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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Erstes Gebiet. Das gelehrte Berufsbildungssystem.
A. Das gelehrte Vorbildungssystem.

(Die gelehrten und hohen Schulen, Gymnasien, Lyceen, Athenäen, Collegien.)

I. Begriff und Formen der gelehrten Schulen.

Das gelehrte Vorbildungssystem umfaßt nun seinem formalen Be-
griff nach die Gesammtheit der Anstalten, welche für die von der
Fachbildung getrennte gelehrte Vorbildung getrennt sind und unter den
oben angeführten Namen funktioniren.

Wir dürfen nun gewiß zunächst darauf hinweisen, daß es nicht
unsere Aufgabe sein soll, das ganze Gymnasialwesen mit seiner Viel-
gestaltigkeit und seinen wichtigen Fragen hier zu erschöpfen. Für die
Verwaltungslehre ist die gelehrte Schule oder das Gymnasium zunächst
ein einzelnes ganz bestimmtes Organ in dem großen Ganzen des
Bildungsorganismus und hat eine ganz bestimmte Funktion innerhalb
desselben zu vollziehen. Diese Funktion liegt, wie alle organische
Funktion, nicht in der Willkür des Einzelnen oder selbst der Gesetzgeber,
sondern sie ist durch die höhere Natur der Sache selbst gegeben. Nirgends
aber ist diese Idee in so bestimmter Weise entwickelt und auch historisch
zu einem klaren Abschluß gekommen als in Deutschland; und wir dürfen
daher die Darstellung von Deutschlands Gymnasialwesen als die Grund-
lage für das gesammte gelehrte Vorbildungswesen von Europa ansehen.
Nur muß man dabei gleich anfangs die beiden großen Seiten alles
gelehrten Schulwesens wohl unterscheiden und auf sie die verschiedenen
Formen desselben zurückführen.

Die Stellung, welche das gelehrte Schulwesen im großen Bildungs-
organismus einnimmt, ist nämlich eine doppelte, und eben dieser doppelte
Inhalt derselben hat es schwierig gemacht, dasselbe zu verstehen. Dennoch
bleibt es die einzige Grundlage seiner Geschichte und der Vergleichung
seiner verschiedenen Gestaltungen.

Zuerst und formell ist nämlich die gelehrte Schule die reine Vor-
bildungsanstalt für das gelehrte Fachbildungswesen. Sie hat daher
zur Aufgabe, alles dasjenige zu lehren, was als Voraussetzung und
Bedingung des letzteren angesehen werden muß. In ihrer systematischen
Stellung wird daher die ganze innere und äußere Ordnung der ge-
lehrten Schule durch dasjenige gegeben, was die gelehrte Fachbildung
fordert, und zwar in der Weise, daß jene für alle einzelnen Fächer
die Vorbildung zu leiten hat. Oder, da das Fachbildungswesen in

Stein, die Verwaltungslehre. V. 13
Erſtes Gebiet. Das gelehrte Berufsbildungsſyſtem.
A. Das gelehrte Vorbildungsſyſtem.

(Die gelehrten und hohen Schulen, Gymnaſien, Lyceen, Athenäen, Collegien.)

I. Begriff und Formen der gelehrten Schulen.

Das gelehrte Vorbildungsſyſtem umfaßt nun ſeinem formalen Be-
griff nach die Geſammtheit der Anſtalten, welche für die von der
Fachbildung getrennte gelehrte Vorbildung getrennt ſind und unter den
oben angeführten Namen funktioniren.

Wir dürfen nun gewiß zunächſt darauf hinweiſen, daß es nicht
unſere Aufgabe ſein ſoll, das ganze Gymnaſialweſen mit ſeiner Viel-
geſtaltigkeit und ſeinen wichtigen Fragen hier zu erſchöpfen. Für die
Verwaltungslehre iſt die gelehrte Schule oder das Gymnaſium zunächſt
ein einzelnes ganz beſtimmtes Organ in dem großen Ganzen des
Bildungsorganismus und hat eine ganz beſtimmte Funktion innerhalb
deſſelben zu vollziehen. Dieſe Funktion liegt, wie alle organiſche
Funktion, nicht in der Willkür des Einzelnen oder ſelbſt der Geſetzgeber,
ſondern ſie iſt durch die höhere Natur der Sache ſelbſt gegeben. Nirgends
aber iſt dieſe Idee in ſo beſtimmter Weiſe entwickelt und auch hiſtoriſch
zu einem klaren Abſchluß gekommen als in Deutſchland; und wir dürfen
daher die Darſtellung von Deutſchlands Gymnaſialweſen als die Grund-
lage für das geſammte gelehrte Vorbildungsweſen von Europa anſehen.
Nur muß man dabei gleich anfangs die beiden großen Seiten alles
gelehrten Schulweſens wohl unterſcheiden und auf ſie die verſchiedenen
Formen deſſelben zurückführen.

Die Stellung, welche das gelehrte Schulweſen im großen Bildungs-
organismus einnimmt, iſt nämlich eine doppelte, und eben dieſer doppelte
Inhalt derſelben hat es ſchwierig gemacht, daſſelbe zu verſtehen. Dennoch
bleibt es die einzige Grundlage ſeiner Geſchichte und der Vergleichung
ſeiner verſchiedenen Geſtaltungen.

Zuerſt und formell iſt nämlich die gelehrte Schule die reine Vor-
bildungsanſtalt für das gelehrte Fachbildungsweſen. Sie hat daher
zur Aufgabe, alles dasjenige zu lehren, was als Vorausſetzung und
Bedingung des letzteren angeſehen werden muß. In ihrer ſyſtematiſchen
Stellung wird daher die ganze innere und äußere Ordnung der ge-
lehrten Schule durch dasjenige gegeben, was die gelehrte Fachbildung
fordert, und zwar in der Weiſe, daß jene für alle einzelnen Fächer
die Vorbildung zu leiten hat. Oder, da das Fachbildungsweſen in

Stein, die Verwaltungslehre. V. 13
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[193/0221] Erſtes Gebiet. Das gelehrte Berufsbildungsſyſtem. A. Das gelehrte Vorbildungsſyſtem. (Die gelehrten und hohen Schulen, Gymnaſien, Lyceen, Athenäen, Collegien.) I. Begriff und Formen der gelehrten Schulen. Das gelehrte Vorbildungsſyſtem umfaßt nun ſeinem formalen Be- griff nach die Geſammtheit der Anſtalten, welche für die von der Fachbildung getrennte gelehrte Vorbildung getrennt ſind und unter den oben angeführten Namen funktioniren. Wir dürfen nun gewiß zunächſt darauf hinweiſen, daß es nicht unſere Aufgabe ſein ſoll, das ganze Gymnaſialweſen mit ſeiner Viel- geſtaltigkeit und ſeinen wichtigen Fragen hier zu erſchöpfen. Für die Verwaltungslehre iſt die gelehrte Schule oder das Gymnaſium zunächſt ein einzelnes ganz beſtimmtes Organ in dem großen Ganzen des Bildungsorganismus und hat eine ganz beſtimmte Funktion innerhalb deſſelben zu vollziehen. Dieſe Funktion liegt, wie alle organiſche Funktion, nicht in der Willkür des Einzelnen oder ſelbſt der Geſetzgeber, ſondern ſie iſt durch die höhere Natur der Sache ſelbſt gegeben. Nirgends aber iſt dieſe Idee in ſo beſtimmter Weiſe entwickelt und auch hiſtoriſch zu einem klaren Abſchluß gekommen als in Deutſchland; und wir dürfen daher die Darſtellung von Deutſchlands Gymnaſialweſen als die Grund- lage für das geſammte gelehrte Vorbildungsweſen von Europa anſehen. Nur muß man dabei gleich anfangs die beiden großen Seiten alles gelehrten Schulweſens wohl unterſcheiden und auf ſie die verſchiedenen Formen deſſelben zurückführen. Die Stellung, welche das gelehrte Schulweſen im großen Bildungs- organismus einnimmt, iſt nämlich eine doppelte, und eben dieſer doppelte Inhalt derſelben hat es ſchwierig gemacht, daſſelbe zu verſtehen. Dennoch bleibt es die einzige Grundlage ſeiner Geſchichte und der Vergleichung ſeiner verſchiedenen Geſtaltungen. Zuerſt und formell iſt nämlich die gelehrte Schule die reine Vor- bildungsanſtalt für das gelehrte Fachbildungsweſen. Sie hat daher zur Aufgabe, alles dasjenige zu lehren, was als Vorausſetzung und Bedingung des letzteren angeſehen werden muß. In ihrer ſyſtematiſchen Stellung wird daher die ganze innere und äußere Ordnung der ge- lehrten Schule durch dasjenige gegeben, was die gelehrte Fachbildung fordert, und zwar in der Weiſe, daß jene für alle einzelnen Fächer die Vorbildung zu leiten hat. Oder, da das Fachbildungsweſen in Stein, die Verwaltungslehre. V. 13

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/221>, abgerufen am 26.04.2024.