Der dritte Standpunkt ist nun unzweifelhaft der höhere. Derselbe geht davon aus, daß jede Lebensaufgabe an sich einen öffentlichen Beruf enthalte; daß die Bildung für jeden öffentlichen Beruf eine der großen Bedingungen der Gesammtentwicklung sei und daß daher der Staat als Träger des Gesammtinteresses die Verpflichtung habe, diese Berufsbildung für jeden herzustellen. Es folgt daraus, daß das Berufsbildungswesen mit seinem Systeme das gesammte mensch- liche Leben umfasse und in sich selbst nach den Gesetzen der höheren Pädagogik geordnet werde. Es ergibt sich namentlich, daß sich die wirthschaftliche und künstlerische Berufsbildung neben der gelehrten in gleichem Maße vollständig zu einem organischen Systeme von öffentlichen Anstalten entwickle, welche in ihren entscheidenden Punkten eine gesetzliche innere Ordnung und eine Oberaufsicht der Verwal- tung dahin fordert, daß die Freiheit der bildenden Thätigkeit diese Ordnung nicht übertrete. Es folgt weiter, daß der Staat nur für denjenigen Beruf eine wirklich erworbene Bildung fordere, welcher eine administrative Funktion enthält, während er für jeden andern Beruf die volle Freiheit der individuellen Thätigkeit anerkennt. Es folgt endlich, daß er im Namen des Berufes die Lehre der freien Selbstverwaltung überlasse und daß er sich in seiner verwaltenden Thätigkeit darauf beschränke, nur die Einheit und Gleichheit in der Function der Bildungskörper herzustellen und zu erhalten. Hier wird daher ein viel großartigeres, freies und doch organisches Bild entstehen; es wird der Inhalt desselben in Princip und Form den natürlichen Maßstab für die übrigen Ordnungen anderer Völker ab- geben und das Höchste in ihm geleistet werden, was überhaupt von einem Volke für sein geistiges Leben geleistet werden kann. Und das Land, das diesen Charakter des Berufsbildungswesens bei sich entwickelt hat, ist Deutschland.
Von diesen Gesichtspunkten aus muß nun das Berufsbildungswesen Europas als ein Ganzes aufgefaßt werden. In diesem Ganzen hat jeder Staat und jedes Land seine ihm eigenthümliche Stellung; in ihm ist die Einheit in der vielgestaltigen Verschiedenheit zu suchen, die uns hier entgegentritt; und es wird wieder als wohlberechtigt anerkannt werden müssen, wenn wir Deutschlands Berufsbildungswesen an die Spitze stellen und auf seine drei Kategorien der gelehrten, wirthschaft- lichen und künstlerischen Bildung die Vergleichung zurückführen.
Die Erfüllung dieses Bildes kann jedoch erst die Darstellung des Prüfungswesens geben, dessen Recht in vieler Beziehung für den Cha- rakter der öffentlichen Berufsbildung noch bezeichnender ist, als das der Bildungsanstalten.
Der dritte Standpunkt iſt nun unzweifelhaft der höhere. Derſelbe geht davon aus, daß jede Lebensaufgabe an ſich einen öffentlichen Beruf enthalte; daß die Bildung für jeden öffentlichen Beruf eine der großen Bedingungen der Geſammtentwicklung ſei und daß daher der Staat als Träger des Geſammtintereſſes die Verpflichtung habe, dieſe Berufsbildung für jeden herzuſtellen. Es folgt daraus, daß das Berufsbildungsweſen mit ſeinem Syſteme das geſammte menſch- liche Leben umfaſſe und in ſich ſelbſt nach den Geſetzen der höheren Pädagogik geordnet werde. Es ergibt ſich namentlich, daß ſich die wirthſchaftliche und künſtleriſche Berufsbildung neben der gelehrten in gleichem Maße vollſtändig zu einem organiſchen Syſteme von öffentlichen Anſtalten entwickle, welche in ihren entſcheidenden Punkten eine geſetzliche innere Ordnung und eine Oberaufſicht der Verwal- tung dahin fordert, daß die Freiheit der bildenden Thätigkeit dieſe Ordnung nicht übertrete. Es folgt weiter, daß der Staat nur für denjenigen Beruf eine wirklich erworbene Bildung fordere, welcher eine adminiſtrative Funktion enthält, während er für jeden andern Beruf die volle Freiheit der individuellen Thätigkeit anerkennt. Es folgt endlich, daß er im Namen des Berufes die Lehre der freien Selbſtverwaltung überlaſſe und daß er ſich in ſeiner verwaltenden Thätigkeit darauf beſchränke, nur die Einheit und Gleichheit in der Function der Bildungskörper herzuſtellen und zu erhalten. Hier wird daher ein viel großartigeres, freies und doch organiſches Bild entſtehen; es wird der Inhalt deſſelben in Princip und Form den natürlichen Maßſtab für die übrigen Ordnungen anderer Völker ab- geben und das Höchſte in ihm geleiſtet werden, was überhaupt von einem Volke für ſein geiſtiges Leben geleiſtet werden kann. Und das Land, das dieſen Charakter des Berufsbildungsweſens bei ſich entwickelt hat, iſt Deutſchland.
Von dieſen Geſichtspunkten aus muß nun das Berufsbildungsweſen Europas als ein Ganzes aufgefaßt werden. In dieſem Ganzen hat jeder Staat und jedes Land ſeine ihm eigenthümliche Stellung; in ihm iſt die Einheit in der vielgeſtaltigen Verſchiedenheit zu ſuchen, die uns hier entgegentritt; und es wird wieder als wohlberechtigt anerkannt werden müſſen, wenn wir Deutſchlands Berufsbildungsweſen an die Spitze ſtellen und auf ſeine drei Kategorien der gelehrten, wirthſchaft- lichen und künſtleriſchen Bildung die Vergleichung zurückführen.
Die Erfüllung dieſes Bildes kann jedoch erſt die Darſtellung des Prüfungsweſens geben, deſſen Recht in vieler Beziehung für den Cha- rakter der öffentlichen Berufsbildung noch bezeichnender iſt, als das der Bildungsanſtalten.
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Der dritte Standpunkt iſt nun unzweifelhaft der höhere. Derſelbe
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Beruf enthalte; daß die Bildung für jeden öffentlichen Beruf eine
der großen Bedingungen der Geſammtentwicklung ſei und daß daher
der Staat als Träger des Geſammtintereſſes die Verpflichtung habe,
dieſe Berufsbildung für jeden herzuſtellen. Es folgt daraus, daß das
Berufsbildungsweſen mit ſeinem Syſteme das geſammte menſch-
liche Leben umfaſſe und in ſich ſelbſt nach den Geſetzen der höheren
Pädagogik geordnet werde. Es ergibt ſich namentlich, daß ſich die
wirthſchaftliche und künſtleriſche Berufsbildung neben der gelehrten
in gleichem Maße vollſtändig zu einem organiſchen Syſteme von
öffentlichen Anſtalten entwickle, welche in ihren entſcheidenden Punkten
eine geſetzliche innere Ordnung und eine Oberaufſicht der Verwal-
tung dahin fordert, daß die Freiheit der bildenden Thätigkeit dieſe
Ordnung nicht übertrete. Es folgt weiter, daß der Staat nur für
denjenigen Beruf eine wirklich erworbene Bildung fordere, welcher
eine adminiſtrative Funktion enthält, während er für jeden andern
Beruf die volle Freiheit der individuellen Thätigkeit anerkennt. Es
folgt endlich, daß er im Namen des Berufes die Lehre der freien
Selbſtverwaltung überlaſſe und daß er ſich in ſeiner verwaltenden
Thätigkeit darauf beſchränke, nur die Einheit und Gleichheit in
der Function der Bildungskörper herzuſtellen und zu erhalten. Hier
wird daher ein viel großartigeres, freies und doch organiſches Bild
entſtehen; es wird der Inhalt deſſelben in Princip und Form den
natürlichen Maßſtab für die übrigen Ordnungen anderer Völker ab-
geben und das Höchſte in ihm geleiſtet werden, was überhaupt von
einem Volke für ſein geiſtiges Leben geleiſtet werden kann. Und das
Land, das dieſen Charakter des Berufsbildungsweſens bei ſich entwickelt
hat, iſt Deutſchland.
Von dieſen Geſichtspunkten aus muß nun das Berufsbildungsweſen
Europas als ein Ganzes aufgefaßt werden. In dieſem Ganzen hat
jeder Staat und jedes Land ſeine ihm eigenthümliche Stellung; in ihm
iſt die Einheit in der vielgeſtaltigen Verſchiedenheit zu ſuchen, die uns
hier entgegentritt; und es wird wieder als wohlberechtigt anerkannt
werden müſſen, wenn wir Deutſchlands Berufsbildungsweſen an die
Spitze ſtellen und auf ſeine drei Kategorien der gelehrten, wirthſchaft-
lichen und künſtleriſchen Bildung die Vergleichung zurückführen.
Die Erfüllung dieſes Bildes kann jedoch erſt die Darſtellung des
Prüfungsweſens geben, deſſen Recht in vieler Beziehung für den Cha-
rakter der öffentlichen Berufsbildung noch bezeichnender iſt, als das der
Bildungsanſtalten.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/197>, abgerufen am 26.04.2024.
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