Nahrungsmittel hat zwei Hauptſeiten. Die eigent-
liche Geſetzgebung beſchäftigt ſich mit der Produktion derſelben vom
ſanitären Standpunkt; die Aufgabe der örtlichen Verwaltung, nament-
lich der Gemeinde, iſt es dann, die Geſundheitspolizei im Einzelver-
kehr
auszuüben. Die erſtere geht urſprünglich gegen direkte Fälſchung,
die letztere ſchützt vielmehr vor dem Verkauf verdorbener Gegen-
ſtände; die erſtere verbindet ſich daher naturgemäß mit der Gewerbe-
geſetzgebung
, die letztere vielmehr mit der Marktpolizei. Eine
äußere Scheidung iſt nicht thunlich. Die Wiſſenſchaft hat zur Auf-
gabe, einerſeits die geſundheitsgefährlichen Elemente zu beſtimmen und
dann die Mittel ihrer leichten Entdeckung anzugeben. Die Ausführung
iſt meiſt Sache der örtlichen Organe. Die einzelnen Nahrungsmittel
haben wieder ihr eigenes Recht, und dieß wieder ſeine eigene Geſchichte.
Das ganze Gebiet iſt ein außerordentlich reiches, und jeder Theil ver-
dient eine Darſtellung für ſich. Hauptpunkte ſind Brod, Fleiſch,
Getränke, Gewürze
. Die Wichtigkeit und naturgemäß auch die
Ausbildung dieſes ganzen Gebietes ſteigen mit der Dichtigkeit der Be-
völkerung; daher iſt der Urſprung derſelben ſtets eine ſtädtiſche
Polizei, die erſt mit dem vorigen Jahrhundert ſich zu allgemein aner-
kannten Principien erhebt. Der Charakter des Polizeirechts der Nah-
rungsmittel in unſerem Jahrhundert enthält nun aber weſentlich ver-
ſchiedene Elemente von denen der früheren Zeit. Es hat ſich daſſelbe
nämlich jetzt in die zwei Theile geſpalten, welche früher verſchmolzen
waren, und hier hat die franzöſiſche Geſetzgebung den Anlaß zu Bil-
dung des gegenwärtigen Syſtems gegeben. Jedes Unrecht, das mit Nah-
rungsmitteln geſchieht, kann entweder ein bloßer Betrug ſein (Fäl-
ſchung der Nahrungsmittel) oder es kann zugleich eine ſanitäre Ge-
fahr
enthalten. So lange die Polizei der Nahrungsmittel noch den
ſtädtiſchen Behörden allein blieb, waren beide vermengt. Allein mit
dem Entſtehen der neuen Strafgeſetzgebungen wird es Grundſatz,
die Fälſchung von der ſanitären Gefährdung zu ſcheiden, beide mit
ſpeziellen Strafbeſtimmungen in die Strafgeſetzbücher aufzunehmen,
den Ortsbehörden nur die Entdeckung dieſer Vergehen, dem Gerichte
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[55/0071] übrigen Staaten die einzelnen Gebiete vorzugsweiſe durch förmliche Ge- ſetze geregelt werden, an welche ſich die Verordnungen anſchloßen, wäh- rend in Deutſchland die Geſetze faſt gänzlich mangelten, und bis zur neueſten Zeit meiſt nur Verordnungen exiſtiren. I. Polizei der Nahrungsmittel. Die Polizei der Nahrungsmittel hat zwei Hauptſeiten. Die eigent- liche Geſetzgebung beſchäftigt ſich mit der Produktion derſelben vom ſanitären Standpunkt; die Aufgabe der örtlichen Verwaltung, nament- lich der Gemeinde, iſt es dann, die Geſundheitspolizei im Einzelver- kehr auszuüben. Die erſtere geht urſprünglich gegen direkte Fälſchung, die letztere ſchützt vielmehr vor dem Verkauf verdorbener Gegen- ſtände; die erſtere verbindet ſich daher naturgemäß mit der Gewerbe- geſetzgebung, die letztere vielmehr mit der Marktpolizei. Eine äußere Scheidung iſt nicht thunlich. Die Wiſſenſchaft hat zur Auf- gabe, einerſeits die geſundheitsgefährlichen Elemente zu beſtimmen und dann die Mittel ihrer leichten Entdeckung anzugeben. Die Ausführung iſt meiſt Sache der örtlichen Organe. Die einzelnen Nahrungsmittel haben wieder ihr eigenes Recht, und dieß wieder ſeine eigene Geſchichte. Das ganze Gebiet iſt ein außerordentlich reiches, und jeder Theil ver- dient eine Darſtellung für ſich. Hauptpunkte ſind Brod, Fleiſch, Getränke, Gewürze. Die Wichtigkeit und naturgemäß auch die Ausbildung dieſes ganzen Gebietes ſteigen mit der Dichtigkeit der Be- völkerung; daher iſt der Urſprung derſelben ſtets eine ſtädtiſche Polizei, die erſt mit dem vorigen Jahrhundert ſich zu allgemein aner- kannten Principien erhebt. Der Charakter des Polizeirechts der Nah- rungsmittel in unſerem Jahrhundert enthält nun aber weſentlich ver- ſchiedene Elemente von denen der früheren Zeit. Es hat ſich daſſelbe nämlich jetzt in die zwei Theile geſpalten, welche früher verſchmolzen waren, und hier hat die franzöſiſche Geſetzgebung den Anlaß zu Bil- dung des gegenwärtigen Syſtems gegeben. Jedes Unrecht, das mit Nah- rungsmitteln geſchieht, kann entweder ein bloßer Betrug ſein (Fäl- ſchung der Nahrungsmittel) oder es kann zugleich eine ſanitäre Ge- fahr enthalten. So lange die Polizei der Nahrungsmittel noch den ſtädtiſchen Behörden allein blieb, waren beide vermengt. Allein mit dem Entſtehen der neuen Strafgeſetzgebungen wird es Grundſatz, die Fälſchung von der ſanitären Gefährdung zu ſcheiden, beide mit ſpeziellen Strafbeſtimmungen in die Strafgeſetzbücher aufzunehmen, den Ortsbehörden nur die Entdeckung dieſer Vergehen, dem Gerichte dagegen ihre Beſtrafung zu überlaſſen. Nur wenige Staaten haben

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/71>, abgerufen am 26.04.2024.