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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Besonderer Theil.
Die öffentlich rechtliche Organisation der Berufsbildungssysteme
bei den Hauptvölkern Europas.

Bei dem äußeren Reichthum an Bestrebungen, Leistungen und An-
stalten für das Berufsbildungswesen in den organischen Kulturländern
ist es nicht möglich, hier auf das Einzelne einzugehen. In der That
muß die Verwaltungslehre im Allgemeinen sich darauf beschränken, nach-
dem der Charakter desselben dargestellt ist, nur noch das Bild des
ganzen Systems zu geben. Unter dem Berufsbildungssystem verstehen
wir nun die öffentliche Ordnung, nach welcher die einzelnen Staaten
die drei großen Hauptgebiete des gesammten Bildungswesens, die ge-
lehrte, die wirthschaftliche und die künstlerische zum Gegenstande ihrer
Gesetzgebung und ihrer Thätigkeit gemacht haben, als die positiv
rechtliche Gestalt der geltenden öffentlichen Berufsbildung
.

Hier nun scheiden sich die Hauptvölker Europas wesentlich von ein-
ander, während sie in der Idee des Berufsbildungswesens sich natür-
lich aufs Engste verwandt sind.

Bei aller Tiefe und Gründlichkeit der bisherigen Untersuchungen
ist es nicht zu läugnen, daß eine organische Gesammtübersicht,
eine nebeneinanderstellung der Systeme noch fehlt. Es ist für uns im
Einzelnen so gut als gar nichts zu leisten übrig. Der Werth und die
Aufgabe des Folgenden kann nur darin bestehen, in jedem Lande das
wissenschaftliche, wirthschaftliche und künstlerische Berufsbildungssystem
als Ein Ganzes zusammenzufassen, demselben für die Staatswissenschaft
seine organische Stelle, für die Vergleichung mit andern Völkern seine
hohe Berechtigung als Grundlage und für die Behandlung der Einzel-
fragen seinen wichtigen, oft maßgebenden Einfluß zu sichern. Dabei
wird es auch nur auf diesem Wege möglich sein, auf gewissen Punkten
durch bestimmte und durchgreifende Begriffsbestimmungen einer zuweilen
peinlichen Verwirrung in Bezeichnungen, Ansichten und Fragen zu be-
gegnen. Wir halten auch hier die Hoffnung fest, daß auf der gegebenen
Grundlage jeder Fachmann das specielle Recht seines eignen Landes sich
hinzusetzen, und dadurch dem vorliegenden, vorwaltend theoretischen
Versuche seinen praktischen Werth geben möge.

Ohne allen Zweifel wird nun das Ziel auch hier am besten erreicht,
wenn wir das deutsche Bildungssystem als maßgebend an die Spitze
stellen, indem wir dabei stets festhalten, daß zwar die pädagogischen
Begriffe und Forderungen maßgebend sind und bleiben werden, daß

Beſonderer Theil.
Die öffentlich rechtliche Organiſation der Berufsbildungsſyſteme
bei den Hauptvölkern Europas.

Bei dem äußeren Reichthum an Beſtrebungen, Leiſtungen und An-
ſtalten für das Berufsbildungsweſen in den organiſchen Kulturländern
iſt es nicht möglich, hier auf das Einzelne einzugehen. In der That
muß die Verwaltungslehre im Allgemeinen ſich darauf beſchränken, nach-
dem der Charakter deſſelben dargeſtellt iſt, nur noch das Bild des
ganzen Syſtems zu geben. Unter dem Berufsbildungsſyſtem verſtehen
wir nun die öffentliche Ordnung, nach welcher die einzelnen Staaten
die drei großen Hauptgebiete des geſammten Bildungsweſens, die ge-
lehrte, die wirthſchaftliche und die künſtleriſche zum Gegenſtande ihrer
Geſetzgebung und ihrer Thätigkeit gemacht haben, als die poſitiv
rechtliche Geſtalt der geltenden öffentlichen Berufsbildung
.

Hier nun ſcheiden ſich die Hauptvölker Europas weſentlich von ein-
ander, während ſie in der Idee des Berufsbildungsweſens ſich natür-
lich aufs Engſte verwandt ſind.

Bei aller Tiefe und Gründlichkeit der bisherigen Unterſuchungen
iſt es nicht zu läugnen, daß eine organiſche Geſammtüberſicht,
eine nebeneinanderſtellung der Syſteme noch fehlt. Es iſt für uns im
Einzelnen ſo gut als gar nichts zu leiſten übrig. Der Werth und die
Aufgabe des Folgenden kann nur darin beſtehen, in jedem Lande das
wiſſenſchaftliche, wirthſchaftliche und künſtleriſche Berufsbildungsſyſtem
als Ein Ganzes zuſammenzufaſſen, demſelben für die Staatswiſſenſchaft
ſeine organiſche Stelle, für die Vergleichung mit andern Völkern ſeine
hohe Berechtigung als Grundlage und für die Behandlung der Einzel-
fragen ſeinen wichtigen, oft maßgebenden Einfluß zu ſichern. Dabei
wird es auch nur auf dieſem Wege möglich ſein, auf gewiſſen Punkten
durch beſtimmte und durchgreifende Begriffsbeſtimmungen einer zuweilen
peinlichen Verwirrung in Bezeichnungen, Anſichten und Fragen zu be-
gegnen. Wir halten auch hier die Hoffnung feſt, daß auf der gegebenen
Grundlage jeder Fachmann das ſpecielle Recht ſeines eignen Landes ſich
hinzuſetzen, und dadurch dem vorliegenden, vorwaltend theoretiſchen
Verſuche ſeinen praktiſchen Werth geben möge.

Ohne allen Zweifel wird nun das Ziel auch hier am beſten erreicht,
wenn wir das deutſche Bildungsſyſtem als maßgebend an die Spitze
ſtellen, indem wir dabei ſtets feſthalten, daß zwar die pädagogiſchen
Begriffe und Forderungen maßgebend ſind und bleiben werden, daß

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[190/0218] Beſonderer Theil. Die öffentlich rechtliche Organiſation der Berufsbildungsſyſteme bei den Hauptvölkern Europas. Bei dem äußeren Reichthum an Beſtrebungen, Leiſtungen und An- ſtalten für das Berufsbildungsweſen in den organiſchen Kulturländern iſt es nicht möglich, hier auf das Einzelne einzugehen. In der That muß die Verwaltungslehre im Allgemeinen ſich darauf beſchränken, nach- dem der Charakter deſſelben dargeſtellt iſt, nur noch das Bild des ganzen Syſtems zu geben. Unter dem Berufsbildungsſyſtem verſtehen wir nun die öffentliche Ordnung, nach welcher die einzelnen Staaten die drei großen Hauptgebiete des geſammten Bildungsweſens, die ge- lehrte, die wirthſchaftliche und die künſtleriſche zum Gegenſtande ihrer Geſetzgebung und ihrer Thätigkeit gemacht haben, als die poſitiv rechtliche Geſtalt der geltenden öffentlichen Berufsbildung. Hier nun ſcheiden ſich die Hauptvölker Europas weſentlich von ein- ander, während ſie in der Idee des Berufsbildungsweſens ſich natür- lich aufs Engſte verwandt ſind. Bei aller Tiefe und Gründlichkeit der bisherigen Unterſuchungen iſt es nicht zu läugnen, daß eine organiſche Geſammtüberſicht, eine nebeneinanderſtellung der Syſteme noch fehlt. Es iſt für uns im Einzelnen ſo gut als gar nichts zu leiſten übrig. Der Werth und die Aufgabe des Folgenden kann nur darin beſtehen, in jedem Lande das wiſſenſchaftliche, wirthſchaftliche und künſtleriſche Berufsbildungsſyſtem als Ein Ganzes zuſammenzufaſſen, demſelben für die Staatswiſſenſchaft ſeine organiſche Stelle, für die Vergleichung mit andern Völkern ſeine hohe Berechtigung als Grundlage und für die Behandlung der Einzel- fragen ſeinen wichtigen, oft maßgebenden Einfluß zu ſichern. Dabei wird es auch nur auf dieſem Wege möglich ſein, auf gewiſſen Punkten durch beſtimmte und durchgreifende Begriffsbeſtimmungen einer zuweilen peinlichen Verwirrung in Bezeichnungen, Anſichten und Fragen zu be- gegnen. Wir halten auch hier die Hoffnung feſt, daß auf der gegebenen Grundlage jeder Fachmann das ſpecielle Recht ſeines eignen Landes ſich hinzuſetzen, und dadurch dem vorliegenden, vorwaltend theoretiſchen Verſuche ſeinen praktiſchen Werth geben möge. Ohne allen Zweifel wird nun das Ziel auch hier am beſten erreicht, wenn wir das deutſche Bildungsſyſtem als maßgebend an die Spitze ſtellen, indem wir dabei ſtets feſthalten, daß zwar die pädagogiſchen Begriffe und Forderungen maßgebend ſind und bleiben werden, daß

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/218>, abgerufen am 26.04.2024.