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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867.

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das Recht des Erben anerkennen und die Erbschaft auch dem aner-
kannt Berechtigten durch einen eigenen Akt hinausgeben. Daraus ent-
stand die Verlassenschaftsabhandlung des siebzehnten und achtzehnten
Jahrhunderts, die sich in einigen Ländern, wie Oesterreich, über jede
Verlassenschaft ausbreitete, während sie sich sonst mit der Ausgleichung
der Erbrechtsunterschiede allmählig auf diejenigen Punkte zurückzog, in
denen eine amtliche Thätigkeit wirklich im Gesammtinteresse nothwendig
erscheint. Das Verlassenschaftswesen ist daher jetzt im Princip allent-
halben mit Ausnahme Oesterreichs auf seine natürlichen Gränzen zurück-
geführt. Aber ihm fehlt noch gänzlich die organische wissenschaftliche
Behandlung. Das Folgende kann nur die entscheidenden Punkte für
dieselbe als Theil der Verwaltungslehre bezeichnen.

Offenbar enthält die Verlassenschaftsabhandlung als Proceß des
Ueberganges einer Hinterlassenschaft an die Berechtigten drei Theile
oder Momente. Der erste Theil hat die öffentlich rechtliche Todes-
fallserklärung
zum Inhalt; der zweite Theil die amtliche Ueber-
nahme
der Hinterlassenschaft; der dritte Theil die Vertheilung oder
die Uebergabe an die Berechtigten. Allerdings nun haben, mit einer
Ausnahme, weder Theorie noch Gesetzgebung das Verlassenschaftswesen
in diesem Sinne als Ganzes behandelt; dennoch aber haben Praxis
und Theorie gleichmäßig dazu gewirkt, für jeden dieser Theile ein
öffentliches, meist im Einzelnen sehr genau bestimmtes Recht aufzu-
stellen, bei dem freilich nach der Natur der Sache in den gewöhnlichen
Bearbeitungen das privatrechtliche Element überwiegt. Es muß hier
genügen, die organische Einheit im Sinne der Verwaltungslehre anzugeben.


Die bedeutendsten Arbeiten über diesen Gegenstand sind in früherer
Zeit die Motive zum preußischen allgemeinen Landrecht bei Borne-
mann
, systematische Darstellung des preußischen Civilrechts, Bd. VI.,
und J. Ungers Schrift: die Verlassenschaftsabhandlung in Oesterreich
1862. Die letztere hat sich aber zu eng begränzt auf den Kampf
gegen die österreichische Verlassenschaftsabhandlung und dadurch negativ
Bedeutendes geleistet, während ein positives Resultat, die Beantwortung
der Frage, was denn die Verlassenschaftsabhandlung nun sein und wie sie
wirken solle, unerledigt bleibt. Die überwiegend negative Behandlung
läßt den Verfasser auch sowohl das französische als das preußische
Recht etwas einseitig beurtheilen. Das historische Entstehen des "gericht-
lichen Einsatzes" muß man auch nicht, wie S. 61 ff. geschieht, bloß
auf Verordnungen zurückführen, sondern auf weit allgemeinere Verhält-
nisse. Leider hat die rein kritische Richtung den Verfasser abgehalten,

das Recht des Erben anerkennen und die Erbſchaft auch dem aner-
kannt Berechtigten durch einen eigenen Akt hinausgeben. Daraus ent-
ſtand die Verlaſſenſchaftsabhandlung des ſiebzehnten und achtzehnten
Jahrhunderts, die ſich in einigen Ländern, wie Oeſterreich, über jede
Verlaſſenſchaft ausbreitete, während ſie ſich ſonſt mit der Ausgleichung
der Erbrechtsunterſchiede allmählig auf diejenigen Punkte zurückzog, in
denen eine amtliche Thätigkeit wirklich im Geſammtintereſſe nothwendig
erſcheint. Das Verlaſſenſchaftsweſen iſt daher jetzt im Princip allent-
halben mit Ausnahme Oeſterreichs auf ſeine natürlichen Gränzen zurück-
geführt. Aber ihm fehlt noch gänzlich die organiſche wiſſenſchaftliche
Behandlung. Das Folgende kann nur die entſcheidenden Punkte für
dieſelbe als Theil der Verwaltungslehre bezeichnen.

Offenbar enthält die Verlaſſenſchaftsabhandlung als Proceß des
Ueberganges einer Hinterlaſſenſchaft an die Berechtigten drei Theile
oder Momente. Der erſte Theil hat die öffentlich rechtliche Todes-
fallserklärung
zum Inhalt; der zweite Theil die amtliche Ueber-
nahme
der Hinterlaſſenſchaft; der dritte Theil die Vertheilung oder
die Uebergabe an die Berechtigten. Allerdings nun haben, mit einer
Ausnahme, weder Theorie noch Geſetzgebung das Verlaſſenſchaftsweſen
in dieſem Sinne als Ganzes behandelt; dennoch aber haben Praxis
und Theorie gleichmäßig dazu gewirkt, für jeden dieſer Theile ein
öffentliches, meiſt im Einzelnen ſehr genau beſtimmtes Recht aufzu-
ſtellen, bei dem freilich nach der Natur der Sache in den gewöhnlichen
Bearbeitungen das privatrechtliche Element überwiegt. Es muß hier
genügen, die organiſche Einheit im Sinne der Verwaltungslehre anzugeben.


Die bedeutendſten Arbeiten über dieſen Gegenſtand ſind in früherer
Zeit die Motive zum preußiſchen allgemeinen Landrecht bei Borne-
mann
, ſyſtematiſche Darſtellung des preußiſchen Civilrechts, Bd. VI.,
und J. Ungers Schrift: die Verlaſſenſchaftsabhandlung in Oeſterreich
1862. Die letztere hat ſich aber zu eng begränzt auf den Kampf
gegen die öſterreichiſche Verlaſſenſchaftsabhandlung und dadurch negativ
Bedeutendes geleiſtet, während ein poſitives Reſultat, die Beantwortung
der Frage, was denn die Verlaſſenſchaftsabhandlung nun ſein und wie ſie
wirken ſolle, unerledigt bleibt. Die überwiegend negative Behandlung
läßt den Verfaſſer auch ſowohl das franzöſiſche als das preußiſche
Recht etwas einſeitig beurtheilen. Das hiſtoriſche Entſtehen des „gericht-
lichen Einſatzes“ muß man auch nicht, wie S. 61 ff. geſchieht, bloß
auf Verordnungen zurückführen, ſondern auf weit allgemeinere Verhält-
niſſe. Leider hat die rein kritiſche Richtung den Verfaſſer abgehalten,

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[192/0214] das Recht des Erben anerkennen und die Erbſchaft auch dem aner- kannt Berechtigten durch einen eigenen Akt hinausgeben. Daraus ent- ſtand die Verlaſſenſchaftsabhandlung des ſiebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, die ſich in einigen Ländern, wie Oeſterreich, über jede Verlaſſenſchaft ausbreitete, während ſie ſich ſonſt mit der Ausgleichung der Erbrechtsunterſchiede allmählig auf diejenigen Punkte zurückzog, in denen eine amtliche Thätigkeit wirklich im Geſammtintereſſe nothwendig erſcheint. Das Verlaſſenſchaftsweſen iſt daher jetzt im Princip allent- halben mit Ausnahme Oeſterreichs auf ſeine natürlichen Gränzen zurück- geführt. Aber ihm fehlt noch gänzlich die organiſche wiſſenſchaftliche Behandlung. Das Folgende kann nur die entſcheidenden Punkte für dieſelbe als Theil der Verwaltungslehre bezeichnen. Offenbar enthält die Verlaſſenſchaftsabhandlung als Proceß des Ueberganges einer Hinterlaſſenſchaft an die Berechtigten drei Theile oder Momente. Der erſte Theil hat die öffentlich rechtliche Todes- fallserklärung zum Inhalt; der zweite Theil die amtliche Ueber- nahme der Hinterlaſſenſchaft; der dritte Theil die Vertheilung oder die Uebergabe an die Berechtigten. Allerdings nun haben, mit einer Ausnahme, weder Theorie noch Geſetzgebung das Verlaſſenſchaftsweſen in dieſem Sinne als Ganzes behandelt; dennoch aber haben Praxis und Theorie gleichmäßig dazu gewirkt, für jeden dieſer Theile ein öffentliches, meiſt im Einzelnen ſehr genau beſtimmtes Recht aufzu- ſtellen, bei dem freilich nach der Natur der Sache in den gewöhnlichen Bearbeitungen das privatrechtliche Element überwiegt. Es muß hier genügen, die organiſche Einheit im Sinne der Verwaltungslehre anzugeben. Die bedeutendſten Arbeiten über dieſen Gegenſtand ſind in früherer Zeit die Motive zum preußiſchen allgemeinen Landrecht bei Borne- mann, ſyſtematiſche Darſtellung des preußiſchen Civilrechts, Bd. VI., und J. Ungers Schrift: die Verlaſſenſchaftsabhandlung in Oeſterreich 1862. Die letztere hat ſich aber zu eng begränzt auf den Kampf gegen die öſterreichiſche Verlaſſenſchaftsabhandlung und dadurch negativ Bedeutendes geleiſtet, während ein poſitives Reſultat, die Beantwortung der Frage, was denn die Verlaſſenſchaftsabhandlung nun ſein und wie ſie wirken ſolle, unerledigt bleibt. Die überwiegend negative Behandlung läßt den Verfaſſer auch ſowohl das franzöſiſche als das preußiſche Recht etwas einſeitig beurtheilen. Das hiſtoriſche Entſtehen des „gericht- lichen Einſatzes“ muß man auch nicht, wie S. 61 ff. geſchieht, bloß auf Verordnungen zurückführen, ſondern auf weit allgemeinere Verhält- niſſe. Leider hat die rein kritiſche Richtung den Verfaſſer abgehalten,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 4. Stuttgart, 1867, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre04_1867/214>, abgerufen am 27.04.2024.